Torchlight 2 - Vorschau
Was darf's sein? Klickibluti oder Klickibunti? So einfach ist ein Vergleich zwischen Torchlight 2 und Diablo 3 freilich nicht.
Hätte ich auf dem Presse-Event von Perfect World neulich in der Haut von Max Schaefer gesteckt, wäre ich vermutlich irgendwann extrem ausfallend geworden. Vielleicht hätte ich Hunderte Mal genervt mit den Augen gerollt oder mit diesen Bonbons um mich geschmissen, die überall auf den Tischen im Konferenzzimmer des Amsterdamer Hotels herumlagen, in dem Torchlight 2 präsentiert wurde. Man konnte es drehen, wie man wollte: ein gewisser Elefant namens "Diablo 3" lies sich einfach nicht aus dem Raum scheuchen.
Kaum ein Gespräch zwischen den anwesenden Journalisten, das nicht irgendwann Blizzards neues Hack-and-Slay streifte. Selbst beim Abendessen wurde mit Entwicklern und Publishern über Diablo 3 und das Action-RPG-Genre als solches diskutiert. Wahrscheinlich lauerten wir alle ein wenig auf eine deftige Wut-Tirade des Runic-Bosses gegen die gehypte Konkurrenz, um dann endlich in unsere Notizblöcke zu dichten: "Schaefer schimpft!"
Aber Fehlanzeige. Schaefer blieb gelassen. Kein böses Wort kam ihm über die Lippen, Fragen zur Konkurrenz beantwortete er ruhig und analytisch, selbst bei direkten Vergleichen verzog er kein einziges Mal das Gesicht. Stattdessen verwies er auf die unterschiedlichen Designphilosophien hinter den beiden Spielen (das vollständige Interview lest ihr hier morgen Nachmittag).
Kurz gesagt zimmerte Blizzard für Diablo 3 ein total geschlossenes System, ohne Cheater, ohne Modder, ohne LAN-Option, dafür mit Onlinezwang und Echtgeld-Auktionshaus. Runics Strategie ist das genaue Gegenteil: Modifications sind gern gesehen, die Design-Tools werden gratis mitgeliefert, der Einzelspielermodus funktioniert offline, LAN-Spiele sind möglich, Onlinespiele über Peer-to-Peer ebenfalls. Diese betretet ihr über eine Liste mit offenen Partien, die ihr euren Bedürfnissen mittels diverser Filter anpassen könnt. Sechs Spieler dürfen sich gemeinsam in die Dungeons stürzen, während Diablo 3 nur vier Mitglieder pro Partie erlaubt. Der Schwierigkeitsgrad zieht, wie in Blizzards Titel, mit steigender Spielerzahl an. Die Beute wird instanziert - jeder Spieler bekommt sein eigenes Loot.
Einen weiteren Stern im Klassenbuch verdient Torchlight 2 durch seinen erschwinglichen Preis (Schaefer scherzt: "Unser Spiel kostet nur ein Drittel von Diablo 3, da sollten doch auch dreimal so viele Einheiten verkauft werden"). Außerdem sind die Hardware-Anforderungen geradezu lachhaft. Torchlight 2 verwendet die gleiche Engine wie der erste Teil - und der lief zur Not sogar auf einem Netbook, wenn man die Optik entsprechend herunterregelte. Trotzdem ist auch diesmal die Perspektive frei zoombar, nur drehen kann man den Blickwinkel nicht. Zum Release wird erst einmal die PC-Fassung kommen, eine Umsetzung auf Mac soll dann in Kürze folgen.
Doch macht Torchlight 2 wirklich so vieles besser und könnte es vielleicht sogar den vermeintlichen neuen Platzhirsch von Blizzard ausstechen? Basierend auf der geschlossenen Beta und den Testspielen in Amsterdam kann man schon jetzt ein paar Details vergleichen.
Blizzard setzt bei Diablo 3 trotz offenkundiger Tendenz zum Comic-Look auf einen betont düsteren, ernsten Gothic-Stil und spart nicht mit roten Splatter-Pixeln. Bei Torchlight 2 würde ich mich hingegen nicht wundern, wenn plötzlich Guybrush Threepwood mit einer Horde Bananen-schwingender Steampunk-Affen aus dem Busch hüpft. Die Grafik ist leuchtend bunt. Die Landschaften, Charaktere und Monster würden prima ins Portfolio eines Zeichners bei Disney oder Pixar passen. Das gesamte Design schreit euch entgegen, dass diese Welt unter gar keinen Umständen ernst genommen werden will. Zwar fließt auch bei Torchlight 2 hektoliterweise Blut und die USK-Freigabe ist ab 16; das Spiel wirkt wegen seiner Zeichentrick-Optik trotzdem so harmlos wie Yoghurt-Eis mit Gummibärchen.
