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Toxikk - Test

Multiplayer "wie 1999" - und das ist zur Abwechslung mal kein Schimpfwort.

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Ein Klon und stolz darauf. Toxikk hat alle wichtigen Lektionen des Vorbilds UT verinnerlicht und hält den Shareware-Gedanken am Leben.

Bei all dem Unlock- und Loot-Wahnsinn und anderen grassierenden Fremdgenre-Einspeisungen, wundert es wohl nicht, dass sich First-Person-Shooter aktuell in Masse Vergangenheit und Tradition zuzuwenden scheinen. Klar, auch eine so gekonnt aufpolierte Klassiker-Neuauflage wie Doom entzieht sich nicht moderner Charakterprogression. Aber es sucht seinen Spaß stets am guten Ende einer durchgeladenen Schrotflinte und klug versteckten Goodies. Auch Indies wie Strafe haben die Lust auf Pures und Unverdünntes erkannt und schleichen ihre Neuerungen eher durch die Hintertür in ihre kruden Polygonbauten anno 1996. Bethesda bringt Multiplayer-Freunden sogar ein neues Quake und Epic zieht für Unreal Tournament nur in Sachen Bewegungsfeinheiten und spielererstellter Inhalte wirklich Inspiration aus den Fortschritten der letzten zehn Jahre.

Die Shooter-Szene schaut geschlossen und ein bisschen nostalgisch auf sich selbst zurück. Eine derartige Rückbesinnung auf die Werte, mit denen man startete, ist alle paar Jahre eine wirksame und wünschenswerte Neukalibrierung, bevor die Szene gesammelt weiter in die Zukunft schreiten kann. Ein vollkommen natürlicher und gesunder Prozess, zu dem auch ein Titel wie Toxikk gehört. Ein kleiner, aber feiner Klon von Epics erstem UT - hier geht es allein um den Fluss einer guten Kill-Serie und deren möglicher Fortsetzung, die stets um die nächste Ecke zu warten scheint.

Hier ein Beispiel für den Fluss eines guten Deathmatches. Es ist ein überschaubares Chaos (1:26).Auf YouTube ansehen

Und damit wäre auch schon Toxikks einziges Problem ziemlich genau umrissen: Unreal Tournament ist eindeutig die Vorlage, dessen Nachfolger ist längst in der Mache und schon jetzt auszugsweise spielbar. Der sieht besser aus, ist das Original und wird, wenn es fertig ist, komplett kostenlos sein. Ja, auch frei von Mikrotransaktionen. Aber - und das ist wichtig - es ist noch nicht fertig, sondern erst "Pre-Alpha". Und dass Epic erwartet, dass ihr einen weiteren Launcher herunterladet, anstatt das Spiel auf Steam anzubieten, hält das Wachstum seiner Community doch ziemlich im Zaum. Nun, Toxikk gibt es auf Steam. Und auch dieses Spiel wird euch nicht gerade arm machen, tatsächlich macht sein Geschäftsmodell einen guten Teil des Grundes aus, warum ich nicht darum herumkomme, es euch hier und heute zu empfehlen: Toxikk vertritt eine Art Shareware-Gedanken. Der Einstieg ist kostenlos, nur wer mehr will, wird zur Kasse gebeten.

Eine Free-Version lässt euch vier Maps über alle Modi - Deathmatch, TDM, Capture the Flag mit und ohne Fahrzeugeinsatz - verteilt spielen, so lange ihr wollt. Für alle Maps, Achievements, das Recht, mit Freunden zusammen zu spielen, Votum auf die nächste Karte, den Serverbrowser, Custom-Servers, Zugriff auf Steam-Workshop-Inhalte und die Individualisierung eurer Spielfigur werden schlanke 14,99 verlangt. Das ist ein minimaler Reibungswiderstand, wenn es darum geht, herauszufinden, ob Toxikk etwas für euch ist. Und selbst, wenn ihr euch nicht sicher seid, ob ihr hierfür den Preis einer Großstadt-Kinokarte mit kleiner Cola hinlegen wollt, ist die Gratis-Version immer noch ein Kandidat für eines der besten "Mal-eben-20-Minuten-totschlagen"-Spiele dieses Jahres.

