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theHunter: Call of the Wild - Test

Ausgehend von meinen Erfahrungen: realistisch.

Geduld nicht optional: Stundenlanges Anschleichen und hübsche Landschaften in einer so realen wie für die meisten sehr langweilen Simulation

Man muss es theHunter: Call of The Wild lassen: Das "the" vor dem "Hunter" lässt den Namen wirklich selten dämlich wirken. Außerdem: Die Erfahrung ist durchaus realistisch. Ich war in meinem Leben ein einziges Mal mit auf einer Jagd. Ich und zwei eigentlich recht erfahrene Hobby-Jäger zogen aus, um ein Wildschwein auf den Tisch zu bringen. Das Gebiet war klar, der örtliche Förster eingeweiht, die Zeit die richtige, alles lief nach Recht, Ordnung und Plan. Meine Vorstellung war schon, dass man dann irgendwann mit einem Schwein aus dem Wald zurückkommt und es auf den Grill wirft. Die Realität war allerdings, dass wir sechs Stunden durch einen landschaftlich hübschen, aber doch recht leeren Wald wanderten, Stellen fanden, die Wildschweine scheinbar mochten, aber für den Moment mieden und sich das Ganze sonst eher wie Vietnam anfühlte, ohne die Gefahr, beschossen zu werden. Man jagte einen unsichtbaren Feind, war viel zu schwer bepackt, hatte mit Mücken und konstant sinkender Moral zu kämpfen und zu warm war es nach einer Weile auch. All das konnte ich in Ruhe auf dem Rückweg überdenken, während ich auf einem Bic Mac kaute. Das Mittelalter muss schon scheiße gewesen sein, als Plan B hungern statt Drive Through bedeutete.

Wer kein Jagdglück hat kann sich immer noch an der beruhigenden Stimmung erfreuen.

Hunter: Call of the Wild simuliert das Gefühl, zig Stunden durch einen leeren Wald zu laufen, gelegentlich Spuren von Tieren zu finden und widrigem Wetter ausgesetzt zu sein, ziemlich ideal. Ich bin nicht sicher, dass ich das als Vorwurf meine. Das Spiel will ganz offensichtlich kein Action-Alligator-Pseudo-Jagd-Lightgun-Shooter sein, sondern eine solide Simulation, wie das so kommt, wenn man seine Mahlzeit mit einer Flinte aus der Pampa zerren möchte. Ich kann mich dabei zumindest nicht über die Landschaft beschweren. Die Zeiten, in denen "Special Interest Simulator" für "grafisch wenig beeindruckend" stand, scheinen zumindest hier vorbei zu sein. Die beiden extrem ausufernden Gebiete im US-Nordwesten und irgendwo in der Eiffel oder zumindest der groben Gegend sehen wirklich gut aus. Fantastische Sichtweiten, hoher Detailgrad, glaubhafte Vegetation, ich bin wirklich schon durch hässlichere virtuelle Landschaften gerobbt. Allein für den Schauwert kann man sich das also schon für ein paar Stündchen entspannt angucken.

Entspannung ist auch der Schlüssel zum Erfolg. Wer zum ersten Hochsitz sprintet, hat auf dem Weg dahin wahrscheinlich schon alles vertrieben, was er von dort aus hätte sehen können, wenn er langsam und möglichst in der Hocke dorthin geschlichen wäre. Die Tierwelt in Call of the Wild hat ein extrem gutes Gehör, nicht viel anders als in der Wirklichkeit, wo ihr, wenn ihr normal durch einen Wald stapft, auch so gut wie nie was zu sehen bekommt. Dazu kommen ihr Geruchssinn und der Wind. Steht ihr im Wind, kann euch ein Tier über Hunderte von Metern riechen und wird entweder auf weitere Anzeichen von Gefahr achten und gewarnt sein oder sogar gleich abhauen. Man kann es gar nicht oft genug sagen, übermenschliche Geduld und Vorsicht bringen euch ans Ziel, das fast grundsätzlich mehrere Stunden Spielzeit entfernt steht.

Konditionierung und Training sagen mir, dass hinter jedem dieser Heuballen Russen, Aliens, Zombies oder Orks sitzen müssten. Was kümmern mich die Hirsche.

Faule Jäger brauchen übrigens noch viel mehr Geduld. Ihr könnt euch auf einen Hochstand stellen und gucken, ob irgendwas nahe genug herankommt, um zumindest einen halbwegs sicheren Schuss platzieren zu können. Was ihr aber eigentlich tun sollt, ist Spuren suchen und verfolgen. Dazu spaziert ihr los und das Spiel zeigt euch, seid ihr nur nah genug dran, sehr dezent ein paar Spuren. Diese lest ihr dann und in einem Anflug von Nettigkeit und Realitätsferne bekommt ihr einen bunten Richtungspfeil, in welche Richtung welches Tier sich wie schnell von diesem Fleck entfernte. Geht in die Richtung und hofft, dass ihr die nächsten Spuren findet, bevor es die Richtung wechselt. Auf der Karte werden mit Zeitangaben die Spuren eingetragen und ihr könnt so eine Richtung erkennen, in der eure Beute stecken könnte. Folgt ihr lange und vorsichtig genug und früher oder später werdet ihr Sichtkontakt haben.

