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Tonabnehmer für Einsteiger - Drei AT-VM95, drei Setups, welcher passt am besten zu eurer Anlage

Audio Technica AT-VM95E und seine großen Brüder im Test

Der Boom der Videospielsoundtracks auf Vinyl hält weit länger an, als ich dachte. Ein paar werden jedes Jahr sicher noch reintröpfeln, aber lange hält das nicht. Dachte ich so um 2018 herum, aber seitdem geht die Zahl der Veröffentlichungen nur hoch. Von Absurditäten wie Plumbers Don’t Wear Ties über Klassiker wie Phantasy Star hin zu neuestem Triple-A wie Elden Ring und Assassin’s Creed wird nichts ausgelassen. Der Witz ist natürlich, dass nach wie vor keineswegs alle Leute, die Platten kaufen, auch einen Plattenspieler haben. Das hat sich nicht geändert, die Zahl liegt etwa bei einem Viertel bis zur Hälfte aller Käufer. Wenn ihr aber zur anderen Kategorie gehört, dann kann es sein, dass ihr ein wenig ratlos ob der Masse und Preisunterschiede an allen Einzelteilen eines Players seid.

Ich werde das Pferd hier mal von hinten aufzäumen und beginne in diesem Artikel nicht mit verschiedenen Playern, auch nicht Verstärken oder Boxen, sondern mit dem Erstkontakt zur Platte: der Nadel und der Cartridge. Beides kann eine Einheit bilden, aber es ist genauso üblich, dass diese getrennt sind und beides hat als Tonabnehmer einen enormen Einfluss auf das, was ihr nach dem Kauf noch im Portemonnaie habt und was an Klang aus den Boxen kommt. Deshalb stellte ich mir die Frage, wie groß die Unterschiede im Einsteigerbereich der Tonabnehmer sind und wann es sich lohnt, mehr auszugeben. Audio Technica stellte netterweise drei verschiedene Nadeln und leihweise einen sehr populären Plattenspieler zur Verfügung, bevor ich auch an meinem üblichen Setup eine Runde wage.

Dreht konstant seit 1887: Plattenspieler und Platten haben das letzte Jahrzehnt eine seltsame Renaisance erlebt.

Um nicht nur zu hören, was die Tonabnehmer generell können, werde ich drei verschiedene Nadel von Audio Technica an drei unterschiedliche Setups anschließen und schauen, wie sie sich unter den jeweiligen Bedingungen schlagen. Das ist kein Selbstzweck, sondern – ein sehr alter Satz – Hi-Fi ist eine Kette und ein Baustein allein sagt nichts über das Gesamtergebnis aus.

Zuvor noch schnell ein paar Grundbegriffe, die man kennen sollte, ganz generell, wenn man sich mit dem Thema Tonabnehmer beschäftigt.

Das Grundlagenwissen für Tonabnehmer

Headshell, Cartridge, Nadelträger, Nadel: Wenn man von Tonabnehmer spricht, ist meistens der eigentliche Kopf am Ende des Tonarms gemeint, zusammen mit dem Nadelträger und der Nadel. Das ist in der Regel das, was ihr bekommt, wenn ihr einen Tonabnehmer kauft. Manche sind der Einfachheit halber auf eine Headshell montiert; das ist der Kopf, der bei vielen Plattenspielern Abnehmer und Tonarm verbindet. Die meisten Tonarme nutzen einen genormten Bajonett-Anschluss, bei dem die Headshell aufgesteckt und dann festgedreht wird. Das ist beliebt, weil man nichts falsch machen kann und das Signal stabil übertragen wird. Audio Technica hat nur solche Bajonette im Angebot, weil auch ihre Player alle diesen Anschluss haben. Das ist keine moderne Erfindung, mein Yamaha-Player vom Ende der 70er hat diesen auch. Exoten sind zum Beispiel einige alte Denon-Player, die einen ADC-Anschluss haben oder Dinge wie der sehr feinfühlige Thorens TP-92 Tonarm, wo direkt verschraubt wird.

MM und MC: Dies sind zwei sehr unterschiedliche Techniken, wie das abgetastete Signal innerhalb des Tonträgers verarbeitet wird. MM steht für Moving Magnet, MC für Moving Coil. Keines der beiden ist bis zum vierstelligen Preisbereichs besser oder schlechter per se; im Preisbereich darüber gibt es hauptsächlich MC, weil diese Technik am letzten Limit genauer arbeitet. Der wichtigste Unterschied für die Benutzung ist der Vorverstärker. Jeder relevante Vorverstärker kann MM, viele können umgeschaltet werden, die einzige Ausnahme sind reine MC-Exoten im hohen Preisbereich. Wenn man also eine MC-Nadel kaufen möchte, dann muss man darauf achten, dass der Verstärker das auch kann. Der Hintergrund ist das niedrigere Ausgangssignal aus dem Tonabnehmer, das eine andere Verstärkung benötigt.

