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Thimbleweed Park: "Ein Adventure, wie man sich an sie erinnert, nicht wie sie waren"

Ron Gilbert und die Rückkehr zum Point-and-Click.

Es ist ja kein Geheimnis, dass ich Adventure-Games klassischer Schule schon länger skeptisch gegenüberstehe. Ron Gilbert dürfte Mitschuld daran tragen - und das, obwohl ich sein Werk zu besten Lucas-Arts-Zeiten über alles liebe. Von Maniac Mansion bis Day of the Tentacle (wo er nur noch initialer Ideenlieferant war) ein klarer Fall einer Riege von Spielen, die schlicht und ergreifend so einflussreich waren, dass sie die Kreativität vieler Studios, die ihnen nacheiferten, fast automatisch eng an die Leine nahm. Viele der Nachfolgewerke - mit einigen bemerkenswerten Aufnahmen - wirkten wie Aufgüsse.

Als meinen persönlichen Running-Gag - mit mir selbst und niemandem sonst - zähle ich mittlerweile die Bildschirme, die ein Adventure bis zur ersten Lucas-Arts-Anspielung braucht. Das ist sicher keine wissenschaftliche Erhebung, aber es sind selten mehr als ein halbes Dutzend. Vielleicht bin das auch ich, an dem der Anspielungshumor in der Regel schon immer irgendwie abprallte, aber das ist meistens der Moment, in dem ich ein bisschen Achtung vor den Designern verliere. Mit Thimbleweed Park, Ron Gilberts Rückkehr zum klassischen Point-and-Click, steht der Fall nun etwas anders. Wenn ich hier Kettensägenbenzin finde und der Spielcharakter beim Aufheben sagt "Mach' dir keine Hoffnungen" - dann muss ich einfach lachen.

'Wir versuchen, nur Anspielungen zu machen, die wir auch in einen Scherz verwandeln können' - Ron Gilbert

Da blitzt er durch, der Geist alter Lucas-Arts-Titel, der durch schieres Kopieren nicht einzufangen ist und auf den man auch nicht einfach mit dem Finger zeigen kann. Lustigerweise sieht Gilbert das genauso, als ich mich mit ihm in Berlin treffe. "Ich bin selbst nicht genau sicher, woher dieser Charme kam, könnte jetzt nicht sagen: 'Schau, wenn wir diese drei Dinge machen, fangen wir den Charme der alten Spiele ein'. Wir wollten einfach ein neues Spiel auf dieselbe Art bauen wie die alten und schauen, ob uns so etwas noch einmal gelingt.

Dazu gehört auch, nicht einfach nachzuäffen, was man bereits mehrfach durchgekaut hat. Thimbleweed Park beginnt als Krimi - mit einer Leiche, die mit dem Gesicht nach unten im Rinnsal liegt. Die ersten beiden Protagonisten der insgesamt fünf spielbaren Protagonisten sind keine verschrobene Karikatur eines beliebigen Klischees (Möchtegernpirat oder dergleichen), sondern FBI-Agenten unterschiedlicher Grade an Hartgesottenheit. Die entschlüsseln nach und nach, was in der angrenzenden, wie ausgestorbenen Stadt passiert ist. Der Look mit seinen großköpfigen Figuren ist Maniac Mansion, der Ton vergleichbar mysteriös, aber eher auf eine Twin-Peaks- als auf eine Scooby-Doo-Art. Die typisch albernen Spleens spielen sich zwischen den eigentlichen Handlungs-Beats ab, weniger im eigentlichen Plot. Zumindest soweit ich es bisher in der Vorabversion spielen konnte.

