Total War: Warhammer: Kein Untertan des Tabletop
Wie Creative Assembly sich mit einem störrischen Triumvirat auseinandersetzt.
"Wer will denn in einer Jauchegrube leben?" Richard Aldridge sitzt im englischen Chichester in einem alten Holzhaus, und als er dieses Frage stellt, blitzen seine Augen auf. Anders denken, die Leitplanken im Kopf entfernen, um den Zugang zur neuen, Alten Welt möglich zu machen, zu Warhammer. Denn dies hat er als Game Designer in den vergangenen Jahren getan. Richard und Creative Assembly mussten sich für das neue Total War umorientieren; narrative Elemente verstärken und anders einsetzen, aber zugleich die Merkmale der Serie nicht aus den Augen verlieren, und zum anderen zwei Fanscharen zufriedenstellen. Die Taktik-Freaks ebenso wie Tabletop-Liebhaber von Games Workshops Fantasy-Schauplatz. Beide Gruppen sind bekanntlich nicht zimperlich, wenn es um Detailtreue geht.
Für Richard und die anderen Entwickler ist Warhammer der erste Schauplatz abseits der Geschichtsbücher, an den sie sich heranwagen. Hier gibt es andere Gegebenheiten, nicht stehen sich Mensch gegen Mensch gegenüber. Nein, die Fraktionen bei Warhammer haben zwar unterschiedliche Schattierungen, ansonsten ist es typische Fantasy, die ihre Bewohner rigoros in Rassen unterteilt, die sich bekriegen. Zwerge und Orks, Menschen und Untote sind verortet in einer eigenen Geo- und Topographie, mit eigenen Regeln und eigener Historie, Fehden und Allianzen.
Die Tabletop-Vorlage ist trotz dieses Grobschnitts in mehreren Jahrzehnten kleinteilig geworden. Games Workshop hat das Warhammer-Spielsystem wachsen lassen, immer wieder verändert und verfeinert. Und nun ist das Tabletop die Vorlage nicht für irgendein Strategiespiel, sondern für ein Total War. Die beiden sind wegen ihres taktischen Charakters zwar ähnlich angelegt, aber nicht gleich. Es mussten also Dinge angepasst werden. Die größte Herausforderung? "Die riesige Menge an Armeen und Geschichten in unser Spiel zu bekommen", sagt Richard. Die Auswahl allein sei schon eine Herausforderung gewesen. "Es musste genug Fußvolk da sein, aber auch Truppen, die es sich lohnt im Laufe der Kampagne aufzubauen, und die für ein Empire Building Game nötig sind."
Es gibt über ein Dutzend Fraktionen für das Tabletop, aber in Total War werden es zu Beginn eben diese vier sein: Zwerge, Orks, Menschen und Untote. Die lebenden Toten sind das Neue, was ich ausprobieren konnte bei meinen Schlachten in der Grafschaft West Sussex. Nicht nur das Ambiente im Open Air Museum war stilecht, auch die Gefechte auf dem Bildschirm. Ein Total War eben. Zugleich: Warhammer eben. Anders war meine Erfahrung trotzdem. Untote und Orks unterscheiden sich auf dem Feld schlicht stärker als etwa Franzosen und Deutsche. Sie haben Helden, also Charakterfiguren, die sich nicht bei anderen Truppen einreihen. Es gibt Flugeinheiten. Und natürlich ist da Magie, ein Element, das es bei den historischen Total-War-Titeln nie gab. Napoleon mit dem Zauberstab? Nein.
