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Filmkritik: Thor

Göttlich

Ich bin ja bei Lippenbekenntnissen von Schauspielern und Regisseuren immer skeptisch. Kaum bekommen sie eine einträgliche Rolle im Blockbuster-Bereich angeboten, sind sie auf einmal alle Star-Wars-, Star-Trek-, Herr-der-Ringe- oder Comic-Fan. Bei Shakespeare-Darsteller und -Regisseur Kenneth Branagh witterte ich eine ähnlich opportunistische Einstellung. Gerade er, der Mann für gehobene Kinounterhaltung und feingeistige Literatur-Verfilmungen, soll als kleiner Junge Thor-Hefte verschlungen haben. Genau. Und ich las mit Neun zum ersten Mal Hamlet und konnte mit Zehn Macbeth rezitieren. Blödsinn.

Entsprechend kritisch ging ich als echter Thor-Fan und Comic-Nerd an diese ungewöhnliche Verfilmung heran. Schließlich habe ich zu "guten" Condor-Zeiten Dutzende Bände seiner Abenteuer besessen. Seine tragische Verbannung auf die Erde miterlebt. Seine Zeit als Dr. Donald Blake und sein Kampf gegen alle möglichen irdischen und überirdischen Wesen. Sprache und Storys immer ein Mischung aus Pathos und großem Theater. Immer ein wenig zu schwülstig, immer ein wenig aufgesetzt und geschwätzig. Ein großes Schmierentheater mit Herz und Lust an epischen Erzählungen. Ganz im Sinne des Wortes, nicht nur in Form von dicken Explosionen und gewaltigen Schlachten.

Und genau in diesem Wirrwarr von Liebe und Hass, Ehre und Verrat, Vaterliebe und Ödipus-Komplex hat Branagh seinen Thor gefunden. Eine Figur, die sich nicht allzu Ernst nimmt, ohne jemals ins Lächerliche abzugleiten. Unterstützt durch einen hervorragenden Cast, gute Effekte und einen ebenso guten Ausstatter entstand so eine der besten Comic-Verfilmungen im Jahr 3 nach The Dark Knight. Ein Wunder, bei dem ich mir aber seltsamerweise nicht sicher bin, ob ich mir eine Fortsetzung wünsche.

Der Grund? Die Genesis und der Absturz des Gottes, der Konflikt mit seinen Bruder Loki und seinem Vater Odin (eindringlich gespielt von Anthony Hopkins) bleiben nach Hunderten Comics der Höhepunkt seines Superhelden-Daseins. Sein Absturz als Thronfolger, der an der eigenen Kampfeslust und den Intrigen Lokis scheitert, liefert eine Fallhöhe, die ihresgleichen sucht und den Reiz dieser Thor-Verfilmung ausmacht.

So beginnt dann auch dieses Epos mit einem Bestrafungskommando durch den erzürnten Donnergott. Er will die Eisriesen für einen Diebstahlversuch zur Rechenschaft ziehen, fährt begleitet von vier wackeren Asen hinab in ihre dunkle Eiswelt und fordert den dortigen König heraus. Eine kleine Beleidigung genügt und es herrscht Krieg. Schick inszeniert, liefert Thor hier hervorragende Fantasy-Action mit mächtigen Zaubersprüchen, riesigen Monstern und mystischen Waffen. Also alles, was die Serie schon immer ausmachte und noch heute so begeistert.

Thor - Trailer

Doch abseits dieser fantastischen Dramen und Abenteuer, die in ihrer bildgewaltigen Wucht in einigen Momenten Herr-der-Ringe-Ausmaße erreichen, fasziniert auch die andere Seite der Medaille, die anschließende Verbannung auf die Erde und damit die Menschwerdung eines Gottes. Denn kaum hat Odin seine Entgleisung bemerkt, schickt er ihn ohne Kräfte zur Erde. Nur wenn er Demut gelernt hat, soll er über seinen magischen Hammer Mjölnir wieder nach Asgard aufsteigen dürfen. Und genau an dieser Stelle bricht Branagh die schwülstige Geschichte und bringt eine große Portion Humor mit hinein. Seine ersten Schritte auf der Erde, sein Treffen mit der Polarlicht-Forscherin Jane (Natalie Portman) und ihrer skurrilen Entourage geben der Geschichte wieder eine Leichtigkeit, die den pompösen Anfang konterkariert.

Selbst die Besetzung des relativ unbekannten Chris Hemsworth als Thor entpuppt sich hier als Glücksgriff. Der blonde Modellathlet wirkt als selbstsicherer Donnergott, der versucht, sich als kraftloser Elefant durch den Porzellanladen der Menschheit zu prügeln und an seiner eigenen Hybris scheitert, fast bemitleidenswert. Man nimmt ihn seine eigene Läuterung ab, versteht, wie er Demut lernt, um die, die ihm nah sind, vor Lokis Intrigen zu schützen. Allein seine Liebesgeschichte mit Jane erscheint im ersten Moment albern, Natalie Portman zu hölzern und unsicher. Es fehlt die Konfrontation mit seiner eigentlichen großen Liebe Sif, die im Film einfach nur als Nebenfigur abgehakt wird. Eine nachträgliche Änderung, um Portmans Superstar-Rolle gerecht zu werden? Und auch der 3D-Effekt ist eher mau. Zum Glück ist er aber nie zu aufdringlich oder wie bei Kampf der Titanen so schlecht, dass man sich die Brille vom Kopf reißen möchte. Trotzdem stelle ich mir die Frage, ob ich ihn beim zweiten Mal nicht lieber ohne das aufgesetzte 3D erleben möchte.

Doch auch wenn nicht alles Gold ist, was dort in Asgard unter dem Sternenzelt glänzt, sind es zwei wirklich packende Stunden Kino, die Comic-, Action- und Fantasy-Fans gleichermaßen begeistern. Mit viel Charakter, einer spannenden Geschichte und großartigen Szenen gelingt gerade Shakespeare-Regisseur Branagh eine Gratwanderung, an der viele seiner Kollegen scheiterten. Eine glaubwürdige, quellentreue und doch fantasievolle Umsetzung eines vielschichtigen Ausgangsmaterials. Irgendwo zwischen Pathos, bombastischer Action und genau der richtigen Portion Humor findet er seine ganz eigene, sehr entspannte Sicht auf das Phänomen Comic und dessen Umsetzung in Bewegtbilder. Qualitativ für mich besser als Iron Man und all die anderen Marvel-Streifen. Und damit in der Hitliste der Superhelden-Verfilmungen nach The Dark Knight auf einem verdienten zweiten Platz. Mehr davon.

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