Auflagegewicht: Am Ende geht es um 2 Gramm. Das ist das Gewicht, mit dem im Schnitt eine Nadel auf der Schallplatte aufliegt. Jede Nadel hat ein eigenes Idealgewicht und es ist keine ganz exakte Wissenschaft. Schließlich geht es nicht um digitale Übertragung, sondern mit welcher Kraft die Nadel am Ende durch die Rillen der Platte kratzt. Zu viel verzerrt den Klang und beschädigt die Platte. Gerade etwas zu viel ist verführerisch, denn es gibt vielleicht mehr Bass, bevor es verzerrt, aber nutzt die Platte mindestens schneller ab. Zu wenig lässt den Klang dünn werden. Der Sweetspot ist in der Regel +/- 0,2-0,3 Gramm um das theoretische Ideal. Eingestellt wird das Auflagegewicht über das Gegengewicht am Ende des Tonarms. Um das Gewicht der Nadel zu messen, braucht ihr entweder eine simple Wippen-Waage (ca. 7 Euro) oder eine elektrische Feinwaage (ca. 15 Euro). Vergesst alle Waagen von Firmen wie Clearaudio für 250 Euro (deren Tonabnehmer ich allerdings sehr schätze), das ist reine Abzocke. Selbst die Pro-Ject für 30 Euro ist das, denn das gleiche Modell gibt es ohne den Namen für 13 Euro und die misst nicht anders die Gramm.

Anti-Skating: Skating ist die durch die Reibung zwischen Nadel und Platte nach innen zur Plattenmitte wirkende Kraft, die bei einem Radialtonarm entsteht. Es gibt tangentiale Tonarme, die sind aber selten und heutzutage in der Regel absurd teuer. Da diese Kraft die genau mittige Auflage verhindert, muss dagegengewirkt werden. Manche Player haben ein kleines Drehrad, das passend zum Auflagegewicht eingestellt wird. Manche haben ein kleines Gegengewicht, das manuell eingestellt wird. Manche sind auf exakt den Tonabnehmer eingestellt, mit dem sie ausgeliefert werden. Wenn das der Fall ist, sollte man schauen, dass man einen Abnehmer mit der gleichen Auflagekraft kauft.

Am einfachsten lässt sich das Anti-Skating bei Modellen mit einem Regler dafür einstellen.

Azimut: Der Azimut ist der Winkel, in dem die Nadel zur Platte sitzt. Dieser sollte exakt 90 Grad betragen, das heißt, dass die Kante des Tonträgers exakt waagerecht sitzt und die Nadel exakt senkrecht nach unten zeigt. Kein Problem, wenn alles exakt sitzt und verbaut wurde, aber manchmal zeigt die Nadel nicht ganz gerade senkrecht nach unten, sei es ein (eher seltener) Produktionsfehler (umtauschen!), oder weil man etwas unvorsichtig ganz leicht die Nadel irgendwo verbogen hat. Geht schneller, als man denkt. Vergesst die High-End-Einstellung des Azimut über Messgeräte, die bei 500 Euro anfangen, stattdessen holt euch eine simple, durchsichtige Azimut-Schablone für 10 Euro, schaut, ob das passt und wenn ja, ist gut.

Wenn nicht, wird es kompliziert. Manche Tonarme lassen sich im Winkel verstellen, aber nicht viele. Stattdessen benötigt ihr dann, wenn ihr unbedingt weiter diese Nadel nutzen wollt, eine Headshell mit einer Azimut-Einstellung. Dabei wird an der Halterung eine Schraube gelockert, um dann die ganze Shell mit dem Tonabnehmer drehen zu können. Audio Technica bietet die LH13, 15 und 18 an, Ortofon hat die LH-4000 und dann sind da noch diverse Jelco-Style-Shells.

WAS IHR AUF GAR KEINEN FALL TUN DÜRFT, IST DIE NADEL MIT FINGER ODER PINZETTE GERADEBIEGEN! Das funktioniert in einem von 100 Fällen, in allen anderen kauft ihr danach eine neue Nadel. Macht das, nur, wenn ihr mit dieser Nadel eh abgeschlossen habt.

