Tropico 5 - Test
Palmen, Planschen, Planwirtschaft.
Februar 1971, im sonnigen Puerto Coco liegt das Aroma von Pina Colada in der Luft, während meine Panzerdivision zu beschwingter Salsa-Untermalung über das Grüppchen Aufständischer hinweg zurück in ihre Militärbasis bollert. In der echten Welt geht's friedlicher zu, ist ja auch 2014 im wiedervereinten Berlin. Dafür ist es stockfinster, denn es ist mal wieder mitten in der Nacht, 2:04 Uhr, um genau zu sein.
Im Kontrast zum virtuellen Gemisch von Militärdiesel- und Cocktail-Duft, das aus dem Monitor zu diffundieren scheint, erinnert mich die Luft meines Arbeitszimmers nur daran, dass ich schon längst das Fenster hätte öffnen sollen. Es ist das dritte Mal binnen der vergangenen zwei Stunden, dass mir das auffällt. Ich öffne es gleich, nur noch eben die Wohnungsnot im Arbeiterviertel besiegen und den Anführer der Rebellen schmieren.
Im Grunde sagt dieser Absatz schon mehr als tausend Worte - die hier vermutlich trotzdem noch folgen werden. „Mal eben noch" kurz vor dem Schlafengehen „reingucken", ist im Definitionsbereich des typischen Tropico-Spielverhaltens nicht nachweislich erfasst, jedenfalls kann ich es mir nicht vorstellen. Und obwohl so innig verzahnte Städtebau- und Regierungsmechanismen nicht unbedingt das einfallsreichste Mittel sind, uns Spieler in einen endlosen Loop aus Selbstverwirklichung und anschließender Schadensbegrenzung zu schubsen: So schlüssig wie hier muss man das erst einmal hinbekommen.
Während man so vor sich hin baut, Probleme analysiert, Pläne schmiedet und zwischen den lukrativen Miniaufgaben seiner humorvoll vertonten Berater wieder vergisst, fühlt man sich schon ein bisschen wie auf der Tretmühle. Zumindest kommt einem dieser Gedanke in den seltenen wachen Momenten, wenn einen die Biologie oder das echte Leben aus der Südsee zurück in die nächtliche Bundeshauptstadt schleifen. Beim Gang auf die Toilette zum Beispiel, an den Kühlschrank, beim Abwiegeln der schläfrigen Frau, die den Kopf schräg durch den Spalt in der Tür hält und fragt, ob man die ganze Nacht so sitzen bleiben will. Blickt man länger als zehn Sekunden ohne Unterbrechung auf den Bildschirm, ist man aber sofort wieder drin und strampelt weiter.
Das Schöne oder wahlweise Schlimme an Tropico ist nämlich: Je mehr man richtig macht, desto schneller wächst die kleine Diktatur und desto größer werden auch die Probleme. Ihr werft die Regime-Maschine zwar an, poliert, tankt und ölt sie regelmäßig, aber wer nicht weiß, wann er die Handbremse anzuziehen hat, rennt irgendwann hinterher. Es beginnt-locker flockig, wenn man in der Kolonialzeit der Krone für die so kostbaren Verlängerungen seiner Gouverneursamtszeit nach dem Mund redet. Dank der gut gelaunten Präsentation und unerhört tanzbarer Musik ist man bester Dinge, bis die Forderungen des Königs unverschämt werden und man sich zu wehren beginnt. Erst mit kleinen Nadelstichen, dann - sobald man genügend Einwohner auf seiner Seite hat - mit einer Unabhängigkeitserklärung.
Bis hierhin ist es noch harmlos genug - zumindest, wenn man genügend Geld erwirtschaftet oder Verteidigungen errichtet hat, um seine Freiheit zu behaupten. Man fühlt sich tatsächlich wie der Herr mit Fidel-Castro-Gedächtnisbart, der von der Packung heruntergrinst. Man kennt und schätzt einfach dieses Gefühl von „Aus mir wird ja doch noch was", auch wenn es nicht echt ist. Und dann gehen die Probleme los, weil die charmant überzeichnete Ameisenkolonie ohne euer lenkendes Eingreifen unter Zuwanderern, Rohstoffengpässen und technologischen Umwälzungen aus allen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Nähten zu platzen droht. Hier beginnt es, das Hinterherrennen.
