The Witch and the Hundred Knight - Test
Ein Paradebeispiel von Feature-Creep.
Irgendwie haben die Entwickler bei Nippon Ichi Software den Sinn eines Tutorials nicht richtig verstanden. Zumindest das Team von The Witch and the Hundred Knight. Oder sie hatten irgendwann keine Lust mehr, dem Spieler alles zu erklären, nachdem sie euch die erste Stunde fest an der Leine halten. In die simpelsten Mechaniken wie Laufen, Schlagen und Blocken führt euch das Spiel ganz langsam ein, sodass ich beim ersten Anspielen fast auf meiner Couch einschlief.
Feature-Creep
"Okay, da muss ich jetzt durch", dachte ich mir und folgte den sowohl simplen als auch komplett trivialen Anweisungen. "Ja, auf der Taste schlage ich. Ja, auf der Taste blocke ich. Ja, auch dieses Spiel verwendet überraschenderweise den linken Analogstick zum Laufen. Darf ich jetzt endlich mit dem richtigen Spiel beginnen?"
Ein paar langatmige Einführungen und Expositionsdialoge später befand ich mich endlich im richtigen Abenteuer. "Und was ist das jetzt alles?", fragte ich laut und zeigte verwirrt mit meiner Hand auf die fünf unterschiedlichen Leisten, die plötzlich auf dem Bildschirm auftauchten, als würde das Spiel mir dadurch eine Antwort liefern. Hatte ich irgendetwas verpasst? Aus Versehen den Rest des Tutorials übersprungen? Nein. Aber statt dem Spieler die komplexeren Eigenarten des Spiels genauer zu erklären, zwingt man ihn lieber in eine langweilige Einführung, die sich nur mit den intuitivsten Elementen beschäftigt. Den Rest dürft ihr selbst herausfinden. Ich habe ja nichts dagegen, alleine die Funktionen des Titels zu erkunden. Aber wenn ihr mich unbedingt mit einem Tutorial quält, erwähnt bitte die nützlichen Informationen.
Diese erste Hürde trennt dann auch direkt die Spreu vom Weizen, wobei ich es niemandem verübele, sollte er dem Spiel deswegen den Rücken zukehren. Überaus schade, denn die vorhandenen Elemente enthalten ein paar interessante Konzepte. So tragt ihr als kleiner Hundred Knight, der ohne freien Willen für die Sumpfhexe Metallia arbeitet, eine Fackel auf dem Kopf, die euch ständige Kommunikation mit eurer Herrin erlaubt. Jede Aktion verbraucht dabei Prozentpunkte. Deckt einen Teil der Karte auf, attackiert Feinde oder bewegt euch nur ein klein wenig. Schon seht ihr dem rapiden Fall der Zahl zu, wodurch ein ständiges Druckgefühl entsteht. Zwar dürft ihr jederzeit an den Checkpoints zum Lager zurückkehren, um die Anzeige aufzufüllen, doch erhaltet ihr größere Boni für längere Streifzüge in Form von Gegenständen.
Damit ihr euer Aktionsvermögen noch während den Erkundungstouren erhöht, sammelt ihr Grade-Points in den Kämpfen. An den großzügig verteilten Checkpoints kauft ihr euch davon andere Punkte für die Boni, verschafft der Fackel mehr Kraft oder verbessert die Werte eures kleinen Ritters. Allerdings halten die Aufstufungen nur bis zur Rückkehr an. Nebenher rüstet ihr eure Figur in unterschiedlichen Klassen auf, legt Zauber an, kombiniert Waffen, raubt Häuser aus und verschlingt aufgesammelte Gegenstände in eurem Magen. Übersicht verloren? Willkommen im Club.
Harte Arbeit
Bis ihr das nötige Verständnis sämtlicher Leisten und Mechaniken verstanden habt, vergehen weitere Stunden, in denen wenigstens leichtere Feinde auf euch warten. Ihr lernt, mit der Reduzierung eurer Fackelkraft umzugehen, und steckt Grade-Points häufig in die zusätzliche Aufdeckung der Karte. Ihr erkennt, dass gefundene Items in eurem Magen verstaut werden und ihr diese erst nach der Mission benutzen könnt. Ihr merkt, dass sich Grade-Points schneller durch Kombo-Angriffe aufladen. Vielleicht untersucht ihr daraufhin euer Menü und stellt überrascht fest, dass ihr fünf Waffen auf einmal anlegen dürft. Nur so vollführt ihr Kombos und besiegt stärkere Feinde.