Platten reinigen: Es ist nicht optional. Dreck sammelt sich immer, selbst mikroskopischer Staub wird schnell makroskopisch, wenn die Nadel ihn aus den Rillen kratzt. Eine Bürste, mit der man einmal vor dem Hören drübergeht, ist das Minimum, das sein muss. Idealerweise ist diese auch antistatisch, kostet etwa 10 Euro, muss man haben. Wer es fancy mag, kann da auch mehr ausgeben. Selbst wenn die Platte ganz neu ist, geht drüber, denn aus den Presswerken wird sehr viel mehr Dreck mitgeliefert als man meinen sollte. Mittelfristig solltet ihr euch eine entweder manuelle oder mit Motor ausgestattete Plattenwaschmaschine gönnen. 70 Euro manuell (Knosti ist der Name der Wahl hier), maschinell geht es bei 400 los, Ultraschall gibt es auch, aber schaut bei Ebay rein. Da wird man schon mal für 150 Euro für ein älteres Pro-Ject-Modell fündig.

Mit diesem Grundwissen bewaffnet, ist der Wechsel oder die Installation eines Tonabnehmers ein Kinderspiel. Ein wenig Geduld und Ruhe, gutes Licht und vielleicht etwas Feinwerkzeug und dann ist das alles schnell passiert.

Die drei Kandidaten: Audio Technica AT-VM95E, AT-VM95EN und AT-VM95SH

Um die Unterschiede zwischen Tonabnehmern unterschiedlicher Preisklassen zu zeigen, schickte mir Audio Technica drei populäre Einsteiger-Modelle ihrer VM95-Serie, und zwar diese drei hier:

Spezifikationen AT-VM95E AT-VM95EN AT-VM95SH
Frequenzbereich 20 – 22.000 Hz 20 – 23.000 Hz 20 – 25.000 Hz
Kanaltrennung 20 dB (1 kHz) 22 dB (1 kHz) 23 dB (1 kHz)
Vertikaler Abtastwinkel 23° 23° 23°
Vertical Tracking Force 1.8 to 2.2g (2.0g standard) 1.8 to 2.2g (2.0g standard) 1.8 to 2.2g (2.0g standard)
Schaftform der Nadel Rundschaft, gefasst Rundschaft, nackt Vierkantschaft, nackt
Empfohlene Lastimpedanz 47.000 Ω 47.000 Ω 47.000 Ω
Spulenimpedanz 3,3 kΩ (1 kHz) 3,3 kΩ (1 kHz) 3,3 kΩ (1 kHz)
DC Widerstand 485 Ω 485 Ω 485 Ω
Spuleninduktivität 550 mH (1 kHz) 550 mH (1 kHz) 550 mH (1 kHz)
Ausgangsleistung 4,0 mV (bei 1 kHz, 5 cm/sec) 3,5 mV (bei 1 kHz, 5 cm/sec) 3,5 mV (bei 1 kHz, 5 cm/sec)
Kanalbalance am Ausgang 2,0 dB (1 kHz) 2,0 dB (1 kHz) 1,5 dB (1 kHz)
Nadelschliff Elliptisch Elliptisch Shibata
Nadelträger Aluminium, hohl Aluminium, hohl Aluminium, hohl
Statische Nadelnachgiebigkeit 17 x 10-6 cm/Dyn 20 x 10-6 cm/Dyn 20 x 10-6 cm/Dyn
Dynamische Nadelnachgiebigkeit 7 x 10-6 cm/Dyn (100 Hz) 7 x 10-6 cm/Dyn (100 Hz) 10 x 10-6 cm/Dyn (100 Hz)
Gewicht 6,1 g 6,1 g 6,1 g
Empfohlene Lastkapazität 100 - 200 pF 100 - 200 pF 100 - 200 pF
Nadelabmessungen 0,3 x 0,7 mil 0,3 x 0,7 mil 2,7 x 0,26 mil
Typ VM-Stereo-Dual-Magnet VM-Stereo-Dual-Magnet VM-Stereo-Dual-Magnet-System
Drei Fraben, drei verschiedene Nadel, eine Cartridge: Die VM95-Serie unterscheidet sich nur durch den Nadelträger.

Alle drei Tonabnehmer heißen bis auf einen Buchstaben sehr ähnlich und in vielerlei Hinsicht ähneln sie auch in anderen Dingen sehr. Aber was auf den ersten Blick auffällt, ist natürlich der Preis. Eine AT-VM95E kostet etwa 50 Euro, ein VM95EN um die 130 Euro und die VM95SH liegt bei etwas über 170 Euro, je nach Laden und Straßenpreis.

Ansonsten: Wie man sieht, sieht man nichts, zumindest als Laie. Die maximale Frequenz im Hochbereich ist höher, je teurer es wird. Wobei man auch sagen muss, junge Menschen mit guten Ohren hören 20kHz-22kHz, im Alter geht es dann runter. Alle drei haben ungefähr das gleiche Auflagegewicht und Widerstände. Die Ausgangsleistung der preiswerten Nadel ist etwas höher, aber da ist nichts, was man jetzt auf Papier festmachen kann. Nur die Nadelschliffe sind anders. Aber das kann doch nicht alles sein?

