Trials Evolution - Test
Zwischen Medaillensucht und Sehnenscheidenentzündung landet RedLynx seinen spektakulärsten Trick.
Trials ist ein Knochenbrecher von einem Spiel. Wo einem in anderen vergleichbar geschicklichkeitsbetonten Titeln, wenn sie alles richtig machen, der Versagens-Angstschweiß die Finger feucht macht, brennt er einem in Evolution auf den höchsten Schwierigkeitsstufen regelrecht in den Augen. Ab "Hard" kann jeder Millimeter, den ihr den Stick zu weit ausgelenkt und Gas beziehungsweise Bremse zu stark oder zu lax gezogen habt, den Verlust der begehrten Gold-Medaille bedeuten - und machen wir uns nichts vor: Wir sind eigentlich wegen Platin hier.
Schwierigkeit ist in Trials Evolution allerdings eine sehr relative Angelegenheit. Die Lernkurve ist sogar vorbildlich. Bedeutend besser noch, als in Trials HD, das mit weit über einer Million Verkäufen bis heute einer der bedeutendsten Erfolge auf dem Xbox LIVE Marktplatz ist und den Gedanken asymmetrischer Mehrspieler-Modi definierte wie wenige andere Spiele. Einerseits stellt in Evolution eine Reihe periodisch von euch geforderter Lizenzprüfungen sehr zuverlässig sicher, dass ihr auch wisst, was ihr tut, andererseits weiß RedLynx wie wenige andere Entwickler, was dem Spieler wann zuzumuten ist. Das Überleben einer Strecke ist immer machbar - den vielenvielenvielen Checkpunkten und der komfortablen und hin und wieder beinahe zu verlockenden Rücksetzfunktion sei's gedankt - und doch bietet selbst der leichteste der ungezählten Kurse noch versteckte Finessen.
Es ist eine steile und doch behutsame Steigung, die man hoch konzentriert hinaufochst, ab und zu mal kurz Bluterguss-förderlich in die Gabel stürzt, nur um direkt wieder auf das Bike zu steigen. Bis man das erste Mal wirklich vor die Wand fährt - sich im übertragenden Sinne also mit seinen Fähigkeiten am Ende sieht - hat man gut 90 Medaillen goldener, silberner und bronzener Ausführung errungen und viele spannende Stunden verlebt. Ein Zeitpunkt, an dem man unmöglich aufsteckt und das Crossbike ins Korn wirft. Hier kommen dann je nach eigener Hartnäckigkeit früher oder eben später die Geister der Besten der Besten ins Spiel. Diese studiert und analysiert ihr, schaut euch mit Argusaugen an, wie sie diese eine Strecke angegangen sind, die euch einfach nicht in den Kopf will, und bekommt sogar eingeblendet, welche Tasten wann zu drücken sind, um diese vermeintliche Hexerei zu wirken.
Anstatt euch einfach, wie noch in Trials HD, in unwirtliche Lagerhallen zu werfen und sich an eurem Scheitern zu ergötzen, greift RedLynx einem in Trials Evolution unter die Arme, hilft einem wieder in den Sattel, ohne das Ganze zu verweichlichen. Zugänglichkeit und Anspruch kommen hier zusammen wie sonst nur selten. Was sicherlich auch an der Steuerung der sich nun noch deutlicher unterscheidenden Bikes liegt. Mit einem Stick und den zwei Schultertasten ist das Prinzip sofort begriffen, aus dem Nach-vorne und Nach-hinten-lehnen und der analog abgefragten Eingabe von Gas und Bremse eröffnet sich einem aber nach und nach eine Tiefe, die sich gewaschen hat.
Was hilft, dass selbst weniger ambitionierte Fahrer nicht gleich schreiend davonlaufen, ist vor allem auch, dass der Titel nun fest entschlossen ist, euch Schauwerte zu bieten, die weit über die brutal-schönen Ragdoll-Misshandlungen eures Fahrers hinausgehen. Richtige Level, erinnerungswürdige Set-Pieces hat man geschaffen, die den kargen Industrie-Chic des Vorgängers im direkten Vergleich wie einen schlechten Scherz wirken lassen. Über kollabierende Staudämme und Brücken geht es, durch Städte und Vorrichtungen, die um euer Crossbike herum rotiert werden. Und wenn ihr euch auf fliegenden Plattformen wiederfindet, von denen aus man theoretisch die Nordlichter von oben bestaunen könnte, wird einem schon ein bisschen anders.
