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Tomb Raider - Vorschau

Die erste Regel zum Überleben im Dschungel: Niemand geht Lara an die Wäsche.

Das war jetzt also die ach so kontroverse Szene? Der Aufreger aus den USA schlechthin, zumindest soweit es Tomb Raider betrifft? Ein Griff an Laras Schenkel und schon beginnt eine in den Auswüchsen surreale Debatte um Vergewaltigungen, Sexismus und mehr? Es gilt jenseits des großen Teiches immer noch das Trash-Horror-Credo der 70er und 80er: Willst Du einen Horror-Film, dann trenne eine weibliche Brust mit der Kettensäge ab. Willst Du jedoch einen handfesten Skandal, dann zeige die Brust einfach nur nackt. Hat mal wieder funktioniert, wie es scheint.

Die Szene selbst jedoch rechtfertigt die Panik in keiner Weise, schon allein deshalb, weil es egal wie nie zu einer Vergewaltigung kommt. Der Schurke greift zwar zum Schenkel, aber sobald der Spieler in dieser Sekunde ein Quicktime-Event nicht bewältigt, wird der Böse nicht mutiger in seinen sexuellen Eskapaden, sondern geht Lara an die Kehle. Game Over. "Sicher ist sicher", wird er sich wohl denken.

Ansonsten ist diese Szene ein wundervoller Ausdruck, wie unnötig Quick-Time-Events sind. Es wird so viel Geld, Zeit und Können investiert, um diese Szene bedrückend, glaubwürdig und cineastisch zu inszenieren, nur damit dann drei Mal Y und zwei Mal X aufblinkt und der Spieler was zu tun bekommt. Außerhalb von Spielen, die sich nur um dieses Mittel drehen - Asura's Wrath oder Heavy Rain - sollten Quick Times so langsam verboten werden. Oder zumindest sein Einsatz unter die Auflage gestellt werden, zuvor viele anstrengende und unlogische Formulare auszufüllen.

Tomb Raider - Gameplay-Video

Es war nicht hilfreich, zweimal zu sehen, wie erst Lara und im dritten Anlauf dann ihr Widersacher erschossen wird. Solche sich wiederholenden Realitätsvarianten sollte man Alan Wakes letzten Albträumen überlassen. Nach diesem Ersten von wie wir wissen vielen Toten, die auf das Konto der hier noch jungen Engländerin gehen, sieht Lara angesichts des Resultats der Tat noch etwas geschockt aus, aber sie lernt offenbar sehr schnell. Die zweite Szene, die ihr auch aus der E3-Präsentation vielleicht kennt, beinhaltet einen Shootout, in dem kein Auge trocken und keine Kehle ohne Pfeil bleibt. Sollte die drastische und sehr nahe Inszenierung von Laras erster Notwehr mit Todesfolge eine Wirkung auf sie gehabt haben, lässt es sich später nur schwer vorstellen, dass es etwas anders als "Blut geleckt" war. So zielsicher und routiniert ballert sie sich gerade mal eine Spielstunde weiter durch ein Dutzend Feinde, dass man nicht den Eindruck hat, auf innere Konflikte des Charakters zu treffen.

Aber ich muss fair bleiben. Die Geschichte gibt ihr gute Gründe, sehr schnell sehr rabiat mit ihren Feinden umzuspringen. Wie im Trailer bereits gezeigt, stranden sie und eine Reihe von Überlebenden nach einem Schiffsunglück auf einer ziemlich Lost-igen Insel voller scheinbar irrer Okkultisten. Der Kult ist japanisch angehaucht, die Anbeter stammen aus aller Herren Länder und das seit Generationen. Vor der Insel liegt ein Wrack am anderen, ein veritabler Schiffsfriedhof der Jahrhunderte säumt den Strand. Laras Gruppe gehört nicht zu den Ersten, die hier auf so drastische Weise anlandeten und statt freundlich in den Glauben des sonnigen Blutgottes aufgenommen zu werden, erwarten sie Entführung, Folter und Hinrichtungen. Da Lara direkter Zeuge einiger dieser Taten wird, sind drastische Reaktionen fernab der Zivilisation wohl nur zu verständlich.

Ihr müsst jedoch keine Angst haben, dass Quick Times und geradlinige Aktion alles sind, was hier geboten wird. Die Gefahr, dass der Reboot - nichts anderes ist es, auch wenn man dieses zum Glück schnell aus der Mode gekommen Markenzeichen scheinbar bewusst umschifft - zu einem Call-of-Duty-artigen, linearen Action-Run verkommt, ist sehr gering. Vielmehr setzt Crystal Dynamics auf eine sehr solide Mischung aus freien Gebieten, die ihr euch nach und nach über die Story erschließt. Die Abschnitte, die die Geschichte voranbringen, sind geradlinig. Es beginnt auch so. Direkt nach der unsanften Landung steht Lara einsam und verlassen auf einer Klippe, blickt über die stürmende Gischt und die Schiffswracks. Es ist durchaus beeindruckend, was geschickter Einsatz der Möglichkeiten der Xbox, wie zum Beispiel Partikeleffekte, aus der alten Konsole herausholen können. Hohe Sichtweite, viele Details und dank einer sehr durchinszenierten Kameraführung ein dynamischer Eindruck des Blickwinkels. Die Höhe der Klippe oder die Weite des Blicks über die Küste werden ausgesprochen gut vermittelt.