Der Aufbau der MM-Cartridge der VM95-Reihe

Das ist die erste wichtige Erkenntnis: Werte bedeuten fast nichts bei Tonabnehmern. Hier gibt es wenigstens noch unterschiedliche Schliffe der Nadel, aber ihr könnt zehn Abnehmer von zehn Anbietern mit dem gleich heißenden Schliff herauspicken, die Werte nebeneinandersetzen, die sich fast gleich lesen werden und alle zehn Nadeln werden unterschiedlich klingen. Nichts kann den Hörtest bei Tonabnehmer ersetzen und eigentlich muss es ein Hörtest am eigenen Equipment sein. Das ist Fluch und Segen der analogen Kette. Macht Spaß, ist aber kompliziert.

Diamanten und Schliffe

Bevor es trotzdem gleich zum Hörtest geht, hier noch einmal kurz eine Erklärung zum Thema Nadelschliff und Material. Man sagt gemeinhin gern „der Diamant“ und meist ist das auch richtig. Nur in der untersten Preisklasse gibt es noch Keramik- oder Stahl-Nadeln. Aber heutzutage hat selbst der preiswerte AT-VM95E schon einen Industrie-Diamanten an der Spitze sitzen. Das Material ist dabei vor allem für die Haltbarkeit entscheidend. Für den Klang spielt der Schliff dann eine große Rolle. Das ist eine Wissenschaft für sich, es wird bei höheren Preisklassen schnell philosophisch und Bauer von Tonabnehmer experimentieren ständig auf der Suche nach dem perfekten Nadelschliff. Das muss euch unterhalb von vierstelligen Beträgen wenig kümmern. Bis dahin gibt es vor allem drei Kategorien, die häufig vorkommen: sphärisch (oder konisch), elliptisch und Shibata.

Von links nach rechts: Verbund elliptisch, nackt elliptisch, nackt vierkant Shibata

Sphärisch oder konisch ist ein spitz zulaufender Schliff, den man bei preiswerten Nadeln, oft im DJ-Bereich findet. Diese Form liegt sehr sicher und tief in der Plattenrille, springt weniger schnell und selbst mitgenommene Platten in einer unruhigen Umgebung – DJ-Pult – werden mit so einem Schliff eher durchgespielt. Das kann auch eine gute Nadel sein, um alte Plattensammlungen in schlechtem Zustand mal hereinzuhören, bevor man anfängt zu putzen. Elliptisch ist ein aufwändigerer Schliff, der mehr Fläche in der Rille exakt abtastet und ein höheres Frequenzspektrum abdeckt. Dies macht sich sofort in mehr Bass und Fülle bemerkbar. Der Nachteil ist, dass die Nadel ruhig laufen muss und damit mehr Ansprüche an Aufstellung und Tonarm gestellt werden. Sowohl die AT-VM95E wie die AT-VM95EN sind elliptische Schliffe.

Der Shibata-Schliff schließlich ist der aufwändigste der drei und wurde Anfang der 70er erfunden, um die besonders aufwendigen Quadrophonischen Pressungen – Vierkanalstereo, ein Vorläufer von Surround – exakt abtasten zu können. Quadrofonie setzte sich nie groß durch, aber der Schliff stellte sich als die ziemlich ideale Balance aus Klang und Preis heraus. Bis heute ist der Shibata-Schliff der beliebteste im Bereich 200 bis 500 Euro, auch wenn seitdem viele Schliffe erfunden wurden und oft genug eigene „Geheimrezepte“ genutzt werden. Shibata deckt die Frequenz bis 25kHz ab, liest sehr exakt, aber hat auch einen Nachteil: Während ein gröberer Schliff auch gern mal durch Schmutz durchgeht, reagiert die feine Shibata, wie sie auf dem AT-VM95SH sitzt, allergisch und mit mehr Knistern und Knacksen. Also: Platten sauber halten.

Als Letztes, um es noch einmal komplizierter zu machen, aber auch das ist für diese drei hier relevant, ist da die Art, wie der Diamant verbaut ist. Die AT-VM95E ist eine gefasste Nadel, bei der die Spitze auf einem Alu-Träger angeklebt wird. Das ist billiger als einen ganzen Diamanten zu nehmen, ist aber von der Signalübertragung weniger sauber. Die andere Variante ist ein nackter Diamant, bei dem die ganze Spitze auf dem Nadelträger komplett aus einem Diamanten besteht, nicht nur die vorderste Ecke. Das ist natürlich teurer als einen Rest-Splitter zu nutzen, aber klingt nicht nur besser, sondern hält auch länger.