Schon immer fand ich die dunkleren, bösen Fraktionen bei Warhammer besonders ansprechend. Das Chaos, diese Mischung aus Brutalität, Sexualität und Verkommenheit. Die Skaven, die aus dem Untergrund jederzeit überall auftauchen und alles überrennen können; und die Untoten, die sich die Lebenden Untertan machen - auch nach deren Tod. Die Vampirfürsten, wie die Fraktion bei Warhammer inzwischen heißt, haben eine Menge Eigenarten, die Creative Assembly sehr gut umgesetzt hat. Skelette, Zombies, eine riesige laufende Kampffledermaus, ja die gibt es unter anderem; keine ballistischen, dafür aber mehr fliegende Einheiten folgen dem Willen ihres Herren. Mit Schwärmen von Fledermäusen kann ich etwa erfolgreich die gegnerischen Fernkämpfer kontern. Abseits der direkten Konfrontation sehe ich im Kampagnenmodus, wie die Alte Welt so vor mir liegt, und meine süße, dunkle Verwesung um sich greift.
Neu ist für Total War das stärkere erzählerische Element, das sich bei anderen Titeln nur auf einen historischen Rahmen beschränkte, und dem Spieler mit seinen Armeen sehr freie Hand ließ. Doch beim Warhammer-Tabletop geht es auf der einen Seite auch um siegreiche Kämpfe, um Eroberung, Ja. Doch abseits der Schlachten auf einem Tisch gibt es noch etwas anderes: die Rassen und ihre Geschichten. Creative Assembly hatte die Chance, all dies zu vereinen. Also mussten Kampagnen entworfen und Erzählungen authentisch eingearbeitet werden. Ein Beispiel: Gold ist für die Untoten unwichtig, sie brauchen stattdessen schwarze Magie. Bewegt sich eine Armee zu weit aus dem Einflussbereich von Siedlungen wie Schwartzhafen und Schloss Templehof (!) heraus, lichten sich ihre Reihen. Die Untoten fallen einfach wieder in sich zusammen. Da hilft auch nicht, dass Oberbeißer Mannfred von Carstein (!!) dabei ist.
Die Rassen haben unterschiedliche Ziele in der Kampagne, aber auch manches gemeinsam: "Ohne zu verraten, was das Ende des Spiels sein wird - die Horden des Chaos lauern immer", unkt Richard: "Jede Fraktion muss sich auf gewisse Weise mit ihm auseinandersetzen." Das ist auch beim Tabletop so, aber bestimmte Dinge kann man nicht am Computer simulieren, da kann die Umsetzung noch so inspiriert und exzellent sein; die Situation am Spieltisch, das soziale Erlebnis, die Sprüche, die Psychospielchen. Wie kann ein Total War dieses Defizit am PC kompensieren?
Beschäftigt damit hat sich Mark Sinclair, der neben Richard am Tisch in Chichester sitzt. Mark war als Game Designer für die Kampagne verantwortlich. "Nun, es gibt Mehrspielerkämpfe und es gibt auch die Mehrspielerkampagne. Aber vor allem haben wir einen richtigen Feldzug - das Warhammer Tabletop hat nicht solche Ausmaße." Eine Schlacht des Tabletops kann schnell mal ein paar Stunden dauern. Ja, es gibt Kampagnensysteme, Mighty Empires etwa, sie sind aber extrem aufwendig und eigentlich kaum zu einem Ende zu bringen, wenn man noch etwas anderes vorhat, als wochen- bis monatelang lang seine Zeit neben der Arbeit an einem Spieltisch zu verbringen. Um die Kampagne am Rechner kurzweilig und attraktiv zu machen, haben sich Creative Assembly auch aus den Geschichten in den Armeebüchern bedient. Dort sind beim Tabletop alle Informationen zu jeweils einer Fraktion enthalten.
Fantasy sind Märchen, und deshalb auch immer überzeichnet, das macht sie leichter greifbar und unterhaltsam. Dies gilt für das Imperium mit seinen deutschen Namen (für uns mit notorischen Rechtschreibfehlern versehen) ebenso wie für die Grobheit der Zwerge, dieses Arbeitervolk der einfachen Dinge, oder die Elfen mit ihrer Feinheit und Androgynie, und auch für die Aggression der Orks. Märchen verdeutlichen auch die Wirklichkeit: Verschiedene Lebewesen haben bestimmte Fähigkeiten und werden dafür belohnt, wenn sie entsprechend handeln. Wie eben die Orks, die sich an ihrer Kampfeslust erfreuen und dann vom Waaagh-Kampfschrei profitieren.