Überhaupt zeigt sich auch durch alle folgenden Szenen hindurch, dass man sich für die Kameraführung Profis sowohl aus der Spiele- wie auch der Film-Welt heranholte. Weder wird der Blick zu irgend einem Zeitpunkt blockiert noch wirkt er zufällig. Sei es simples Laufen von A nach B oder durchgestylte Action, der Screen fängt das Geschehen genau richtig ein. So auch den Weg entlang der Klippen über einen ersten Baumstamm hinweg, der praktischerweise einen weiteren Abgrund überbrückt. Abstürzen kann man hier nicht, wäre doch schade, wenn der nicht so versierte Spieler gleich herunterfallen würde. Sagt der Entwickler. Ich sage als Dark-Souls-Spieler "Hrmpf.".

Es wird unchartig auf den nächsten Metern, einen wiederum traumhaft inszenierten Wasserfall hoch. Und zwar nicht als Felsen-Kletterer, sondern mit einem daran hängenden Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg als Leiter. Das Wrack hängt bedrohlich über dem Abgrund, aber klar markierte Haltepunkte weisen den Weg hoch am Rumpf und über den Flügel zur sicheren nächsten Klippe, bevor der Bomber die letzten noch fehlenden Meter seines Absturzes mit 60 Jahren Verspätung hinter sich bringt. Im Anschluss jedoch wird euch schon die zweite scheinbar so klar gezeichnete Kletterkante verladen. Lara rutscht mit den Fingern ab, statt sich locker hochzuziehen. Nach einer kurzen Rutschpartie folgt eine wenig elegante Landung auf dem Hintern. Auch so etwas will gelernt sein, selbst wenn das wohl ein Großteil des Lernprozesses gewesen sein dürfte.

Nach ein paar weiteren Metern geht es mit dem Pfadfinder Einmaleins weiter, ein Lagerfeuer wird entfacht. Was in diesem Moment noch wie eine unschuldige Zwischensequenz wirkt, entpuppt sich als zentraler Spiel-Hub. An markanten Stellen der freien Areale entfacht ihr diese Feuer und nutzt sie als sichere Rückzugsorte. Hier findet auch die "Charakter"-Entwicklung statt, um das dem Rollenspiel entliehene Kind gleich beim richtigen Namen zu nennen. Jede Aktion gibt euch Erfahrungspunkte, die hier in neue Fertigkeiten investiert werden können. Unterschiedliche Wege wie Jagd, Kampf oder Survival-Talente warten auf ihre Freischaltung und einiges davon klingt sofort sehr nützlich. Nachdem betont wurde, dass man die Pfeile für den Bogen rar verteilen möchte, um das Ressourcen-Management nicht zu simpel zu gestalten, fragte ich mit zum Glück nur innerer Häme, ob man denn wenigstens dann im Einklang mit dem angepriesenen Realismus auch die Pfeile wieder einsammeln kann. Nachdem sie verschossen wurden. Die Antwort lautete sicher, es sei eine der ersten Fertigkeiten die Lara als Jägerin lernt. Sehr schön, blieb mir da nur zu sagen.

Die Jagd erlernt ihr in einer kleinen Queste, die einen ersten Eindruck von den freien Arealen vermittelt. Dass auf der Insel nicht alles ganz knusper sein dürfte, wird klar, als ihr den Bogen von einer in den Bäumen hängenden Leiche abnehmt. Nach dieser, wie alle gesehenen Schlüsselszenen, schön inszenierten Einlage, sucht ihr entweder nach dem nicht zu knapp verteilten Rotwild oder erkundet ein wenig. Ein Blick auf die Karte ist der erste Teil dessen und selbst wenn klar wird, dass dieses Areal sich in Grenzen hält, steigt die Freude nach dem Herauszoomen. Hier gibt es noch viel, viel Platz, der mit hoffentlich interessanten Orten gefüllt werden wird. Eine Statistik neben dem aktuellen Gebiet gibt einen Eindruck von der Sammel-Item-Freudigkeit Tomb Raiders. Hinweise, Artefakte und sogar Tombs, also Gräber, nimmt der Spieler mit, der gerne sammeln geht. Gerade die Tombs befeuern die Fantasie. Hoffentlich sind sie so komplex, wie der griechische Tempel im ersten Spiel. Nichts davon wurde gezeigt, also zurück zu den Tatsachen.

