This War of Mine - Test
Die Sims 4: Posttraumatische Belastungsstörungen!
Keine Ahnung, wann das genau passiert ist, aber ich bin irgendwann diesseits der Dreißiger doch ziemlich sentimental geworden. Der Trailer zu Valiant Hearts war zu viel für mich, meiner Frau eine Schlüsselszene von Interstellar - der mich im Kino eigentlich kalt gelassen hatte - nachzuerzählen, hat mir bei voller Fahrt auf der A24 nach Schwerin so die Sicht verwässert, dass ich fast die Scheibenwischer angestellt hätte. 11 bit Studios' This War of Mine sah ich deshalb mit gemischten Gefühlen entgegen.
Die Prämisse eines Kriegsspiels, in dem man ausnahmsweise nicht als John McShrapnel den Feinden der Freiheit zeigt, wo das "Star Spangled Banner" hängt, sondern einen Konflikt aus Zivilistenperspektive inszeniert, ist aus vielerlei Gründen interessant. Gleichzeitig hatte ich mit zynischen Fingern platzierte Moralfragen und Betroffenheitstourismus befürchtet, der zielgenau den Haupthahn meiner emotionalen Sprinkleranlage anvisieren würde. This War of Mine aber geht die Folgen eines militärischen Konflikts in Zivilgebieten mit einer fast nachrichtensendungsartigen Nüchternheit an, die dem Thema den gebotenen Respekt entgegenbringt.
Wie auch die TV-Nachrichten macht dieser Krieg eher betroffen als traurig, er deprimiert und erschüttert stellenweise sogar, aber er versucht nicht, euch zu rühren. Das wäre dieser Sache auch nicht dienlich. Diese Sache - das ist der Knackpunkt, an dem sich die Geister scheiden werden. Brauchen wir ein Spiel, das uns erinnert, wie schlimm Krieg eigentlich ist? Jeder halbwegs aufgeklärte Mensch, dem die Ohren wegen der viel publizierten Prämisse dieses Titels aus Polen spitz wurden, ist sich dieser Tatsache bereits vollauf bewusst. Der Rest... nun, ich bin ziemlich sicher, der ist nicht der Markt für dieses Spiel. Dann wiederum: Wenn in ihrer Überzeichnung moralisch bereinigte Shooter-Machtfantasien mit Kaliber .50-Scharfschützengewehren, LMG-Geschützsequenz und Drohnenfernsteuerung mit stoischer Distanziertheit zum eigentlichen Thema auf ihren potenziellen Unterhaltungswert abgeklopft werden, warum dann nicht auch die schmutzigen Ecken des Krieges? Muss man nicht spielen, ganz bestimmt nicht. Aber die Existenzberechtigung ist nicht geringfügiger gegeben als woanders.
11 bit Studios nahm sich also ein fiktives osteuropäisches Land, in dem drei Überlebende den letzten Evakuierungstrek verpasst haben und sich nun in einem zerbombten Apartmenthaus verschanzen. Raus geht's nur bei Nacht, weil bei Tag die Rebellen Scharfschützen auf den Dächern postieren. Tagsüber bastelt man aus gesammelten Ressourcen Barrikaden für die Löcher in den Wänden, zusätzliche Betten, eine Werkbank für Metallarbeiten oder einen Sammeltrichter samt Filter für Regenwasser. Die Grafik ist tristes grau-braun mit skizzenhaftem Bleistiftfilter, das Interface entschieden Point and Click. Schickt den ehemaligen Koch an euren improvisierten Herd - und dann entscheidet, welche der drei hungrigen Mitbewohner eine der zwei Portionen Eintopf bekommen, die aus Dosengemüse, (hoffentlich) Hühnerkeule und einer Flasche Regenwasser entstanden sind. Ist der Tages-Timer ausgelaufen, entscheidet ihr, wer schläft, wer Wache steht und wer sich im Schutze der Dunkelheit nach draußen traut, um an Orten verschiedener Gefahrenstufen und Lukrativität Vorräte zu sammeln.
Der Ablauf gleicht Roguelikes wie FTL: Faster Than Light, nur dass ihr hier versucht, mit dem Ausbau eurer Kapazitäten Tag für Tag bis zum Ende des Konflikts rumzubringen, anstatt ein Schiff quer durch die Galaxis zu schicken. Eine Prise The Sims 4: Adventures in Post Traumatic Stress dazu und ihr wisst samt Zufallsereignissen und Stimmungsschwankungen eigentlich genau, was euch erwartet. Ihr jongliert unmittelbare und langfristige Bedürfnisse, schmiedet Pläne und werft sie wieder über den Haufen, weil euch etwas dazwischen gekommen ist - eine Kugel zwischen den Rippen zum Beispiel. Ihr trefft taktische Entscheidungen, verheizt ihr die vorhandenen Bücher, um der Kälte und möglichen oder tatsächlichen Erkrankungen beizukommen oder das vorhandene Holz? Bücher heben die Moral im Lager, während Holz unabdinglich für fast jegliche Baumaßnahme ist, etwa, um Eindringlinge draußen zu halten - fern von euren Vorräten. Es ist die ewige Lose-lose-Situation. Macht das Beste draus!
