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Too Human

Keine Missverständnisse mehr

Wow, wäre mir bei der Interpretation von Silicon Knights nicht aufgefallen. Der bullige Protagonist scheint eher eine Karriere bei den Warhammer-Marines hinter sich zu haben, als in Asgard für die schönen Seiten des Lebens zuständig zu sein. Allerdings gibt es derzeit sowieso nicht so viele schöne Seiten in der Welt von Too Human: Eine riesige Armee von Maschinenwesen belagert die menschliche Rasse und beginnt, sie langsam aber sicher zu dezimieren. Woher kommen sie? Was wollen sie? Reicht es ein Gott zu sein, um sie zu stoppen?

An der anspruchsvollen Herkunft der Terminologie, mit der die Entwickler Aufbau von Handlung und Drama umschreiben, merkt Ihr schnell, dass Silicon Knights seinem Titel wohl kaum ein Übermaß an Eigen- oder einem anderen Humor zugestehen wird. Todernst geht es zur Sache, es dreht sich um ernste Themen und da stellt Ihr Euch vielleicht auch die Frage, ob eine Crossover aus Third-Person Action und Diablo-Style Rollenspiel wirklich das Vehikel sein kann, um diese Art von Epik zu transportieren.

Nehmt dazu die Perspektive von Devil May Cry. Ergänzt es mit den Spielmechaniken eines Action-Rollenspiels. Ein paar Charakterwerte, zwei Pistolen, ein Schwert, Hitpoints. Mit dem linken Stick steuert Ihr Baldur durch die episch von der Kamera eingefangenen Kulissen. Hier zeigt sich deutlich die fleißige Arbeit des Teams. Wo das Spiel 2006 noch ruckelte und der härteste Kampf gegen die unmöglichen Perspektiven geführt wurde, müsst Ihr Euch jetzt nicht mehr um den richtigen Blickwinkel Gedanken machen. Und das, was gezeigt wird, kann sich sehen lassen. In flüssiger Detailpracht eröffnen sich Welten, die zwar auf den ersten Blick technisch nicht mit den Meistern der Kunst ganz mithalten, aber zu keinem Zeitpunkt das Auge beleidigen.

Nein, von solchen Leuten sind keine spritzigen Oneliner zu erwarten.

Bevor Ihr in den Genuss der neu gefundenen Schönheit kommt, müsst Ihr Euch für eine der fünf Charakterklassen entscheiden. Champion, Commander, Berserker, Bio Mechanic und Defender unterscheiden sich teilweise drastisch in ihrer Kondition, Stärke oder den Fähigkeiten im Umgang mit Waffen und Material. Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind deutlich spürbar und ziehen sich durch das gesamte Spiel. Ob sie allerdings einen Einfluss auf den 'mythos' haben, ist noch nicht bekannt.

Gemein haben die Klassen, dass sie zu Beginn alle sehr schnell anfangen hochzuleveln und Ihr Euch auf dem Weg zur maximalen Stufe 50 – wo hab ich das schon mal gehört? - immer mehr zwischen Mensch und Kybernetik und den damit zusammenhängenden Fähigkeiten entscheiden müsst. Auch wenn Ihr Euch sicher sein dürft, dass dies wohl einen Bezug zu der Story haben wird, bleiben die von Euch zu erringenden High-Level-Künste noch ins Dunkel gehüllt.

Wie Ihr jedoch zu Beginn den zahllosen Feinden gegenübertreten werdet, wurde schon ausgiebig präsentiert. Und auch wenn es wirklich den Anschein eines Action-Spiels im – ich sage es jetzt zum letzten Mal, aber es ist halt so offensichtlich – Devil May Cry–Stil macht, funktioniert es doch ganz anders. Gesteuert wird Baldur wie erklärt mit dem linken Stick, gekämpft wird aber nicht auf Knopfdruck. Ein zartes Drücken des rechten Sticks in die gewünschte Richtung lenkt die scharfe Seite seines Schildspalters in diese, dazu den Triggerbutton gehalten, schickt Baldur das Magazin seiner Zwillingspistolen hinterher. Ein sehr viel entspannteres Spielen, das vom Gefühl das rollenspielige des Ansatzes unterstreicht.

Baldur mit Freya, nordische Göttin der Fruchtbarkeit. Hier bei Ihrem Zweitjob als Sekretärin.

Die Bewegung selbst und Positionierung im Raum spielt nicht annähernd die Rolle, die sie in einem Third-Person Actiontitel einnehmen würde. Es mag ein wenig heruntergeschraubt scheinen, dass Ihr Euch fast nur bei den Endgegnern wirklich um Eure Position sorgen müsst. Dem Vier-Spieler CoOp-Modus kommt diese Vereinfachung sicher entgegen. So habt Ihr in der Gruppe weniger Probleme, Euch in der richtigen Distanz durch die Feindeshorden zu arbeiten. Ob es neben dem Storymodus noch weitere Multiplayervariationen geben wird, ist derzeit noch nicht ganz spruchreich. Ihr könnt fast sicher damit rechnen, gewiss ist nichts, warten wir es ab...

Worauf Ihr Euch aber jetzt schon ganz sicher freuen dürft ist ein orchestral eingespielter Soundtrack. Wer die Meisterleistung Silicon Knights in Richtung Musik beim Gamecube-Titel Eternal Darkness noch im Ohr hat, weiß, wozu die Truppe in der Lage ist. Für Too Human mietete man sich kurzerhand in die Hallen der Bastyr Kapelle nahe Seattle ein und nahm dort mit Chor, Orchester und einer Reihe nicht unbedingt zum klassischen Repertoire zählender Instrumente einen Soundtrack auf, der hoffentlich sogar seine spannenden Vorgänger überbieten wird.

So, ein paar Missverständnisse zu Too Human dürften aus dem Weg geräumt sein. Es kommt also kein Shooter oder überhaupt ein reiner Action-Titel auf Euch zu, sondern ein Action-Rolli. Eines, das sich so ernst nimmt, dass die Entwickler Aristoteles Dramenaufbau bemühten, Skaldenmystik heran holten und von vornherein das Epos auf zwei Nachfolger ausdehnten. Wird dies alles ein stimmiges Gesamtes ergeben und seine selbst gesetzten Ansprüche erfüllen können? Keine Ahnung. Was aber den Spaßfaktor angeht, sieht es hoffnungsvoll aus. Ein schönes Action-RPG mit einem hoffentlich brillantem Soundtrack nehme ich gerne jeden Tag, selbst wenn es keine zweite Edda wird.

Erscheinen wird Too Human exklusiv für Xbox 360. Ob das aber noch in diesem Jahr passieren wird, weiß höchstens Silicon Knights. Und die verraten es noch nicht.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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Too Human

Xbox 360

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