The Walking Dead - Vorschau
Nach Buch und TV ereilt Kirkmans Zombie-Weltuntergang nun auch die Spiele - schaurig, effektiv und sogar spielerisch sehr solide.
Ich würde ja sagen, es sei eine rationale Wahl gewesen, ihr zur Hilfe zu eilen. Schließlich ist sie, Carley, ja diejenige unserer Gruppe, die mit einer Pistole umgehen kann. Zudem, bedenkt, ihre Situation hatte weit größere Aussicht auf Rettung versprochen als die des wenig beneidenswerten Doug, dessen Hilfeschreie noch immer in meinen Ohren klingeln. Hatte sich im Fall der cleveren Reporterin nur eine faulige Zombiehand um ihre Fessel geschlossen, hatten den untersetzten, schrecklich netten TV-Fachmann bereits mehrere Untote durch den losen Bretterverschlag der Fenster hindurch ergriffen.
Mit Vernunft hatte meine Entscheidung für Carley in Wahrheit allerdings weniger zu tun. Es war eine Instinkthandlung und zum guten Teil sicherlich auch klassische Spieler-Konditionierung. Weiß man von beiden Figuren ungefähr gleich viel, eilen die meisten, die dem langweiligen Normalbild eines männlichen, heterosexuellen Videospielers entsprechen, in einer solchen Situation derjenigen Person zur Hilfe, die ihrem Bild einer zu rettenden Prinzessin am nächsten kommt. Sorry, Doug. 'Warst ein guter Kerl', dachte ich, als ich der bewegungsunfähigen Carley geistesschnell die rettende Munition zuwarf, während auf der anderen Seite des Raumes die Bretter barsten und der hilfsbereite Mittzwanziger rückwärts von einer Wolke zuckender, fleischiger Greifer absorbiert wurde.
Vielleicht muss man Darwins "Survival of the fittest" doch anders übersetzen.
Man hatte im letzten Jahr ein wenig das Gefühl bekommen, Telltale hätte sich mit all den Ankündigungen übernommen und wähnte sich in dieser Annahme im Herbst prompt mit einem spielerisch unbefriedigenden Jurassic Park bestätigt. In diesem Licht kann ich nicht sagen, dass ich mich übermäßig auf das erste Spiel zur ebenso hoch geschätzten, wie deprimierenden Graphic Novel The Walking Dead gefreut hätte. Neben dem exzellenten Comic gibt es immerhin seit dem letzten Jahr eine recht gute TV-Serie (die der Vorlage nicht das Wasser reicht, aber trotzdem öfter den Ton trifft, als ich ihr zugetraut hätte) und so sehr ich das Material nach wie vor liebe, so arg fürchtete ich doch, dass sie es jetzt übertreiben würden.
Und dann passieren in Telltales neuem Spiel Situationen wie die obige. Nicht nur hat der Entwickler nach der zu sehr als interaktiver Film ausgelegten Dinosaurier-Wiederbelebung einen großen Schritt zurück in Richtung klassisches Adventure gemacht, er fängt auch die Stimmung von Robert Kirkmans zermürbender Comic-Apokalypse wundervoll ein. Das liegt vor allem daran, dass man sich, anders als in Jurassic Park, nicht für einen realistischen Look entschied, was ja angesichts einer praktischerweise vorhandenen Fernsehumsetzung je nach Rechtelage auch eine vollkommen nachvollziehbare Entscheidung gewesen wäre. Stattdessen sichert ihr das Überleben des ehemaligen Universitätsprofessors und mittlerweile verurteilten Mörders Lee Everett inmitten eines Weltuntergangs, dem man jede einzelne Bleistiftlinie ansieht.
Rein optisch signalisiert man damit entschieden, dass wir uns hier durch das Universum des Comics bewegen - das TV-Pendant weicht in einigen Punkten bekanntermaßen davon ab. Der Stil ist zugegebenermaßen deutlich konventioneller als der, den Kirkmans Zeichner Charlie Adlard an den Tag legt. Viel hübscher, ausformulierter und irgendwo sogar freundlicher als die Schwarz-Weiß-Vorlage, die trotz Weltklasse-Komposition hier und da schon mal ein wenig krude wirken kann. Persönlich sagt mir der Stil des Buches trotzdem mehr zu, passt er doch etwas besser zu dem kompromisslos bitteren Trauerspiel, das aktuell stramm auf seinen sechzehnten Trade-Paperback zugeht.