Mit bloßen Auge kaum zu erkennen, aber es geht wirklich vor allem anderen um den winzigen Punkt ganz am Ende, der als einziges Kontakt hat.

Die Laufzeit ist nämlich ein echter Faktor. Keine Nadel, egal wie teuer, hält ewig und das sollte man bedenken (ich fange jetzt nicht mit Laser-Abnehmern an...). Eine gefasste, elliptische Nadel hält 300–400 Stunden, ein nackter Shibata-Schliff 800–1000. Es kann also sein, dass es sich mehr lohnt, einen AT-VM95EN zu kaufen, der zwar das Doppelte kostet, aber auch doppelt so lange halten kann.

Was preislich leider kein echter Faktor ist, ist das Austauschen des Nadelträgers. Zumindest bei der AT-95-Reihe, weil die eigentliche Cartridge hinter dem bunten Nadelaufsatz mit etwa 20 Euro herausgerechnet zu Buche schlägt. Das ist normal, das sieht bei allen Herstellern so aus und so kostet eine AT-VM95SH komplett etwa 170 Euro, nur der Nadelaufsatz zum Nachkaufen um die 160 Euro. Ich sage das nur, um einem Einsteiger-Irrglauben vorzubeugen, dass wenn man eine teure Cartridge kauft, man später ja relativ günstig die Nadelträger nachkaufen kann. Um einen Blick auf die Extreme zu werfen: Selbst bei Audio Technicas Spitzen-MM-Modell AT-VM760SLC für 700 Euro kostet danach der Nadeleinschub 600 Euro.

Die Nadel des VM95SH ist viel kleiner und feiner, hält aber länger als die Verbund-Spitze des E-Modells.

So. Kommen wir jetzt zur Hörprobe und ob es sich lohnt, statt 50 Euro für die AT-VM95E lieber 170 für die AT-VM-95SH hinzulegen.

Es gibt hier drei Setup: Das erste ist der ausgeborgte Audio Technica LP120XUSB mit einem eingebauten Phono-Vorverstärker, der an das Paar aktive Edifier-QR65-Boxen geht, das ich hier erst kürzlich testete. Ein kleines, simples Setup zum Gelegenheitshören bei der Arbeit oder einfach so. Das Zweite ist der LP120 an einem Creative X5 Kopfhörerverstärker – ein seltsames Gerät, das einen sehr neutralen, hochwertigen Kopfhörerverstärker mit einer zuschaltbaren X-Fi Karte kreuzt. Letzteren Teil lasse ich mal abgeschaltet und schließe ein paar Austrian Audio Hi-X65 Studiokopfhörer an, um genau hinzuhören. Und schließlich geht es an ein gepflegtes Vintage Hi-Fi Setup aus Sony TA-870ES, Yamaha YP-D10, B&W CM8 S2 und einem Pro-Ject D2 USB. Nicht High-End im engeren Sinne, aber klingt schon geil, um es fachlich korrekt zusammenzufassen.

Die Playlist

Für den Test suchte ich mir 10 Platten heraus und von diesen jeweils einen Track, um möglichst gut drei verschiedene Nadeln vergleichen zu können. Auf Nuance achten, statt das Album durchlaufen zu lassen. Diese „Playlist“ sieht so aus:

  1. Move – Around the World World (Initial D Sound Files, Kana Music 2023)
  2. Blues Traveler – Onslaught (Travellers and Thieves, Brookvale Records 2015 Test Press)
  3. Patrick Wolf – The Future (Lupercalia, Hideout 2011)
  4. Cold Storage – Hakapik Murder Remaster (wipE'out'' Zero Gravity Soundtrack, Lapsus Records, 2023)
  5. John Coltrane – Part 1 Acknowledgement (A Love Supreme, Analogue UHQR, 2023)
  6. Yasunori Mitsuda – Memories of Green (Chrono Trigger, Epoch Records, 2020)
  7. Münchner Freiheit – Keeping the Dream Alive (Say Anything… Soundtrack, Mondo, 2021)
  8. Crush 40 – Open Your Heart (Sonic Adventure, Brave Wave, 2020)
  9. Bomb The Bass – Xenon 2 Megablast Hip Hop On Precinct 13 (The Bitmap Brothers: Odyssey, Read-Only-Memory, 2021)
  10. Yuka Kitamura – Ashina’s Crisis (Sekiro, Laced Records, 2021)