Dieses Spiel ist irrsinnig schnell, vermittelt ein in seinem Tempo, seinen Doppelsprüngen und Ausweich-Huschern ein gutes Gefühl für Bewegung, aus dem man in den verschachtelten Leveln viel Freude zieht. Eine kurze Unsichtbarkeit verschafft einem die entscheidenden Sekundenbruchteile, die man mit ordentlichem Aiming aber auch noch in Zählbares ummünzen muss. In kniffligen Situationen gegen gute Spieler ist es ein kleiner Gleichmacher, der Listigen viele Kills beschert, aber auf der anderen Seite keineswegs übermächtig.

Optisch ist das hier so generisch, wie es nur geht, aber selbst das könnte fast zum Konzept gehören.

Was die Waffenauswahl angeht: Es ist eben Unreal Tournament mit einer Prise Quake. Es ist mit Ausnahme des Rippers und der Goo Gun alles vorhanden, was man man vom Epic-Spiel erwarten würde, aber weniger exotisch und mit leichten Verschiebungen, was ihre Wirksamkeit angeht. Das Flak-Cannon-Äquivalent ist zum Beispiel eher eine zahme Shotgun, weshalb ich dazu tendieren würde, dass man Toxikk falschspielt, wenn man nicht am Spawnpunkt des Raketenwerfers campiert. Nicht, dass man ohne chancenlos wäre, das Sturmgewehr mit Granatenaufsatz und gerade das Link-Gun-Gegenstück mit Railgun als Sekundärfunktion und sogar das Scharfschützengewehr haben alle ihre positiven Seiten. Aber Bunny-hoppend und auf Arealschaden setzend fühlt sich Toxikk einfach am beseeltesten an.

Auf manchen Maps kommen sogar Fahrzeuge - ein Abklatsch des Sparrow aus Destiny, ein haushoher Mech, ein Warthog-Nachbau - zum Einsatz. In der Free-Version auf einer riesigen Rechteckigen Karte ohne wirkliche Deckung, mit versteckter Atomrakete auf dem Dach in der Mitte. Und die erreicht man nur mit der Schwebefunktion des titanischen Kampfroboters. Viel Finesse bietet dieses Anrennen nicht, aber die diebische Freude eines hirnlosen, altmodischen Gemetzels mit offenem Visier.

Wer seine Rüstung anpassen und Zugriff auf alle Inhalte haben möchte, muss die Vollversion kaufen. Ob ihr das wollt, lässt sich anhand der kostenlosen 'Free-Version' binnen einer halben Stunde herausfinden. Ein sehr ehrliches, selbstbewusstes Geschäftsmodell.

Und das ist eigentlich auch auf übergeordneter Ebene das, was Toxikk ausmacht. Schon mit dem ersten Spawn wisst ihr direkt, was zu tun ist, versteht die Waffen schon bevor ihr sie das erste Mal aufhebt und macht eure Spielfigur unmittelbar zum direkten Fortsatz eurer WASD-Finger. Dass das nach all der Zeit immer noch vom Fleck weg anregend ist, spricht für eine ausgestorben geglaubte Gattung Spiel. Eintrittskarte: kostenlos!

Also ja: Toxikk hat wenige eigene Ideen und ist sicher nicht der schönste Shooter dieser Art. Aber es fühlt sich toll an und hat den Willen, die gute alte Zeit hochleben zu lassen. Und wenn wir eines aus den Neunzigern gelernt haben, dann, dass ein guter Klon zur rechten Zeit das perfekte Spiel sein kann.


Entwickler/Publisher: Reakktor Studios - Erscheint für: PC - Preis: kostenlose Free Edition, 14,99 für die Vollversion - Erscheint am: Erhältlich - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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