In beiden Action-RPGs kommen zufallsgenerierte Kampfgebiete zum Einsatz, in denen es vor Sub-Dungeons, Elite-Monstern und Nebenquests nur so wimmelt. Man muss Torchlight 2 allerdings zugutehalten, dass die Abstimmung der Landschaft einen Tick lebendiger wirkt, zumal es sogar Wetter-Effekte wie Regen und Tag-Nacht-Wechsel gibt. Felsen, Gewässer, Vegetation schauen zwar überzeichnet und künstlich aus, werden jedoch trotz des zugrunde liegenden Zufallsgenerators sehr stimmig platziert. Die Übergänge zwischen den Landschaftstypen wirken nie unplausibel oder beliebig. Helden hinter einem Felsen oder einer Wand werden als blaue Schemen dargestellt, Gegner schimmern rot. Bei Blizzard blendet man hingegen alle störenden Landschaftsteile einfach aus. Welchen Effekt ihr besser oder übersichtlicher findet, bleibt eurem Geschmack überlassen.
Soundtechnisch schenken sich beide Titel nichts. Während Diablo 3 gekonnt mit Themen jongliert, die frappierend nach Matt Uelmen klingen, können die Entwickler von Torchlight 2 auf den Meister persönlich zurückgreifen. Der Musiker und Sound-Designer verdient seit 2009 seine Brötchen bei Runic Games.
Die Story ist im Grunde bei beiden Titeln ein bisschen vernachlässigbar - wer liest schon groß Quest-Texte, wenn es allein um Metzelei und Beutesammeln geht? Bei Blizzard wird die Story jedoch generell stimmungsvoller erzählt. Hier machen sich die tollen Synchronsprecher bezahlt und die aufwendigen Zwischensequenzen haben einfach mehr Wucht. Bei Torchlight 2 sabbeln viele NPCs Standard-Phrasen und man neigt eher dazu, die Textwüsten wegzuklicken und sich aufs bloße Lesen der eingeblendeten Quest-Ziele zu beschränken.
"Wem die Charaktererstellung bei Diablo 3 zu simpel oder zu linear ist, der wird Runics 'konventionellen' Ansatz im Stil von Diablo 2 lieben."
Drei Akte sind in Torchlight 2 geplant, wovon allerdings nur die Ersten beiden wirklich bestätigt wurden. Im ersten Akt führt euch die Story durch ein felsenreiches Wiesengebiet namens Estherian Steppes, im zweiten Akt geht es in eine Wüste. Zu Akt drei schwieg Max Schaefer leider eisern. In allen drei Kapiteln gibt es eine Stadt, in der ihr neben zwei Kisten (eine für euren Held, eine für alle eure Charaktere) und diversen Händlern auch einen NPC zum Verzaubern von Waffen findet, sowie Helfer zum zerstören oder retten von Juwelen aus Sockeln.
Wem die Charaktererstellung bei Diablo 3 zu simpel oder zu linear ist, der wird Runics "konventionellen" Ansatz im Stil von Diablo 2 lieben. Jede Klasse besitzt drei Fertigkeitsbäume, in die ihr beim Stufenanstieg (Level-Cap 100) einen Punkt investieren dürft. Daneben steckt ihr fünf Punkte in die üblichen Attribute: Strength, Dexterity, Focus und Vitality, um eure Kampfkraft zu verbessern und Ausrüstung anlegen zu dürfen (ab einem bestimmten Charakterlevel werden die Attributs-Beschränkungen "älterer" Waffen aufgehoben).
Vier Klassen in zwei Geschlechtern stehen in Torchlight 2 zur Auswahl: Der Outlander mit seinem Faible für Pistolen ist ein klassischer Distanzkämpfer inklusive magischer Munition, der außerdem ein paar nette Tricks mit einem Bumerang beherrscht und einige nützliche Massenkontroll-Zauber sprechen kann. Der Embermage ist die typische Magieklasse, die mächtigen Flächenschaden mittels Feuer-, Eis- und Elektrozaubern verursacht, im Nahkampf aber relativ zügig ins Gras beißt. Der Berserker ist ein DPS-Nahkämpfer wie aus dem Bilderbuch, dessen elementare Attacken in Gestalt eines geisterhaften Wolfs daherkommen und der seine Feinde mit entsprechendem Geheul in Schrecken versetzen kann. Zu guter Letzt gibt es den Engineer, der mit langsamen Nahkampf-Attacken und mächtigen Schild-Manövern eindeutig in Richtung Tank tendiert, Erdbeben verursacht und außerdem Roboter zur Heilung oder als Kampfmaschinen zusammenschraubt.