'Neue Spieler sollen sich wegen der Anspielungen nicht ausgeschlossen fühlen. Das Spiel macht trotzdem Spaß, weil sie den Humor verstehen' - Game Designerin Jenn Sandercock

Man hat vom Fleck weg das Gefühl, Gilbert hatte eine Geschichte zu erzählen, wohingegen viele späte Point-and-Click-Adventures in erster Linie offenbar um ihre Rätsel oder eine schräge Szenario-Idee herum gestaltet wurden. Die Reaktion darauf waren irgendwann Adventures der Marke Gone Home und The Walking Dead, die Puzzles fast komplett ausklammern. Gilbert sucht nun nach einem Weg, Rätsel, Humor und Erzählung wieder zu versöhnen. "Zurück zu den Wurzeln", wie er es sagt. Denn so sehr er die grundlegenden Mechanismen des Genres auch liebt, als Teil von Lucasfilm - der Firma, die für Star Wars und Indiana Jones verantwortlich war - sei er damals sehr damit beschäftigt gewesen, die Kunst des Geschichtenerzählens zu studieren.

"Zum einen ist da dieser interessante Mordfall, aber der ist nur die Spitze des Eisbergs", erklärt Gilbert. "Darunter spielt sich eine ganz andere Handlung ab, die nahtlos mit den Puzzles verwoben ist. Die Rätsel fühlen sich deshalb nicht ausgesondert an, sondern als Teil derselben Sache, die einen durch die Geschichte treibt." Nach gut drei Stunden mit der Demo muss ich sagen, das Rätseldesign ist stimmig, auch wenn mir viele Interface-Eigenheiten - Benutze Glas Wasser in Mikrowelle. "Sie ist geschlossen!" - nach meinem Geschmack gerne noch etwas weniger kleinschrittig gelöst sein dürften. Die Suche nach Druckertinte zum Beispiel wirft am Ende zwar etwas ab, das ich keinem Elektrogerät jemals einflößen würde, aber ich stand nicht einmal auf dem Schlauch, weil das Spiel clevere Hinweise und eindeutige Bildsprache nutzt.

Thimbleweed Park will die Handlung nahtlos mit den Puzzles verweben.

"Vom Design-Standpunkt aus gesehen, gingen Adventures ein wenig den Bach runter, weil die Puzzles viel zu obskur wurden", so Gilbert. "In vielen Spielen beginnt man irgendwann , zufällige Items miteinander zu kombinieren, was viele Leute frustriert. Ein gutes Adventure-Puzzle ist eines, das herausfordert, aber nicht frustriert. Man sollte sich nicht fühlen, als würde man gegen den Spieldesigner ankämpfen. Ich finde, viele Adventures haben in der Hinsicht einen wirklich schrägen Weg eingeschlagen. Aber wir kämpfen uns gerade da heraus."

Die klare Struktur der ersten Spielstunden hilft hier deutlich, man weiß immer, was zu tun ist, versteht die aktuelle Problemstellung, auch weil jeder Charakter über ein Notizbuch verfügt, in dem seine aktuelle Agenda stichpunktartig festgehalten wird. "Das hilft, die Leute bei Konzentration zu halten", sagt Gilbert und hat recht damit. "Streamlining ohne Herunterdummung" nennt er das sinngemäß. Heute sind Puzzles in Adventures häufig so designt, dass man nach einer Lösung für ein Problem sucht, das man noch gar nicht kennt. Gilbert sieht das ähnlich. "Das ist eine der zentralen Herausforderungen von Adventure-Design. Ich nenne diese Art Rätsel 'Rückwärts-Puzzle'."

'In neuen Adventures wie Walking Dead haben die Puzzles eine untergeordnete Rolle, mit Thimbleweed Park will ich zu den Wurzeln zurück und Geschichte und Rätsel kombinieren' - Ron Gilbert.

Die Lösung dafür: "Immer erst eine Tür finden, bevor man über den Schlüssel dazu stolpert. Das ist das Erste, worauf wir achtgeben, wenn wir ein Puzzle designen: Sicherstellen, dass die Leute immer zuerst ein Problem präsentiert bekommen und sich dann auf die Suche nach der Lösung machen. Verstreute Gegenstände zu finden und dann alles mit allem zu kombinieren - für mich ist das ein Zeichen schlechten Designs. Wann immer man diesen Punkt erreicht, wurde das Puzzle dem Spieler nicht eindeutig kommuniziert."