Um das Ganze ein wenig zu beschleunigen, habt ihr ein paar Hilfsmittel in Form von Lockrufgerätschaften, aber ich hatte meist den Eindruck, dass die Tiere diesen mit fast so viel Skepsis begegneten wie dem Jäger selbst. Ihr müsst sie sehr vorsichtig und gezielt benutzen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Dauertrötend durch den Wald zu spazieren, hatte jedenfalls nicht viel Erfolg. Seid ihr dann endlich nah genug dran und am Drücker ist das Ziel natürlich der ideale Flankenschuss, um einen sauberen Kill hinzulegen. Verwundet ihr das Tier nur, müsst ihr euch im Spiel nicht so schlecht fühlen, wie in der Realität, aber abhauen tut es genauso und ihr müsst dann weiteren Spuren folgen. Manchmal findet ihr es dann verendet irgendwo, andere Male war das arme Viech einfach verschwunden. Der "gute Schuss" ist übrigens auch hier eine kleine Kunst, es dauerte ein paar Anläufe, bis ich meinen ersten sauberen Abschuss hatte.

Jap. Jetzt sehe ich die Blätter von oben. Aber kein Bär in Sicht.

Im weitesten Sinne ist es das dann auch: Schleicht über Stunden durch die beiden Gebiete, genießt die Landschaft, den schicken Regen, Sonnenschein, das sanfte Licht des Sonnenauf- oder untergangs in der "Magic Hour" und lest die Spuren, die euch irgendwann zum Ziel bringen, sei das nun ein Hirsch, Wildschwein oder später dann auch mal ein Schwarzbär. Die Beute wird dann noch fachgerecht zerlegt, um die Simulation des guten Jägers aufrechtzuerhalten und weiter geht es zum nächsten Ziel. Ihr habt auch eine Art Story mit Progression, aber wenn die einzelne Jagd schon ein Geduldsspiel jenseits praktisch jedes normalen Spielers ist, dann erfordert diese eine gewisse Begeisterung bei der Beobachtung von Gletscherbewegungen. Ihr baut Hochstände und Jagdhütten mit dem Geld auf, das euch die Jagd bringt, und rüstet euch auch besser aus. Dazu erledigt ihr auch Missionen, die teilweise ganz nett und vor allem machbar sind - eine bestimmte Tierart auch mal fotografieren zum Beispiel - und manchmal gefühlt unmöglich. Dazu gehört vor allem ein bestimmtes Tier innerhalb eines bestimmten, gar nicht mal so großen Gebiets zur Strecke zu bringen. Das war der Punkt an dem ich die Flinte ins virtuelle Korn warf. Dieser verdammte Hirsch ließ sich dort einfach nicht blicken, auch nach Stunden nicht. Entweder fand ich ihn nicht, oder war zu doof, ihn richtig dorthin zu treiben, sodass er da auch mal stehen blieb, es war mir irgendwann einfach egal.

Es könnte aber auch ein Glitch gewesen sein, denn auch wenn Hunter: Call of the Wild zu den Simulationen gehört, die im Großen und Ganzen stabil und so laufen, wie sie sollen, ganz frei von Allem ist das Spiel nicht. Auf der PS4 hatte ich vor allem das Problem, dass das Anlagen immer mal wieder nicht auf die Eingaben reagierte und das Gewehr, Fernglas oder Lockmittel unten blieb. Erst nach mehrmaligen Drücken reagierte mein Jäger. Kein großes Drama angesichts des Spieltempos, aber immer wieder etwas irritierend. Auf dem PC hatte ich das mit dem Pad auch, aber nicht mit Maus und Tastatur. Dafür war hier die Grafik etwas anfälliger und einzelne Elemente hopsten schon mal herum, was etwas seltsam wirkte. In jedem Falle ist das Interface von der Karte bis zu den Schnelltasten etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch nur das. Wenn ihr einmal drin seid, dann passt das alles. Wie gesagt, hier passierte nichts, was nicht zu verschmerzen war, und da Ascaron eigentlich auch beim Patchen ganz gut hinterher ist, sollte auch das in relativ kurzer Zeit ausgemerzt sein.

Wer Geduld hat, sieht das hier. Nicht unbedingt Nerven, wirklich mehr Geduld.

theHunter: Call of the Wild zeigt sehr klar, dass eine gute Simulation nicht unbedingt ein gutes Spiel sein muss oder auch nur will. Es wäre sicher ein leichtes gewesen, die Gamification der Wildnis bis zum Anschlag hochzufahren, die Tiere in Horden vorbeizutreiben und euch die Kills sammeln zu lassen. Daran hat diese Simulation nicht das geringste Interesse und so ist die Frage nach der Zielgruppe nicht schwierig. Aktions- und erlebnisorientierte Spieler - und damit zu einem guten Teil auch ich - sind bei Call of the Wild außen vor. Ein paar Stunden durch schöne Landschaften wandern, Spuren lesen und dann mal an einem Hirschen vorbeizuschießen ist so weit, wie die meisten kommen werden, bevor sie aufgeben. Habt ihr aber ernsthaftes Interesse an der Jagd, die Geduld dafür, seid ihr vielleicht selbst Jäger oder wollt beim Samstagssaufen des örtlichen Jagdvereins ein wenig mitreden können, dann liegt ihr hier richtig. Hunter: Call of the Wild ist, was es ist. Und das macht es, soweit ich überhaupt in der Lage bin, die Materie richtig einzuschätzen, ziemlich gut. Es ist eine gute Simulation. Aber wirklich kein gutes Spiel.

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