The Witcher 3: Complete Edition – CD Projekt nennt es Next-Gen-Upgrade, dabei ist es eigentlich ein Remaster
Da ist es endlich!
Man sollte vermutlich nicht erstaunt darüber sein, dass The Witcher 3 mit der Complete Edition ein so umfangreiches Next-Gen-Upgrade erhält. Immerhin hat CD Projekt schon beide Vorgänger mit einem damals Enhanced Edition genannten Upgrade bedacht, das in beiden Fällen nicht nur technische, sondern auch inhaltliche Ergänzungen vornahm. Diese gingen weit über den Umfang der kostenlosen Produktpflege hinaus, die den meisten anderen Solo-Rollenspielen zuteilwird, und an diese Tradition knüpft die Complete Edition jetzt an.
Natürlich liegt das diesmal nicht nur an der langjährigen Unterstützung per se, sondern zu einem Großteil daran, dass sämtliche Spiele der vorherigen Generation auf den aktuellen Konsolen laufen und viele namhafte daher Updates erhielten, welche meist die Grafik ein wenig schneller, manchmal sogar schöner machten, und gelegentlich noch weitere Neuerungen vornahmen. Und das sollte auch bei The Witcher 3 so sein. Nur fraß ein Titel namens Cyberpunk 2077 nach Release noch dermaßen viele Entwicklerstunden, dass das Next-Gen-Upgrade (welches genaugenommen längst ein Current-Gen-Upgrade ist) um ein paar Monate verschoben werden musste.
Glück im Unglück: Die Complete Edition ist viel größer als ursprünglich geplant, weil CD Projekt darum bemüht ist, die durch Cyberpunk verursachten Image-Kratzer auszubessern. Auf jeden Fall hat sich das Warten mehr als gelohnt. Falls ihr das große Rollenspiel schon immer mal nachholen, fortsetzen oder einfach nur mal wieder reinschauen wolltet, dann ist die aktuelle Ausgabe nämlich das Beste, was euch passieren konnte. Denn ähnlich wie die Enhanced Editions der Vorgänger sieht sie nicht nur besser aus als das ursprünglich veröffentlichte Spiel – um einiges besser sogar –, sondern enthält außerdem sehr gelungene inhaltliche Neuerungen.
Wobei ich eins voranstellen will: Dass das große Rollenspiel nach wie vor zu den Besten seiner Art gehört, liegt nicht an dem Upgrade. Es liegt hauptsächlich daran an der Art und Weise, wie man in seiner offenen Welt tragische und aufregende Geschichten erlebt, die sich oft um moralisch oder anderweitig interessante Fragen drehen. Sammelkram für ein paar Erfahrungspunkte oder zum Herstellen von Tränken und Ausrüstung? Gibt es hier auch. Aber er verstopft nicht die Spielzeit. Denn im Vordergrund steht die Erzählung, das Erleben großer und kleiner Anekdoten oft abseits des eigentlichen Wegs.
Hinzugekommen ist dabei ein (optionaler) Verweis auf die Netflix-Serie, denn man kann den Soldaten Nilfgaards neuerdings Rüstungen verpassen, die ihren im Fernsehen gezeigten Ebenbildern gleichen. Auch das Aussehen einiger Waffen sowie des Barden Rittersporn darf man entsprechend wählen und es gibt eine neue Quest, die das Vorhandensein dieser Änderungen beschreibt.
Viel wichtiger ist aber, dass die Complete Edition auf Xbox Series S/X und PlayStation 5 mit 60 Bildern pro Sekunde läuft. Auf Series S konnte ich den Performance-Modus nicht ausprobieren, auf Series X und PS5 fühlt sich das Rollenspiel damit allerdings deutlich besser an.
Hinzu kommen ja verbesserte Texturen, mit denen die gesamte Umgebung sowie sämtliche Menschen, Elfen, Zwerge und anderen Kreaturen um einiges detaillierter aussehen als im Original. Besonders den Waffen und Rüstungen sieht man das an: Metalle und Leder wirken so glaubwürdig, dass man in den Bildschirm greifen möchte. Abgesehen davon peitscht der Wind die Baumkronen und Gräser nicht mehr mit dieser absurden Wucht durch den helllichten Sonnenschein. Und falls ihr den Anblick von was auch immer so beeindruckend findet, dass ihr ihn dauerhaft festhalten wollt, könnt ihr das neuerdings im jederzeit aktivierbaren Fotomodus tun.
Noch schicker sieht das Ergebnis dabei aus, wenn ihr vom Performance- in den Qualitätsmodus wechselt. Dadurch halbiert sich zwar die Bildrate, was ich als sehr unangenehm empfinde, dafür wird auf Series X und PS5 ein Teil der Beleuchtung dann durch Raytracing berechnet, wodurch alle Oberflächen noch plastischer wirken und das Bild an Tiefe gewinnt. Nur wie sich Performance- und Qualitätsmodus auf Series S unterscheiden, kann ich euch eben nicht sagen. Das Raytracing bleibt ja PS5 und Series X vorbehalten.
Und dann ist da noch die PC-Fassung, die selbstverständlich den besten Eindruck hinterlässt – schon alleine deshalb, weil man von entsprechend leistungsfähigen Grafikkarten auch Reflexionen und Schatten per Raytracing berechnen lassen kann. Die Spiegelungen im Wasser sind dann noch klarer, detaillierter und vor allem dann sichtbar, wenn das gespiegelte Objekt selbst nicht im Bild ist. Es gibt sie außerdem nicht nur ein Seen und Flüssen, sondern auch in Pfützen jeder Form und Größe. Am wichtigsten finde ich aber die deutlich realistischeren Schatten, was besonders in manchen Ecken der größeren Orte erkennbar ist. Da können die Konsolen auch im Raytracing-Modus nicht mithalten.