Solche Rätsel designt man allerdings nicht von selbst. Viele Stunden Playtesting sind dafür vonnöten, bei denen das Team wildfremden Leuten unterschiedlicher Erfahrungsgrade beim Spielen zuschaut. "Wir haben Hunderte Stunden Playtesting hinter uns. Wir holen Leute ins Studio und schauen ihnen beim Spielen zu", so Gilbert. Tatsächlich könne er sich an keinen Fall erinnern, in dem die Leute begannen, wild im Inventar herumzukombinieren. "Immer verstanden sie die aktuelle Problemstellung. Das ist gutes Design."

Ganz wichtig für Gilbert: 'Rückwärts-Puzzles' vermeiden!

Hunderte Stunden fremden Leuten beim Spielen zugucken? Vor allem, wenn ich den Weg und die Lösung bereits kenne? Klingt für den miserablen Beifahrer in mir nach einer absoluten Horrorvorstellung. Gilbert sieht darin jedoch eine Chance. "Ich finde das gut. Wenn ich jemandem dabei zuschaue, wie er eine halbe Stunde lang Probleme hat, kann ich richtig verinnerlichen: Das ist ein schlechtes Puzzle, das ich reparieren muss. Das sind Informationen, die mir helfen, das Spiel immer ein bisschen besser zu machen." Oft ist das schon damit getan, eine andere Wortwahl in einem Dialog zu treffen und den Spieler so auf den rechten Weg zu bringen.

Ein anderes Problem, das sich in Adventures schon mal einschleichen kann, löst Thimbleweed Park aber zumindest zu Beginn noch nicht komplett: Das Pacing - also der Erzählrhythmus - hinterlässt aktuell noch das eine oder andere Fragezeichen. Die Mordermittlung hat kaum begonnen, meine Agenten kenne ich noch gar nicht recht, da wird auch schon Charakter Nummer drei, Delores, in einer weiten erzählerischen Ausholbewegung deutlich dreidimensionaler porträtiert, während ich mich frage, warum ich das ausgerechnet jetzt wissen muss. Immerhin: Von Moment zu Moment macht der Ablauf sehr viel Spaß, weil Wortwitz und Stimmung größtenteils auf den Punkt sitzen (freche Notiz aus den "Known Issues" der Vorabversion: "Unlustige Witze werden durch lustige ersetzt"). Und dann ist da noch der versprochene Rest des Eisberges, dessen Spitze die Leiche zu Beginn darstellt. Insofern harre ich geduldig der Bögen, die die Handlung noch spannen möge.

Der Hut steht ihm gut: Ron Gilbert (li.) zeigt Alex Thimbleweed Park.

Stilistisch stimmt jedenfalls schon mal alles, wenngleich sich Gilberts Team die Freiheit nahm, optisch Dinge zu modernisieren, die die Vision des "besten Adventures, das ihr 1987 nie gespielt habt" nicht kompromittieren. Ein Mülltonnenfeuer beleuchtet danebenstehende Figuren hübsch, der Hintergrund scrollt in mehreren Parallax-Ebenen und überhaupt - eines dieser Spiele mit butterweichem Scrolling zu erleben, ist für ein Relikt der Achtziger, wie ich eines bin, schon ein kleiner magischer Moment.

Also ja: Ich kann immer noch gut damit leben, die Altvorderen dieses Genres alle paar Jahre mal für ein, zwei nostalgische Abende herauszukramen. All die neuen Titel, die unentwegt darauf bestehen, mich an die Klassiker zu erinnern, als könnte ich sie je vergessen, brauche ich auch weiterhin nicht. Aber Thimbleweed Park - das dürfte als Selbstreflexion eines (noch gar nicht so) alten Meisters ebenso funktionieren wie als faszinierende Videospielzeitkapsel der Marke Shovel Knight. Bei aller Bescheidenheit, die Gilbert und sein Team demonstrieren, schwingt hier nämlich ein Selbstbewusstsein mit, das man wohl nur als Mitbegründer einer ganzen Bewegung in ein Projekt einfließen lassen kann. Das Resultat kennt den Unterschied zwischen "innig vertraut" und "tausendmal dagewesen". Schön.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
In diesem artikel

Thimbleweed Park

Android, iOS, PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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