Kurze, spektakuläre Stürze, und technische Passagen mit vielen Bodenwellen und kleinen Hopsern wechseln sich gekonnt mit teilweise geradezu epischen Kletterpartien, zum Beispiel eine Ölplattform hinauf, ab. Das Erlernen einer jeden neuen Strecke, während ein ganzes Rudel weißer Punkte mit den Namen der Konkurrenz aus eurer Freundesliste euch vorausfahrend anpeitscht, ist immer wieder ein Genuss. Nun schwenkt zudem auch die Kamera etwas szenischer mit und wirkt damit deutlich actionorientierter. Optisch in jedem Fall ein Gewinn. So schön die große Sichtweite und so toll auch die Ausstattung der Tracks, so muss man durch diese neu entdeckte Lust am Spektakel aber doch kleinere Abstriche bei der Übersicht in Kauf nehmen. Hier und da verdecken Rauch, Explosionen oder Objekte im Vordergrund kurz die Sicht, manchmal macht es eine effektvolle Verschiebung der Kameraperspektive schwer, den Kontakt der Reifen mit dem Boden genau einzuschätzen. Doch das sind eher kurze Irritationen, die sich mit weiteren Versuchen auf den entsprechenden Kursen schnell erledigt haben.
Trials HD war schon damals das beste Multiplayer-Spiel, dass man trotzdem nur alleine spielen konnte. Das ist dank der branchenbesten Leaderboards, Freundvergleich direkt auf der Strecke und Meister-Geistern auch heute noch so, trotzdem geht es auf Wunsch nun auch zu viert in eine Reihe von Rennen. Lokal wie online ist das Nebeneinanderherfahren sehr unterhaltsam, wenngleich sich Trials vielleicht sogar ein bisschen besser genießen lässt, wenn man sich beim Spielen abwechselt. So kann man sich beim Zuschauen mit maximalem Pläsier an dem derben Slapstick ergötzen, in dem der Nebenmann auf der Couch die unfreiwillige Hauptrolle spielt. In den Mini-Games kommt sogar in verschiedenen Disziplinen beinahe das alte Decathlon- oder Summer-Games-Feeling auf, wenn man etwa eine gigantische Stahlkugel in einer Schale möglichst weit durch einen Hinderniskurs bugsieren muss und vor allem gegen deren Trägheit ankämpft.
Die an Marble-Madness angelehnten Kullereien in luftiger Höhe schlagen in eine ähnliche Kerbe, während die Flugstunden eures Fahrers mit Brettern an den Armen immer wieder für eine Art Jackass-Humor gut sind, den nur wenige Spiele replizieren können. Für die meisten Brüller sorgte dagegen ein Minispiel, in dem sich mein Fahrer aus seinem Moped schießen lässt, um sich von einem gigantischen Trapez zum nächsten zu schleudern zu lassen. Wild herumschlackernde Gliedmaßen und Schreie, bei denen man nie weiß, ob sie aus Freude oder vor Schmerzen ausgestoßen werden, inklusive. Im neuen Streckeneditor findet man schon jetzt viele weitere Beispiele - teilweise von RedLynx selbst -, was uns unter Umständen noch alles aus den Reihen der Community erwartet, die jetzt schon Feuer und Flamme für dieses Spiel ist. Kickertische und Ego-Shooter lassen bereits erahnen, dass LittleBigPlanet nicht mehr das einzige Tool für findige Hobby-Bastler sein wird.
Dass ich neben den kurzen, inszenierungsbedingten Kontrollverlusten nur noch die recht auffälligen Textur-Pop-Ins nach dem Zurücksetzen zu einem Checkpunkt als Negativpunkt anführen kann, spricht schon Bände über die Qualität eines Titels, der in seinem Feld auf Jahre hin konkurrenzlos sein dürfte. Nicht, dass zu erwarten gewesen wäre, dass RedLynx mit Trials Evolution gleich ein zweites Mal neu definiert, was man alles mit Xbox LIVE anstellen kann. Aber es setzt die Serientradition trotzdem mit besten Haltungsnoten und einem untrüglichen Auge fürs Wesentliche fort. Seinen Vorgänger löst Evolution damit würdig als bestes Geschicklichkeitsspiel ab, das man auf dieser Plattform bekommen kann. Und das ist schon ein Kunststück für sich.