Gelingt bei der Jagd nicht gleich der perfekte Blattschuss, muss Lara sich ein wenig in acht nehmen, um nicht von den schubsenden Hirschen umgerannt zu werden. Die Natur soll ein wenig auf eure Aktionen reagieren, nichts soll ganz billig verschenkt werden. Mal sehen, wie weit die Spiel-Convenience dem in den Weg kommt. Nach der Rückkehr mit einem Stück frischem Hirsch zu Lagerfeuer und dem ersten Funkkontakt mit anderen Überlebenden gibt euch das Spiel einen ersten Einblick in die wirklichen Geheimnisse der Insel. Lara muss durch einen halb überfluteten unterirdischen Teil von etwas, das eine alte Bunkeranlage sein könnte. Sammelobjekte sind ein Teil der Einrichtung, eine primitive Schlachtbank ein anderer. Tomb Raider spielt mit Licht und Sound und das mit Erfolg: Dem Ort haftet etwas Rohes an, er verströmt die Wohlfühlstimmung eines Silent Hill. Zurück an der Oberfläche bessert sich die Lage nicht. Der erste Standard-Gegner wird vorgestellt: Wölfe.

Diese Szene zeigt, dass Crystal Dynamics auch ohne Quick Times inszenieren kann. Lara findet sich in einer Bärenfalle gefangen und per Zielen und Schießen wehrt ihr die Wölfe ab, bevor andere Überlebende euch aus eurer ungünstigen Lage befreien. Gelingt euch das nicht, wird nicht lang gefackelt. Lara wird in relativ expliziter Darstellung von den Biestern zerfleischt. Die Insel ist jenseits des ersten Baumstammes wohl doch kein Ponyhof.

Ein neuer Teil des Waldes kann erkundet werden, ihr könnt hier erneut zwanzig oder so Minuten forschen - was es wohl zum kleinsten dieser freien Bereiche macht -, bevor euch die Story auffordert, etwas Neues zu lernen. Feuer ist ein wichtiges Element in Tomb Raider. An fast jeder Feuerstelle lässt sich eine improvisierte Fackel entzünden, mit der ihr wiederum andere Materialien in Brand stecken könnt. So findet ihr Verstecke, legt neue Wege frei oder habt es einfach ein bisschen heller um euch herum.

Tomb Raider - Trailer

Dass Tomb Raider kaum ein Spielelement verschmäht, demonstriert ein Überfall durch die seltsamen Inselbewohner, die einen sehr interessanten Sprachmix mit sich bringen. Es wird spannend werden, zu sehen, was das Spiel aus seiner Prämisse der Vielzahl über die Jahrhunderte gestrandeten am Ende machen wird. Ein friedliches Auskommen dürfte es miteinander jedenfalls kaum geben. Weitere Überlebende aus Laras Gruppe werden kurz und schmerzvoll erledigt und sprichwörtlich die "Kill 'em all"-Parole ausgegeben. Ihr bleibt nur Stealth. Auf einem klar vorgezeichneten Weg arbeitet ihr euch ungesehen hinter dem Rücken der Wachen vorbei, meist mit weniger als einem Meter Abstand, immer weiter einen seltsamen Tempelberg hoch. Japanische Einflüsse sind unverkennbar, die Schurken sprechen Russisch, Feuer brennen überall, es ist eine seltsame Atmosphäre, die sich Tomb Raider da suchte. Man will wissen, was los ist. Zuerst jedoch wird Lara gezwungenermaßen entdeckt und ein grober Griff zum Schenkel wird mit dem ersten Toten in Laras Leben quittiert, für den sie selbst verantwortlich war. Ich denke, wir können sie hier freisprechen.

Tomb Raider ist ein technisch ausgesprochen beeindruckendes Spiel, das jeden Trick im Buch der alternden 360 nutzt, um seine Stimmung und Welt bestmöglich zu verkaufen. Ich habe wenig Zweifel, dass wir in dieser Hinsicht 2013 eines der beeindruckendsten Spiele dieser Generation sehen werden. Zum Glück ist die Technik aber nicht alles. Tomb Raider gibt sich alle Mühe, zumindest in den ersten Stunden Lara von einer Action-Abziehfigur in einen echten Charakter zu verwandeln. Wie lange das anhält und ob nicht doch recht schnell der Wechsel in erprobtes Terrain folgt, wird sich zeigen. Dann ist da noch das Setting. Die Lost-artige Insel mit ihren seltsamen, aggressiven Bewohnern, Kultstädten und Bunkeranlagen ist schon eine Geschichte in sich selbst und ich hoffe, dass es eine gute wird. Sie fängt zumindest so an.

Was das Spiel selbst angeht, verlässt es definitiv den bisher strikten Pfad von Klettern, Springen und Kämpfen. Offene Areale mit viel Erkundungspotenzial, lineare Kletterpassagen, Stealth-Einlagen oder sehr schnelle Action-Kampf-lastige Abschnitte wechseln sich dermaßen munter ab, dass es fast unmöglich scheint, ein einfaches Label auf diesen Mix zu pappen. Was dabei am meisten erfreute war, wie natürlich sich die einzelnen Elemente zumindest in dieser ersten Stunde zusammenfügten. Tomb Raider schlägt eine neue, flexible und unglaublich ambitionierte Richtung für die Serie ein. Und alles, worüber die Amis reden, ist die Hand auf dem Schenkel. Selber schuld.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
In diesem artikel

Tomb Raider (1996)

PC

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