Tomb Raider: Anniversary
Alte Liebe, neues Glück
Ein weiteres Kompliment, das man Leveldesign und Spielmechanik machen muss, ist der weitestgehende Verzicht auf das, was gängige Spiele unter „Action“ verstehen. Das soll nicht heißen, dass es in Tomb Raider: Anniversary keine Action gibt. Sie sieht nur anders aus.
In Tomb Raider bedeutet Action, aufgrund eines schlecht getimten Sprunges unglücklich von der Nasenspitze einer kolossalen, unterirdischen Sphinx zu baumeln, nach einem Sturz ins Wasser von Gottweißwo das hungrige Zischen eines Krokodils zu vernehmen und von einem herabstürzenden, riesigen Schwert um Haaresbreite zu Aufschnitt verarbeitet zu werden. Solche Dinge passieren oft aus dem Nichts und treiben den Puls regelmäßig in fast ungesunde Höhen. Es sind diese Momente, die einem nach längerer Erkundungs- oder Kletterphase – man entschuldige den Ausdruck – urplötzlich den Arsch auf Grundeis gehen lassen. Und wenn man doch mal den berüchtigten „Schritt zuviel“ getan hat, ist das faire Checkpoint-System da, das einem wieder auf die Beine hilft.
Und so kümmert es auch nur wenig, dass die wenigen Kämpfe tatsächlich eher schlecht als recht gelungen sind. Meist springt man nur im Quadrat und gibt Dauerfeuer, bis man das angreifende Raubtier zu Thüringer Mettwurst verarbeitet hat. Das Getier stellt eigentlich nur einen weiteren Unsicherheitsfaktor in einer gefährlichen Spielumgebung dar: Wer einmal einen Steinblock aus einem dunklen Loch gezogen hat, nur um daraus von einem auf der Lauer liegenden Panther unter lautem Gebrüll angesprungen zu werden, dem fällt schon mal das Joypad aus der Hand. Den Knackpunkt „Feuergefechte“ räumt also auch Anniversary nicht aus der Tomb Raider-Welt – schlechter wird es durch das bisschen Chaos aber keineswegs.
Wirklich traurig war ich nur darüber, dass ein ganz bestimmter Gegner deutlich unter der Modernisierung gelitten hat, aber das nehme ich ungern vorweg. Bezüglich der von mir so gefürchteten Quicktime-Events kann ich übrigens Entwarnung geben. Crystal Dynamics hat nur einige der Zwischensequenzen mit diesen simplen Reaktionstests unterlegt. Halb so wild und für alte Tomb Raider-Hasen sicher kein Grund, nicht noch einmal den Ranzen zu schnüren und die Berettas zu ölen.
Für gute Zeiten, entdeckte Artefakte und dergleichen erhaltet Ihr lohnenswerte und schöne Unlockables, wie den extrem gelungene Time Trial, neue Outfits oder interessante Entwicklerkommentare, die on the fly in den Level eingespielt werden können. Die größten Belohnungen schüttet das Spiel aber Stück für Stück während des Storymodus aus. Wenn man einen unwirklich großen, überfluteten Raum mit zwei gigantischen Horus und Anubis-Götzen betritt und dabei die zeitlose Titelmelodie einsetzt, wirft die Haut eines jeden Hobbyarchäologen dicke Gänsenoppen. Trägt Eure Aufmerksamkeit nach mehreren lebensmüden Manövern mit dem letzten verbleibenden Kleinod eines Abschnittes endlich Früchte, kann man zwar fast die Blasen an den Fingern spüren, glücklich ist man dann aber trotzdem - wenn auch nur für einen Augenblick.
Tomb Raider Anniversary ist ein wichtiges Statement: Ein langsamer, aber ungemein unterhaltsamer Abenteuertrip in einer Zeit, in der Games immer schneller, flashiger und oberflächlicher werden. Crystal Dynamics bekommt es hin, unglaubliche Entdeckerlust zu wecken und das ist etwas, das andere Entwickler scheinbar schon lange aufgegeben haben. Es ist schon erstaunlich, wie Anniversary der Branche mit demselben Rezept wie schon vor elf Jahren neue, andere Impulse gibt. Ein gutes Spiel wird eben nie wirklich alt, es bedarf nur der passenden Verpackung. Und die ist den Kaliforniern einfach unglaublich gut gelungen.
Wie sehr Ihr selbst Tomb Raider: Anniversary haben müsst , hängt ganz davon ab, was Eure Vorstellung von einem guten Abenteuer ist. Sind Eure Träume noch dieselben wie unsere damals? Meine sind es jedenfalls noch immer – und Anniversary ist die Eintrittskarte.
Tomb Raider: Anniversary schlägt am 1. Juni 2007 auf der PS2, dem PC und der PSP auf.