Die Orks sind davon überzeugt davon, dass sie die härtesten Krieger sind, und sie können es nur bleiben, wenn sie konstant Gegner haben. "Wird ihnen langweilig, fangen sie einfach an, sich untereinander zu bekämpfen", erklärt Richard. Also müsse ein Ork-Feldherr aktiv bleiben, das Momentum nutzen, denn dies mache Orks aus: "schnell, stürmisch, aggressiv", sagt er. Als Belohnung gebe es den Waaagh, einen (Auf)Ruf, mit dem Feldherrn zu kämpfen, der ihrem Naturell entspricht.
Die Zwerge hingegen mit ihren Riesenäxten oder Hämmern sind ebenfalls einfach gestrickt, dabei stur und saufen wie der menschliche Pöbel, werden aber als moralisch einwandfrei dargestellt. Ihr König führt eine Art Goldenes Buch, nach dem sich die Zwerge als kollektive Personifizierung eines Knecht Ruprecht alle an Ihnen begangenen Ungerechtigkeiten verzeichnen: das "Great Book of Grudges". "Wir haben das in die Kampagne übernommen, es ist perfekt", sagt Mark. Jedes Mal, wenn dem Zwergenspieler etwas Schlechtes auf seinem Feldzug widerfährt, wird es in diesem Buch verzeichnet - und es gibt Vergeltungsmissionen, um die Einträge zu streichen. Eines der Kampagnenziele der Zwerge ist, dass alle schmachvollen Vorkommnisse aus de Buch getilgt werden.
Dieser Bestandteil des Feldzugs zeigt einen Unterschied zu früheren Total-War-Titeln, deren Spieler daran gewöhnt sind, relativ frei ihrem Eroberungsdrang nachgehen zu können. Bei Total War: Warhammer ist dies etwas begrenzter: So gibt es etwa zwei Gebiete, wo ich alle Gegner vernichten kann, die Siedlungen bis auf die Grundmauern niederbrennen, sie aber nicht besetzen. "Die Beschränkung ist eher ein Gewinn aus unserer Sicht, weil es die Unterschiede deutlicher macht, welche Rolle man in der Welt übernommen hat", sagt Mark. Dies wird Total-War-Puristen nicht unbedingt milder stimmen - passt aber zur Erzählung. Ein weiterer Beleg für die verrückten Leitplanken im Kopf.
Bei Total War: Warhammer ist es ein Geben und Nehmen von drei Seiten: Total War als etablierte Strategiespielserie, das Warhammer-Tabletop als Spielsystem, und die Geschichten aus dessen Welt. Manche Dinge wie eine erzählerisch gestaltete Kampagne kann ein Tabletop entweder nicht leusten, oder zumindest nicht in allgemein verträglichen Zeithappen bieten. Dafür fehlt im Gegenzug das Auge-in-Auge am Spieltisch und das ganze Drumherum des Hobbys. Mein Eindruck ist, dass Creative Assembly zwischen diesem Triumvirat geschickt bewegt hat.
Total War: Warhammer könnte werden, wovon alle Warhammer-Fans, die auch am PC spielen, seit ihrem ersten Scharmützel am Spieltisch geträumt haben - eine authentische Umsetzung der Warhammer-Welt und ihren Geschichten, in Form epischer Schlachten, die aber wenig beliebig und austauschbar sind. Dazu gehört dann auch, dass es bestimmte Gebiete gibt, die das Imperium nicht erobern kann; wie etwa die Ork-Siedlung in den Bergen, diese Jauchegrube, auf die Richards Frage in unserem Gespräch bezogen war. Will dort ein Mensch leben? Eben.