Von allem ein wenig, jeder Track hat was zu bieten, die Qualität der Pressungen reicht von gut bis das Beste, was geht. Und dazu gibt es noch einen Track der Münchner Freiheit. Nicht, weil ich den besonders mag, aber dass er auf einem US Offbeat-Indie Soundtrack der späten 80er zu finden ist, einem Land, wo diese Band nicht mal den Achtungserfolg der UK-Charts spendiert bekam, und sonst nur Bands wie Living Colour, Aerosmith, Red Hot Chili Peppers, Depeche oder Peter Gabriel zu finden sind, um danach zu einem relativ beliebten Weihnachtslied zu werden, das bis heute Radio-Play bekommt, ist einfach… Es ist der falsche Song, auf dem falschen Album zum falschen Film zur richtigen Zeit. Oder so. Egal, moving along.

Der Hörtest: Drei VM95, drei Setups

Ich habe eine Weile darüber gehadert, wie ich den Hörtest angehe, aber es macht mehr Sinn, das Ganze sortiert nach Setup anzugehen und nicht nach Tonabnehmer. Ihr werdet gleich sehen, warum.

AT-VM95-Serie vs. LP120X + Edifier QR65

Ich hatte schon eine Menge Tonträger und Setups und geh hier mal mit dem richtigen Maß an Hi-Fi-Snobismus ran: So billig war ich noch nie unterwegs wie mit dem LP120 und dem VM95E. Ich weiß, unter jeder Würde, aber zum Arbeiten, am Schreibtisch, ich lasse das mal über mich ergehen… Hey, das ist gar nicht mal verkehrt. Und die Art, wie sehr viele junge Menschen das Medium wiederentdecken. Ein anständiger Plattenspieler um die 300 Euro, ein paar passende aktive Boxen, die Nadel, die halt mitgeliefert wurde und das ist es auch. Und ja, das Ergebnis macht schon Spaß. Initial D rummst anständig genug, so wie auch Xenon 2 die Bässe hat, von Wipeout ganz zu schweigen. Elektronisch geht gut! Auch Crush 42 mit seiner Sonic-Power-Rock-Nummer liefert klanglich ansprechend im Rahmen. Erst, wenn es feinfühliger wird, Sekiro beispielsweise, wenn es keine klar definierte Basslinie, sondern Nuancen gibt, dann wird es schwierig und man merkt, dass das Setup klare Grenzen hat. Das verstärkt sich massiv bei Coltrane, dessen wahrscheinlich bestmögliche Aufnahme überhaupt hier fast leblos wirkt, wenn es nicht gerade leicht verzerrt. Und beim Finale von Onslaught gibt die VM95E einfach auf, die sich überlagernden Spuren aufzudröseln, und matscht rum.

Sicher könnte ich am Schreibtisch einfach streamen. Aber das wäre nicht stilvoll. Und im diesem Setup macht sich die VM95E ausgezeichnet.

Also wechselte ich zuerst zur VM95EN und dann zur VM95SH. Ich war sehr überrascht, aber nicht, weil es einen Qualitätssprung gab, sondern, weil dieser praktisch ausblieb. Sicher, etwas mehr Details waren da, die Auflösung wurde etwas besser, aber es war schlicht so, dass die Stärken dieser beiden Nadeln in diesem Setup nicht erkennbar waren. Und zwischen beiden hatte ich keine Chance, nennenswerte Unterschiede zu erkennen. Der Sprung zwischen E und EN war klein, aber er war da. Zwischen EN und SH? So marginal, dass es hier schlicht keine Rolle spielte. Daran waren nicht nur die Boxen schuld, auch der eingebaute Vorverstärker ist mit den Möglichkeiten der SH-Nadel schlicht überfordert, wie eine kurze Probe mit dem Pro-Ject DS2 zeigte. Das geht schon noch ein klein wenig mehr bei den Edifier-Boxen, aber auch nicht so viel. Die SH ist schlicht unnötig bei diesem Setup.

Es ist vollkommen richtig von Audio Technica den LP120 mit der VM95E auszuliefern. Das ist für etwa 50 Euro ein toller Tonabnehmer, ein grandioses Einstiegsmodell für ein winziges Budget und passt perfekt zu so einem kleinen Setup. Man kann über den EN noch nachdenken, aber ich würde sagen, das passt mit der E so schon.

Das Gleiche gilt übrigens auch für ein anderes sehr beliebtes Szenario: Ich setzte hier die drei Nadeln auf den Sonoro Platinum SE, weil der einen Bluetooth-Sender verbaut hat. Ich setzte mir ein paar eher normale Kopfhörer auf – Sennheiser Accentum – und testete die drei wieder durch.- Ich würde sagen, dass der Sprung von der zur EN vielleicht etwas deutlicher war, aber das kann auch Einbildung sein. Sowohl die EN als auch die SH waren aber wieder klar vom Rest des Setups limitiert. Wer ein einfaches Qualitäts-Setup hat, fährt mit der VM95E wirklich nicht schlecht.