Ärgerlich finde ich nur, dass es gerade in den Ortschaften ein zwar schwaches, aber doch unangenehm auffallendes Mikrostottern gibt. Ein kurz vor Release veröffentlichter Patch sollte das beheben, hat es aber nur verringert. Ich hoffe sehr, dass die Entwickler da noch Abhilfe schaffen. Auf den Konsolen gibt es das Problem zum Glück nicht. Auf PC tauchen einige Schatten zudem sehr plötzlich auf, wodurch das Bild in den Städten seltsam unruhig wirkt. Auch das wird also hoffentlich noch korrigiert. Auf PS5 und Series X kann man zwar ebenfalls mitunter spät auftauchende Schatten ausmachen, vielleicht weilt sie weniger detailliert sind, fällt es dort allerdings nicht störend auf.
Ich weiß: So ein Upgrade ist hauptsächlich eine Aufzählung von Neuerungen. Aber was soll ich sonst schreiben? Dass ich vor allem den Einstieg heuer zum x-ten Mal gespielt habe und noch immer hervorragend finde? Dass Geralt nach wie vor einer der markantesten Protagonisten der Spielewelt ist? Dass ich euch als ausführliche Lektüre Sebs großartigen Test der damaligen PS4-Veröffentlichung ans Herz lege? Letzteres sei hiermit getan.
An dieser Stelle will ich euer Augenmerk lieber noch auf spielerische Änderungen legen, für die ich sehr dankbar bin. Loggt man sich mit seinem GOG-Konto ein, wird der Spielstand nämlich in die GOG-Cloud hochgeladen, sodass man ihn anschließend auf jeder anderen Version, mit der man ebenfalls eingeloggt ist, fortsetzen kann. Das gilt zwar nur für die zuletzt gespeicherte Datei, aber mir reicht das. Zur Not lädt man einen älteren Spielstand und speichert ihn neu ab, falls man an dem entsprechenden Punkt fortfahren möchte.
Das Ganze funktioniert über alle Plattformen hinweg, auf denen die Complete Edition verfügbar sein wird – in der Zukunft gesprochen, weil das Upgrade auch für Nintendo Switch, Xbox One und PlayStation 4 kommt. Auf die grafischen Neuerungen muss man dann zwar verzichten, alle inhaltlichen sollen aber enthalten sein.
Nur eine schafft es leider nicht auf die betagten Plattformen und das ist die näher an Geralt sowie etwas tiefer stehende Kamera. Die erfordert nämlich einen Detaillevel der dann besser erkennbaren Kulisse, den nur aktuelle Hardware schnell genug berechnen kann. Schade, denn ich spiele inzwischen durchgehend aus dieser modernen Perspektive, weil sie mich stärker ins Geschehen zieht als die ursprüngliche, sehr distanzierte Einstellung.
Ich benutze außerdem das neue und ebenfalls optionale Auslösen der Zaubersprüche, für das man jetzt eine Schultertaste zieht und gleichzeitig die gewünschte Magie auswählt, anstatt in Superzeitlupe erst den Spruch zu wechseln und danach dann auszulösen. Mit dem neuen System muss man zwar mehr auf Zack sein, weil man taktische Überlegungen plötzlich in Echtzeit anstellt. Das macht die Kämpfe aber eine ganze Ecke dynamischer, was ich als sinnvolle Verbesserung empfinde.
Nun ist es auch in der aktuellen Version so, dass man ohne künstlichen Hexersinn manchen Hinweisen nicht folgen kann und einige Interaktionspunkte gar nicht erst auftauchen. Nicht zuletzt sieht man den Animationen ihr Alter ebenso an wie den leicht, im Regen sogar übermäßig stark glänzenden Gesichtern, die im Licht mancher Kerzen zudem sehr einfarbig bestrahlt werden. Die Bedienung des Inventars per Gamepad ist schließlich weiterhin keine Stärke von CD Projekt. Warum wurde das Umschalten der Reiter im Inventar denn zum Beispiel nicht auf zwei der vier Schultertasten gelegt?
Im Gegenzug muss man das Aufsammeln von Pflanzen nicht mehr zusätzlich bestätigen, kann sowohl die Benutzeroberfläche als auch die Weltkarte stärker an seine individuelle Vorlieben anpassen und verschiedene Elemente unabhängig voneinander deaktivieren. Außerdem ist die Einbindung des DualSense gelungen, da PS5-Controller nicht nur Menüeingaben mit spürbaren „Klicks“ quittieren: Man spürt beim Reiten auch, ob Plötze über weichen oder harten Boden galoppiert.
Eine perfekte Neuauflage, die sämtliche Schwächen ausmerzt, ist The Witcher 3: Complete Edition also nicht. Aber das war ohnehin nicht zu erwarten und bevor man Kleinigkeiten oder altbekannte Schwächen hervorhebt, muss man ohnehin die hervorragende Arbeit loben, mit der aus einem kostenlosen Next-Gen-Upgrade im Grunde ein Remaster wird. Ich hatte das im Vorfeld gar nicht auf dem Schirm, aber tatsächlich haben sich manche Studios schon weitaus weniger Mühe mit entsprechend benannten HD-Auflagen gegeben als es CD Projekt – seiner langjährigen Tradition folgend – mit diesem Update tut.
Falls ihr also schon immer wissen wolltet, warum The Witcher 3 so oft als Musterbeispiel für gute Geschichten in einer offenen Welt herhalten musste, oder lediglich schon lange mal wieder Skellige beziehungsweise Oxenfurt besuchen wolltet, dann macht das jetzt. Die Complete Edition ist kein neues Abenteuer, aber die sorgfältige Überarbeitung eines hervorragenden Rollenspiels!