Für ein Medium, das vor allem von bewegten Bildern lebt, ist diese verdammt gelungene Art des Cel-Shadings aber der beste Kompromiss, den Telltale nur finden konnte. Es sieht klasse aus, kaschiert durch die Stilisierung effektiv, dass die Engine nicht auf dem neuesten Stand ist, und scheut in letzter Konsequenz auch vor drastischer Gewalt nicht zurück. Der Geist der Vorlage hat die Seelenwanderung hinüber ins interaktive Medium unbeschadet und schaurig wie eh und je überstanden. Es ist ein Überlebenstrip, bei dem man sich seiner selbst niemals sicher ist.
Im Gegensatz zu den Figuren, die Ende November durch lax getimte Tastendrückerei die Nahrungskette hinauf an Raptoren und Tyrannosauriern vorbeizuklettern versuchten, bewegt sich Lee durch jeden Raum, wie er mag, auf jeden Fall aber klassisch abenteuerlich. Während ihr den unfreiwillig Flüchtigen direkt durch die Umgebungen steuert, nehmt ihr mit dem rechten Stick interaktive Elemente unter die Lupe, hebt Gegenstände auf oder sprecht mit anderen Überlebenden. Dabei ist es nicht so, dass in diesem Szenario abgehobene Item-Kombinationen von euch gefragt wären oder vom Rest des Spiels abgekapselte Mini-Rätsel. Eher ist gute Beobachtungsgabe gefordert - das und Fingerspitzengefühl in den Konversationen mit denen, die von der Zivilisation noch übrig sind.
"Telltale inszeniert in ruhigeren Momenten zwischen dem ungleichen Duo Lee und Clementine einige wirklich einfühlsame Situationen."
Als wäre Lee mit seiner fragwürdigen Vergangenheit nicht schon interessant genug, stellt man dem Enddreißiger mit der nun elternlosen, achtjährigen Clementine auch noch ein kleines Kind an die Seite. Lee hat keinerlei Erfahrung als Erziehungsberechtigter, nimmt sich des klugen Mädchens aber dennoch aufopferungsvoll an. Telltale inszeniert in ruhigeren Momenten zwischen den beiden einige wirklich einfühlsame Situationen. Auch den Weg einiger aus dem Comic bekannter Figuren kreuzt ihr, während das Spiel sich darauf versteht, euch mit Charakteren auf engstem Raum einzupferchen, deren Ansichten und Meinungen die "AG Überleben" zu sprengen drohen. Alles untermalt mit wirklich gut gesprochenen, englischen Dialogen.
Hier und da eskaliert natürlich die Situation, und dann werden auch Reflexe und Präzision abgerufen. Etwa, wenn ihr euer wackelndes Fadenkreuz über den Schädel eines zähnefletschenden Babysitters bewegt, um ihn anschließend derbe mit einem Dachdecker-Hammer einzudellen. Andernorts warf mich das Spiel in eine Situation, in der ich einen Parkplatz von einem Viererpack Untoter säubern musste. Hier durfte man auf keinen Fall die Aufmerksamkeit der Ghouls erregen. Auf der Suche nach dem bestmöglichen Weg für alle noch atmenden Beteiligten bekommt man dabei ganz schön feuchte Finger, traut sich fast nicht, den einen entscheidenden Schritt zu gehen, der aber in jedem Fall nötig ist. Es sind diese Momente, in denen beinahe die unerträgliche Spannung von Buch und Film erreicht wird.
Die beste Nachricht kommt gen Schluss: Kirkman behält sich das Recht vor, die Geschichte vor Einarbeitung ins Spiel abzusegnen und nimmt die Geschehnisse des Adventures damit in den Kanon der Walking-Dead-Welt auf. Die Zweitbeste: Mit erneut nur 400 MS Punkten für jede der fünf Episoden habt ihr die komplette Staffel für weniger als dreißig Euro auf der Platte. Hoffen wir, Telltale bekommt es hin, das Erlebnis von vorne bis hinten spannend und abwechslungsreich zu halten.
Ausgehend von dem, was ich bisher schon zu Gesicht bekommen habe, will ich nämlich auf jeden Fall wissen, wie es mit Lee und Clementine weitergeht - und wie viele NPC-Tode Carleys lange Beine wohl noch zu verantworten haben werden.