AT-VM95-Serie vs. LP120X + interner Verstärker + Creative X5 + Austrian Audio Hi-X65

So, Stunde der Wahrheit, keine Chance sich zu verstecken. Der Studio-Kopfhörer der Wahl ist gnadenlos, der Creative X5 kann viel, was man nicht braucht, aber er kann auch ein richtig guter Kopfhörer-Verstärker sein. Und hier zeigt sich klarer, was Sache ist. Wo die Blues Traveller eben noch mit allen drei Nadeln wenig beeindrucken konnten, setzen sich nun die EN und vor allem die SH klar von der E ab. Das war zu erwarten, plötzlich hat auch Herr Coltranes Magnum Opus eine ganz andere Kraft und Klarheit. Es ist auch die einzige Platte, die hier anfängt, die VM95SH so richtig zu kitzeln. Die UHQR-Aufnahme ist immer noch weit über dem Niveau, was eine simple Shibata-Nadel herauskitzeln oder in letzten Konsequenz mein Ohr wahrnehmen kann, aber während bei der EN und vor allem der E eine klare, unschöne Schärfe in den Tönen liegt, diese auch nicht annähernd so sauber ausdifferenziert werden, beginnt die SH erfolgreich zu erkunden, was da noch drinstecken könnte.

Spannend ist auch Chrono Trigger. Man denkt intuitiv erst einmal, dass Chiptune keine besondere Technik benötigt, aber weit gefehlt. Wo die E auf dem ersten Setup noch sicher und runder, aber auch weit weniger ausdifferenziert klang, bringt sie hier wieder die Schärfe und Härte in den Ton rein, die eigentlich so nicht da sind. Die Dynamik und Räumlichkeit sind ebenfalls nicht in der Nähe dessen, wo der Track hin könnte. Das gilt genauso für Patrick Wolf. Hier sind es vorwiegend die weicheren Passagen, wo die SH ihren Charakter beginnt zu entfalten. In Minuten 0:40 – 1:00, bevor die Drums einsetzen, spürt man förmlich, wie mit der SH der Raum aufgeht, die Stimme sich erhebt. Die E dagegen liefert eine prinzipiell saubere Wiedergabe, bleibt aber geerdet, sucht scheinbar nach simplen Bässen, die hier so nicht vorhanden sind und endet flach und leblos.

Wenn es dann wieder zurück zur Elektronik geht, dann kann die E auch etwas besser mithalten. Vor allem mit der EH liegt sie sehr nah beieinander, wobei der nackte Diamant der EH schneller und präziser reagiert als die E, was sich vor allem bei Cold Storage Tracks zeigt. Die Bässe sitzen perfekt, jeder Schlag endet mit der gewollten Kälte und Kraft der Maschine, während die E ein klein wenig unsauberer klingt. Matschig wäre zu viel gesagt, aber weder der Druck noch die Präzision sind ganz da. Der Sprung von EN zu SH hält sich hier in Grenzen. Ich glaube nicht, dass ich in einer Blind-Probe wüsste, welche der beiden Nadeln spielt. Nicht, dass das bei EN zu SH immer einfach wäre, aber hier würde ich endgültig die Segel streichen.

Ein guter Kopfhörer und es wird schnell klar, dass die E ihre Horizonte aus dem Blick verloren hat und vor sich hindümpelt. Ob ich allerdings unbedingt die SH brauche oder die EN den Job genauso gut macht, da bin ich mir viel weniger sicher. Es hängt ein wenig vom Genre und der Qualität der Platten ab. Komplexere Strukturen auf hochwertigen Platten belohnen die Präzision des Shibata-Schliffs, während es bei direkterer Elektronik weniger den Unterschied machte. Der nackte Diamant macht hier einfach bei der Reaktionsfreude den Unterschied, aber der bessere Schliff musste es dann nicht unbedingt sein. Erst mehr Technik sollte zeigen, ob die SH ein Potenzial hat, das vom LP120 und seinem internen Pre-Amp einfach nicht ausgeschöpft werden kann.