Wie im ersten Torchlight ist jeder Charakter wieder mit einem Haustier unterwegs, das nicht nur aktiv mitkämpft, sondern auch ein eigenes Inventar besitzt, Gegenstände für euch verscherbelt und - genau wie ihr - Spruchrollen erlernen kann, die ihr unterwegs findet und die euch besondere Zauber-Attacken und Beschwörungen gewähren.
Neuerdings dürft ihr eurem tierischen Freund außerdem eine Einkaufsliste für Tränke, Identifikations- und Townportal-Rollen mitgeben. Acht Haustiere werden geboten. Von der Dogge über ein Frettchen mit Fliegerbrille oder einen zweibeinigen Dino bis hin zum Falken ist alles dabei. Dank eurer Begleiter platzt kein Inventar mehr aus den Nähten, zumal euer Rucksack in drei große, separate Reiter für Ausrüstung, Konsumgüter und Zauberspruchrollen geteilt wurde. Mehr Platz geht kaum.
Als Unterstützung im Kampf bleiben eure Viecher allerdings genauso dürftig wie die relativ schwachbrüstigen Begleiter in Diablo 3, wobei die Haustiere in Torchlight 2 dank ihrer Inventar-und Shopping-Funktionen und der Fähigkeit, Spruch-Rollen zu benutzen, sehr viel praktischer sind. Sinkt die Lebensleiste eures Tieres auf null, stirbt es übrigens nicht, sondern läuft einfach ein paar Sekunden aus dem Bild. Fischen kann man in Torchlight 2 auch wieder und die gefangenen Flossenviecher an seine Haustiere verfüttern, um diese kurzzeitig in eine andere Kreatur zu verwandeln.
Wer das erste Torchlight oder Diablo 2 gespielt hat, findet sich in Sachen Steuerung auf Anhieb zurecht. Die Zahlentasten von eins bis null sind frei mit allen Skills belegbar, es gibt zwei aktive Waffenkonfigurationen, zwischen denen ihr auf Knopfdruck umschalten dürft und zwei Sprüche für die rechte Maustaste, die per Tab-Taste gewechselt werden.
Großartige Unterschiede beim Kampfsystem gibt es selbstredend keine. Hüben wie drüben klickt ihr Monster tot und bekommt dafür Beute, deren Zusammensetzung und Werte vom Zufall bestimmt werden. Die Kämpfe laufen in Torchlight 2 allerdings wesentlich schneller ab und die Charaktere bewegen sich flotter als bei der Konkurrenz. Das gibt dem Spiel eine höhere Dynamik und die Levels wirken weniger langatmig. Ihr dürft beliebige Waffen miteinander kombinieren, zum Beispiel Pistolen und Schilde oder zwei Schwerter oder zwei Pistolen. Je nach Entfernung kommt dann automatisch das richtige Metzelwerkzeug zum Einsatz. Am unteren Bildrand gibt es eine Leiste, die sich während der Kämpfe langsam füllt und euch für ein paar Sekunden spezielle Boni gewährt, sobald ihr sie voll habt. So macht zum Beispiel der Berserker für ein paar Sekunden ausschließlich kritischen Schaden oder die Sprüche des Embermage kosten kurzzeitig kein Mana.
Vier Schwierigkeitsgrade gibt es in Torchlight 2 (Casual, Normal, Veteran, Elite), wobei Runic Games nicht der Philosophie Blizzards folgt, die Drops bei Endgegnern nach dem zweiten Durchgang künstlich zu verschlechtern, um Boss-Runs zu bestrafen. Einen Hardcore-Modus gibt es ebenfalls, in dem ihr nur ein einziges Mal sterben dürft.
Alles in allem bietet Torchlight 2 zahlreiche Features, die auch Diablo 3 in die Waagschale wirft, und hat gleichzeitig einige Bonbons im Gepäck, die Fans aktuell bei Blizzards Action-RPG vermissen. Wer sich an der farbenfrohen Optik und kinderlieben Aufmachung nicht stört, könnte in Runics Hack-and-Slay eine interessante und kostengünstige Alternative zu Diablo 3 finden. Die Inszenierung erzeugt zwar eher ein Schmunzeln denn eine Gänsehaut, wenn es jedoch ums reine Klick-Vergnügen geht, liegen beide Kandidaten gleich gut im Rennen. Bis zum Release im Sommer 2012 dauert es nicht mehr lang, Vorbestellungen der Box oder digitalen Version sind möglich. Mal sehen, wie sich die beiden Titel im direkten Schlagabtausch behaupten.