"Unterwegs trefft ihr fast von alleine viele nachvollziehbare moralische Entscheidungen, die das Spiel niemals telegrafiert oder sichtbar auswertet."
Unterwegs trefft ihr fast von alleine viele nachvollziehbare moralische Entscheidungen, die das Spiel niemals telegrafiert oder sichtbar auswertet. Das übernimmt dann euer Gewissen, wenn ihr jemanden, der euch flehte, sich euch anschließen zu dürfen, fortschickt, weil ihr euch nicht sicher wart, wie viele hungrige Mäuler ihr stopfen könntet. Oder weil nach einem Tötungsdelikt in Notwehr - oder etwas, das sich in dem Moment wie Notwehr anfühlte - eine Welle von Depression durch euer Lager fegt, die durchaus auch im Suizid eines eurer wertvollen Kriegs-WG-Mitglieder resultieren kann.
Hier lag für mich vielleicht der einzige Knackpunkt, dieses so mühelos über Stunden fesselnden Spiels der Entbehrungen: Nach einer Weile waren meine eigenen Leute nur mehr Aktivposten für mich, denen ich unterschiedlichen Wert für das Kollektiv beimaß, anstatt mehr oder weniger Sympathie für sie zu empfinden. Als Boris starb, war das für mich vornehmlich schlimm, weil der Kraftprotz jede Nacht 17 Slots an Vorräten in seinen Rucksack stopfte, fast ein Drittel mehr als der nächstbeste Plünderer meiner Wohngemeinschaft. Als Katia von mir ging, bedauerte ich in erster Linie, dass ich für Tauschgeschäfte am nächtlichen Marktplatz nun deutlich mehr Ressourcen auf den Tisch legen musste. Sie war eben die Feilscherin unserer Clique. Es ist schade, dass ein Spiel, das eigentlich die Geschicke der Menschen in den Vordergrund stellen wollte, gerade dies nicht vollends schafft, eben weil es jedem Charakter einen bestimmten Nutzen zuschreibt.
Besser gelingt das schon bei den NPCs, auf die ihr bei euren nächtlichen Raubzügen trefft. Fast immer fahrt ihr am besten, wenn ihr ihnen aus dem Weg geht. Als ich in der Mitte eines meiner Raubzüge realisierte, dass ich gerade im Begriff war, einem alten Ehepaar ihre Überlebensgrundlage streitig zu machen, habe ich fast bis zum Anbruch des Morgengrauens im Keller gesessen und mit mir gehadert. Ist es noch ok, wenn ich nur die Hälfte der Nahrung nehme? In einer anderen Situation schlich ich mich mit gezücktem Messer an einen bewaffneten Plünderer heran, der mich dann allerdings entdeckte und zu meiner Überraschung sagte, im Supermarkt sei sicherlich noch genug für uns alle da.
Doch derartige lichte Momente verwehrt einem This War of Mine in der Regel. Anders als Valiant Hearts - das andere großartige Antikriegsspiel in diesem Jahr entfaltete gerade im Bruch mit der Realität seine Wirkung - ist This War of Mine eine Übung in Vergeblichkeit. Dass sie die Form eines interessanten Basenmanagementspiels samt statischer, aber zweckmäßiger Stealth-Knobelei annahm, ist die einzige, wenngleich bedeutsame Konzession an Leute, die klassische Spielsysteme schätzen. Ansonsten muss man hart im Nehmen sein, weil sich die meisten Erfolgserlebnisse vom Fleck weg von selbst relativieren, etwa, weil man nach ertragreicher Nahrungssuche genau so gut oder dringender Baumaterialien hätte gebrauchen können und umgekehrt. Und nicht jede Blessur, die eure Schützlinge erleiden, ist mit Pillen oder warmen Worten zu kurieren.
Als ich nach 26 Spieltagen vor den entvölkerten Trümmern meines mühsam aus verstaubtem Schrott und den Hoffnungen fremder Leute zusammengezimmerten Lagers stand, hatte ich keine Tränen in den Augen. Aber ich wusste echt und ehrlich nicht, wie mir gerade geschehen war. Von welchem Spiel kann man das schon behaupten?