Tom Clancy's H.A.W.X.
Top Gun statt Air Force
Ihr streicht am besten aus dem Wort Flugsimulation das „Flug-“ und ersetzt es durch „Action-“. Man muss H.A.W.X. wohl als ein Ballerspiel nehmen, als eine Art modernes UN-Squadron in 3D, und so kommt man den durchaus vorhandenen Qualitäten näher. Die Dogfights erleben hier endlich einmal das cineastische Feeling, das ihnen keine Simulation bieten kann.
Per Knopfdruck geht es in eine herausgezoomte Kameraperspektive, die es Euch erlaubt, wilder als Maverick persönlich herumzurudern, bis zum Stall zu drehen, Euch trudelnd fallen zu lassen, kurz vor dem Acker die Nase hochzureißen und im Augenwinkel die Euch verfolgende Rakete ins Feld einschlagen zu sehen. Ihr startet durch und setzt Euch hinter den ehemaligen Verfolger und schickt ihm mit einem „Fox 2! Clean Separation!“ Stahltod hinterher.
Es sind diese kleinen Momente, in denen H.A.W.X. lebt und zeigt, dass die Hülle vielleicht lieblos sein mag, das Herz des Spiels aber kräftig pulsiert. Es kann, wenn man es mal lässt. Und in den glücklicherweise überwiegenden Momenten, in denen die Action das richtige Maß zwischen Langeweile und zu viel des Guten findet, erlebt Ihr Top Gun, nur schneller. Die Optik macht dem sicher keinen Strich durch die Rechnung. Zwar schafft es H.A.W.X nicht, sich über das inzwischen zwei Jahre alte Ace Combat zu stellen, hübsch sieht es trotzdem aus. Sattelitendaten sorgen für realistische Szenarien von Chicago oder Rio, und die Nase kurz vor Downtown über dem Wasser hochzuziehen und dann mit getipptem Flügel zwischen zwei Wolkenkratzer hindurch der Rakete zu entkommen, ist ein großer Moment. Selbst wenn nicht jede Textur wirklich überzeugt.
H.A.W.X. kann begeistern wenn es will und das auch mit eigentlich zu wenig Kontrollmöglichkeiten. Es kommt häufig vor, dass Ihr Euch wünscht, das nächste Ziel genau bestimmen zu können. Statt einer elaborierten Zielaufschaltung bietet man Euch einen Knopf zum Weiterschalten. Probiert damit mal, die SAM-Stellung in einem Wust aus Bodenzielen herauszupicken.
Zumindest hilft Euch das ERS (Enhanced Reality System)-System aus gefährlichen Lagen oder das einmal gewählte Ziel zu erreichen. Ein angezeigter Korridor bietet Euch den besten Fluchtweg vor einer Rakete und meist unterstützt es Euch gut darin, aus der Misere zu entfleuchen. Fast ein wenig zu gut, denn bis auf die letzten Missionen, in denen die Feindzahl deutlich nach oben geschraubt wird, kommt Ihr dank teilweise hunderter Raketen an Bord und einer selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad nicht ganz realistischen Schadenstoleranz gut über die Runden.
Schön wäre es auch gewesen, die eigene Payload bestimmen zu können. Für jeden Flieger gibt es zunächst ein Waffenpaket, weitere Konstellationen schaltet Ihr nach und nach über das Erfahrungspunkte-System frei. Für Abschüsse, besondere Taten, wie den Tausendsten Kill mit einer Bombe, sowie das Bewältigen von Missionen gibt es Punkte. Den Punkten folgen Levelaufstiege und damit kommt Ihr zu neuen Fliegern, frischen Waffenpaketen und einem Ranking, das Ihr in den Multiplayermodus mitnehmt.
Der Luftkampf mit und gegen menschliche Flieger verlässt sich ganz auf seinen eigenen Reiz, statt mit innovativen Spielmodi zu glänzen. Ihr könnt mit bis zu vier Piloten auf jeder Seite zum Deathmatch antreten, das war es auch schon. Zumindest lassen sich Freundeslisten zusammenstellen, sodass Ihr mit einem Wingman unterwegs seid, auf den Ihr Euch verlassen könnt.
Der Modus funktioniert anständig, ohne große Lags und im Wesentlichen unspektakulär. Und macht dank der simplen Ballermechanik der Flugphysik richtig Spaß. Ranglisten heraufzuklettern und zumindest im oberen Drittel der Aces zu landen, reicht als Motivation für eine ganze Weile. Danach enttäuscht H.A.W.X. leider mit inhaltlicher Leere.
Insgesamt ist Tom Clancy´s H.A.W.X eine Enttäuschung auf hohem Niveau. Ein Spiel, das mit ein wenig mehr Politur, Umfang und Kreativität bei Missionen und Multiplayer zu einem der besten (Flug-)Actiontitel des Jahres hätte werden können. Es reicht immer noch für eine verhaltene Empfehlung, insbesondere für Freunde von Ace Combat auf der Suche nach Abwechslung. Aber die geringe Zahl der Missionen, speziell die der gut designten, die Abwesenheit eines über das notwendige Minimum herausragenden Multiplayers – wäre eine Art Luft Capture the Flag wirklich so schwer gewesen? – und die nur rudimentär hingeworfene Handlung reichen nicht, um H.A.W.X. in höhere Regionen aufsteigen zu lassen.
Dies gilt auch alles nur unter dem Vorbehalt, dass dies ein Action-Game ist. Wer wirklich und ernsthaft hier mit einer Simulation rechnete, sollte sich stattdessen lieber schnell einen PC kaufen. Den Falcon schaudert es angesichts der Konzessionen H.A.W.X' an die Massentauglichkeit. Hier wurde alles auf Zugänglichkeit und schnellen Ballerspaß getrimmt und den bekommt das Spiel wirklich gut hin. Das Fliegen und Kämpfen mit den daraus entstehenden kleinen Actionszenen sind das sichere Kapital, das genügt, um die Defizite an anderer Stelle auszugleichen. H.A.W.X. macht Spaß. Aber es hätte so viel mehr sein können.
H.A.W.X ist ab sofort für PS3 und Xbox 360 zu haben. Die PC-Version folgt am 19. März.