The Wolf Among Us, Episode 1: Faith - Test
Kann Telltale mit seiner anderen großen Comic-Umsetzung aus The Walking Deads Schatten heraustreten?
Man kann lange spekulieren, ob Telltale David Cage und Quantic Dream nicht vielleicht zumindest mal auf ein paar Drinks einladen sollte. In The Walking Dead, mit dem Telltale seine ganz persönliche Spielart des interaktiven Erzähladventures fand, steckte nämlich eine ganze Menge Heavy Rain. Es war nicht an Puzzles interessiert, sondern an Geschichten und wie die Spieler sich in diversen, wenig beneidenswerten Situationen verhalten würden. Mit The Wolf Among Us ist diese Formel nun perfekt. Gerade die Nähe zum jüngst veröffentlichten Quasi-Nachfolger zu Heavy Rain, Beyond, zeigt aber, dass die beiden Teams doch aus unterschiedlichen Hölzern geschnitzt sind.
Quantics David Cage ist in erster Linie ein passabler Regisseur mit vielen guten Ideen, lässt aber in Sachen Autoren-Fertigkeiten einiges zu wünschen übrig. Oft verwechselt er 'kompliziert' mit 'interessant' und stellt die mögliche Wirkung eines Twists über seine Plausibilität im Rahmen des Gezeigten. Zurückhaltung übt er regelmäßig an genau der falschen Stelle (so wurde zum Beispiel in Heavy Rain die Erklärung für die verdächtigen Visionen des gematerten Vaters Ethan Mars unerklärlicherweise gestrichen, nur um ein klaffendes Loch in der Handlung zu lassen). Telltale dagegen weiß um die Macht einfacher Geschichten, leicht verständlicher Dilemmas und guter Dialoge.
Die Kalifornier ziehen viel erzählerischen Esprit aus exotischen Prämissen, anstatt allzu komplexe Handlungsgefüge aufzubauen. In ihren Spielen ist der komplizierte Teil bereits vor den Geschehnissen der Handlung passiert und wichtiger Baustein des Bühnenbildes, nie aber Sinn und Zweck der Geschichte. Denn die ist fast immer entschieden geerdet. Einen verurteilten Mörder vor dem Hintergrund einer Zombie-Apokalypse die Verantwortung über ein achtjähriges Mädchen zu geben ist fesselnder Stoff ohne überflüssige Pailletten. Auch The Wolf Among Us, das auf der fantastischen Graphic Novel 'Fables' von Bill Willingham basiert und etwa 20 Jahre vor den Büchern angesiedelt ist, funktioniert nach einem ähnlichen Strickmuster. Es ist ein mehr oder weniger klassischer Noir-Krimi mit bekannten Archetypen. Die Ermittlungen eines Typen, der als Lebensretter alles andere als geeignet ist, weil es gegen seine eigene Natur geht. Wie soll so einer auf den rechten Weg finden?
Bühne frei
Simpel oder? Der Twist an der Sache ist, dass es sich bei den Figuren um Flüchtlinge aus dem Märchenland handelt, die inkognito im modernen New York leben. Schneewittchen ist die Assistentin von König Cole, dem Chef dieser Schattengesellschaft, Ichabod Crane ist sein Stellvertreter, der Frosch fährt Taxi und ihr, ihr seid der "Big Bad Wolf", hier 'Bigby Wolf', der sich dringend verändern möchte und deshalb der Sherriff der Gemeinde ist. Die Fables, deren Äußeres nicht menschlich ist, müssen sich mit einem elend teuren Zaubertrank eine menschliche Hülle zulegen. Nicht alle können sich dieses Hexen-Elixier jedoch leisten und so werden Verstöße gegen die Tarn-Pflicht mit einer Verbannung auf 'die Farm' geahndet, die die Mythen und Monstren irgendwo auf dem Land im Staate New York beherbergt. Q.e.d.: Die Geschichte ist leicht nachfühlbar, beinahe klassisch, der komplizierte Teil liegt schon hinter den Figuren und ist hauptsächlich für die Würze verantwortlich.
Und was für eine Würze es ist: The Wolf Among Us ist mit seinen knalligen Farben zwischen harten, tiefschwarzen Schatten alleine in Ton und Art Direction so finster und morbide, dass man sich in dieser Welt direkt einwickeln möchte, wie in einer warmen Decke. Auch dieses Spiel Telltaltes beginnt mal wieder auf dem Rücksitz eines Autos, diesmal ein Taxi, denn der Frosch hat Bigby gerufen, um einer heftigen Ruhestörung im zweiten Stock nachzugehen. Hier misshandelt 'Woody', der Holzfäller aus Rotkäppchen und des bösen Wolfs Erzfeind - jetzt aber hoffnungsloser Trunkenbold und Schläger - gerade ein leichtes Mädchen. Ein packender, aber letztlich in seinem Verlauf wohl mehr oder weniger festgelegter QTE-Kampf beginnt, bei dem Bigbys wahre Identität beinahe auffliegt. Doch das Mädchen ist mehr, als es zu sein scheint, und lässt den Sherriff mit mehr Fragen als Antworten zurück. In der Folge entspinnt sich eine düstere Mordserie, in der nichts so ist, wie es zunächst scheint. Bigby untersucht Tatorte, verhört Zeugen und ertappt sie, wenn ihr die richtigen Fragen stellt, beim Flunkern.
Viele der kleineren Entscheidungen sind erneut zeitkritisch und vor allem Werkzeug für euch, euren Bigby so zu verkörpern, wie ihr es wollt. Zu den größeren Entscheidungen gehört dieses Mal (kein Spoiler!), welchem von zwei Hinweisen ihr als nächstes nachgehen wollt und welchem Verdächtigen ihr nachjagt. Ihr habt so etwas mehr Kontrolle über den Ablauf als zuvor und das Spiel versteht es ausgezeichnet, in diesen Momenten beide Optionen als gleichsam valide darzustellen. Hier und da wird man sogar zu einer Machtdemonstration regelrecht verführt (wenn man sich denn verführen lässt), obwohl man weiß, dass man vielleicht besser nicht sollte. Das sagt viel über das erzählerische Talent dieses Teams aus. Spätestens mit dem Cliffhanger zur nächsten Episode, den die Entwickler geradezu quälend zelebrieren, weiß man, dass man das hier zu Ende erleben möchte.
Und das ist es auch, was hängen bleibt. Bisher ist allerdings nicht abzuschätzen, ob sich die Entscheidungen auch befriedigend auf den weiteren Verlauf auswirken. Schon jetzt kann man aber wohl sagen, dass es den Rahmen, in dem sich The Walking Dead bewegte, wohl nicht sprengen wird. Das ging einigen nicht weit genug und für sie ist dieses Spiel dann wohl nicht gemacht.
Alle anderen freuen sich: Die schöne Bildkomposition, die überaus passenden englischen Sprecher und die nun deutlich sauberere Technik (nicht ein Schluckauf in der getesteten PC-Version!) nehmen euch voll und ganz für dieses außerordentlich interessant erzählte Mordsrätsel ein. Handlung und Figuren lassen sich trotz ihrer Übernatürlichkeit und auch ohne aufwendiges 'Performance Capture' mit Leichtigkeit auf eine Ebene runterbrechen, auf der man sich gut in sie hineinfühlen kann. So gut sind sie geschrieben und verkörpert. Vielleicht schaut David Cage für sein nächstes Projekt zur Abwechslung mal bei Telltalte ab. Dann wären sie quitt.