AT-VM95-Serie vs. Meine Stereoanlage

Grand Finale und ich bin verwöhnt. Der Sony TA-870ES und der Yamaha YP-D10 wurden aufwendig restauriert und waren mit das Beste, was diese Firmen zu der Zeit verkauften. Die Bower & Wilkins CM8 S2 thronen stolz im Zimmer, dazwischen schmiegt sich ein Pro-Ject DS2. Normalerweise betreibe ich hier einen Clearaudio Virtuoso V2 oder einen van de Hul MC-10 als Tonabnehmer. Bei den beiden habe ich immer den Eindruck, dass es die Anlage ist, die die Abnehmer zurückhält, aber dann wiederum lege ich eine Dungeonsynth-Platte auf und sage mir whatever. Aber für diesen Test der drei Nadeln hier ist die Anlage geeignet, um zu sehen, was die drei Nadeln am Ende wirklich können.

Erwartungsgemäß kann die VM95E in diesem Setup nicht überzeugen. Der Sound ist sauber genug, aber die Mängel in der Detailauflösung, Dynamik und Räumlichkeit werden sofort schmerzlich klar. Die Basskraft lässt zu wünschen übrig, es wäre alles nur okay, wenn man nicht weiß, wie das System klingen kann. Und wenn man das nicht weiß und im Vergleich einmal einen digitalen Streamer darauf laufen lässt, fragt man sich schnell, was das mit den Platten eigentlich soll. Es spielt hier auch keine Rolle, welchen der Tracks meiner zehn Platten ich spiele, alles klingt leblos, zurückhaltend und leicht verwaschen.

Das bessert sich mit der VM95EN ein klein wenig. Gerade die Basskraft und Dynamik gehen ein wenig nach oben, was für mehr Spaß bei Cold Storage, Initial D und Sonic Adventure sorgt. Aber geht man dann zu den Blue Travellers, Patrick Wolf oder gar Maestro Coltrane, dann fehlt es einfach in den Details, der Reaktionsgeschwindigkeit und schlicht der Präzision. Wenn man einfach ein wenig Rock/Pop laufen lassen will und nicht genau hinhört, dann geht das schon, aber dann braucht man auch nicht diese Anlage. Erst die VM95SH begann ein wenig zu begeistern. Sicher, auch die ist noch ein Stück weg von dem, was geht, aber das macht schon Spaß und geht durch die Bank, egal ob Auflösung, Dynamik oder Klangpräsenz in die richtige Richtung: Die Nadel bringt eine gewisse Wärme mit, die sie in den anderen Setups vermissen ließ und ist für dieses spezifische System gar kein schlechter Partner. Falls eine meiner anderen Nadeln den Geist aufgibt und die Kasse knapp ist, dann ist die VM95SH eine echte Option.

Audio Technica AT-VM95E, AT-VM95EN und AT-VM95SH – Welche sollte man kaufen?

Und was sollte das Ganze jetzt? Nun, es zeigte, dass ein höherer Preis in der Regel schon einen besseren Tonabnehmer liefert. Große Überraschung, ich weiß. Es zeigte aber auch, dass nicht jedes Setup mit diesem besseren Abnehmer etwas anzufangen weiß. Wie zuvor erwähnt, ein sehr populäres Setup ist ein eher einfacher Player mit eingebautem Verstärker und vielleicht auch Bluetooth und dazu ein paar halbwegs vernünftige aktive Lautsprecher oder Kopfhörer. Sieht schick aus, klingt schon nach was und lässt einen den Vinyl-Boom erleben, ohne gleich in esoterische Hi-Fi-Tiefen abzutauchen.

In diesem Kontext kann man die AT VM95E als preiswertes Universalwerkzeug kaum genug loben. Für 50 Euro als Abnehmer oder 30 als Nadelträgerersatz später spielt auch die eher kurze Lebensdauer mit 300-400 Stunden keine große Rolle und die Klangqualität ist schon fast so gut, wie es wird. Sicher, die EN ist noch mal ein klein wenig netter, darüber kann man nachdenken, aber spätestens die SH braucht man in diesem Setup nicht. Ich habe spaßeshalber noch mal die Clearaudio-Nadel angeschlossen und weder sie noch die SH waren ein Sprung zur EN. Nuancen, sicher, aber nichts, was diese Preise rechtfertigt.

Das heißt nicht, dass die AT95SH einfach nur teuer ist und ein Shibata-Schliff nichts bringt. Im Gegenteil. Aber der Rest des Setups muss passen. Wenn ihr gute aktive Boxen habt, ich hätte da so etwas wie Nuberts nuPro SP-500 im Blick, dazu ein guter, schlichter Vorverstärker wie der Audio Technica AT-PEQ30 oder Pro-Jects Phono Box S3 und das sollte ein guter Match sein, ohne die Kasse weiter zu sprengen. Am Ende kommt es einfach darauf an, die passende Nadel zum passenden Setup zu kaufen und zu verstehen, dass es wenig bringt, eine teure Nadel zu kaufen und auf automatisch besseren Sound zu hoffen.

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