Wenn ihr mich unbedingt mit einem Tutorial quält, erwähnt bitte die nützlichen Informationen.
Ehrlich gesagt machte diese frühe Phase trotz der anfänglichen Frustration einen großen Reiz des Spiels für mich aus. Denn für sich genommen bleibt jedes der genannten Elemente auf einem simplen Level. Besonders die Kämpfe stagnieren wegen des wiederholungsanfälligen Ablaufs überaus zügig. Eine Taste zwingt eure Figur automatisch, alle fünf angelegten Prügel nacheinander zu benutzen. Die einzige Strategie liegt in der Reihenfolge. Jede Waffe besitzt eine zufällig verteilte Zahl von eins bis fünf. Legt ihr sie genau aufsteigend hintereinander an, verstärkt es ihre Angriffskraft.
Leider seht ihr die jeweilige Zahl erst, nachdem ihr beispielsweise euer neues Schwert angelegt habt. Selbst vollkommen identische Waffen mit denselben Namen und Werten ärgern euch mit unterschiedlichen Zahlen. Wer nicht regelmäßig überschüssige Ware verkauft, verliert den Überblick, was jegliche Experimentierfreude im Keim erstickt. Trotzdem müsst ihr ständig wechseln, um nicht nur eure Werte zu erhöhen, sondern weil verschiedene Feinde andere Schwächen gegenüber bestimmten Gattungen aufweisen. Manchmal bringen euch Hämmer weiter. Manchmal führt die Umrüstung auf Speere zum stressfreien Sieg. Da ihr allerdings keine festen Sets speichern dürft, zwischen denen ihr spontan wechselt, erwartet euch ein ständiger Krampf im Menü. Oder ihr macht es so wie ich und bleibt trotz zwischenzeitlicher Probleme bei einem Set, das ihr nur manchmal mit besseren Waffen verseht.
Zum Lernen dieser Tatsachen zwang mich das Spiel im zweiten Gebiet, nachdem die Schwierigkeitskurve plötzlich einen Steilhang reflektierte. Holzte ich die Monster im anfänglichen Waldgebiet noch mit zwei Schlägen weg, tötete mich einen Level später der erste Widersacher mehrere Male. Anschließend stieß ich nach der Einarbeitung in das Waffensystem sehr selten auf Probleme. Besonders, da sich die zu Anfang erdrückende Komplexität nie weiterentwickelte.
Besonders die Kämpfe stagnieren wegen des wiederholungsanfälligen Ablaufs überaus zügig.
Wesentlich besser gefiel mir dafür die Hexe Metallia, die neben euch noch einen treuen Diener schikaniert und jede Person eiskalt umbringt, solange es ihren Zielen hilft. Es war für mich wunderbar mit anzusehen, wie ein herzloser Charakter die pure Boshaftigkeit verkörpert. Metallia ist böse und sie liebt es. Kein Hinterfragen von Motiven, kein Mitleid und erst recht keine Zurückhaltung. Gerade weil ich es wegen der bunten Optik nicht erwartete, folgte in einigen Momenten der Schock. Großartig! Mehr davon. Ich will wieder öfter auf der Seite des Bösen stehen und einer Figur folgen, die problemlos zu den rücksichtslosesten Person aller Zeiten gehört.
Schlussendlich ändert Metallia aber nichts mehr an der Problematik der vielen Mechaniken, die sich nie zu einem organischen Ganzen verbinden. Zuerst kämpft ihr mit einem fehlenden Verständnis. Sobald ihr die einzelnen Komponenten allerdings verinnerlicht habt, geratet ihr in einen gewissen Trott. Auch wenn die Gebiete wunderschön aussehen, raubt euch ihre Linearität einen gewissen Erkundungsdrang, sodass man später nur noch von Punkt A nach B läuft. Ist die anfängliche Schwierigkeit der Kämpfe überwunden, bleibt das Ausrüstungsmenü euer engster Rivale.
The Witch and the Hundred Knight richtet sich an eine ganz bestimmte Zielgruppe. Wollt ihr euch selbst die Elemente des Spiels beibringen und habt dabei kein Problem mit einer langatmigen Einführung, bietet euch der Titel genügend Fläche zum Arbeiten. Anschließend dürft ihr allerdings genauso wenig den sich wiederholenden Ablauf fürchten oder die teils grauenhaften Entscheidungen Metallias hinterfragen. Irgendwo dazwischen versteckt sich ein gutes Spiel, das sich mir nur äußerst selten offenbaren wollte, bevor es wieder für die nächsten Stunden verschwand.