"Ihr werft die Regime-Maschine zwar an, poliert, tankt und ölt sie regelmäßig, aber wer nicht weiß, wann er die Handbremse anzuziehen hat, rennt ihr irgendwann hinterher."
Will man mit der in Gang gesetzten Entwicklung Schritt halten, ist es zunächst notwendig, dass man einige Logiksprünge mitmacht, die das Spiel vorlegt. Mir war es zum Beispiel ewig schleierhaft, warum ich einen beachtlichen Leerstand in Wohnungen verschiedener Qualitäten hatte, überall aber trotzdem Blechhütten mit armen, wohlsituierten und teilweise sogar reichen Bürgern aus dem Boden sprossen. Nun, zum einen legen die Herrschaften offenkundig ein bisschen zu viel Wert auf einen kurzen Anfahrtsweg zu ihrer Arbeitsstelle und zum anderen achten sie sehr auf etwaige Unterschiede in der Ausstattung der Wohngebäude. Sind vereinzelte der schäbigen Mietskasernen ans Stromnetz angeschlossen oder habt ihr ihre Qualität durch erhöhtes Budget gesteigert, sinkt offenbar die Attraktivität der Gebäude, in denen das nicht geschah. Sie bleiben häufig leer. Als Spielregel verständlich, zusammen mit der Pendelallergie aber nicht ganz intuitiv. Wenn Universitätsprofessoren mit vorzeigbarem Gehalt lieber in die Favela ziehen, als ein paar Blöcke weiter eine leere Villa in Beschlag zu nehmen, ist das... seltsam.
Aber damit arrangiert man sich schnell, sobald man es weiß. Man entschlüsselt die angenehm kurzen Warenkreisläufe, spezialisiert sich und sattelt um, wenn etwa Rohstoffvorkommen sich irgendwann erschöpfen. Man lernt, das Wachstum in geordnete Bahnen zu lenken, begreift unter Schmerzen, dass es eine Wohlstandsgesellschaft ohne Verlierer nicht geben kann - zumindest nicht in meinem Tropico -, und findet heraus, welche Kompromisse nötig sind, damit doch alle irgendwie zufrieden genug sind. Zumindest zufrieden genug, um El Presidente nicht an der nächsten Palme aufzuknüpfen.
Das Game-over hängt ständig drohend über euch. Sei es, weil die jüngsten Wahlumfragen signalisieren, dass den Bürgern nach einem Führungswechsel ist, weil die Rebellen sich wehren und in ungünstigen Momenten ein, zwei wichtige Gebäude zerstören, bevor eure Militärs sie daran hindern können. Oder es kommen mal eben die Alliierten vorbei, weil euer Schulterschluss mit den Achsenmächten ein bisschen zu kuschelig aussah. Es ist bei allem Spaß, den Haemimont mit der Prämisse hat und bei dem man oft herzlich mitlacht, ein sehr spannendes Planen und Taktieren. Versucht, Kommunisten und Kapitalisten, Arm und Reich und Umweltschützer und Industrialisten gleichzeitig bei Laune zu halten, und falls es euch nicht gelingt, seht zu, wie ihr den jeweiligen Anführer von eurer Sache überzeugt. Drastischere Maßnahmen - Verbannung, Diskreditierung oder gar ein Mordanschlag - versprechen immer nur kurzfristige Linderung und werden von der Bevölkerung auch nicht ohne Weiteres geschluckt. Die ständige Gefahr des Scheiterns ist die Peperoni in diesem eigentlich so gemütlich aussehenden Aufbauspiel - und die Schärfe tut ihm gut.
"Die ständige Gefahr des Scheiterns ist die Peperoni in diesem eigentlich so gemütlich aussehenden Aufbauspiel - und die Schärfe tut ihm gut."
Diejenigen, die sich fragen, warum man sich das zum fünften Mal kaufen sollte, wird es freuen zu hören, dass sowohl die gut 15 Stunden andauernde und durchaus spielenswerte Kampagne als auch der zentrale Endlosmodus durch die vier neuen Zeitepochen eine angenehme Struktur aufweisen. Ob Kolonialzeit, Weltkriege, Kalter Krieg oder Neuzeit, immer wieder seht ihr euch dank eines übersichtlichen Forschungssystems nicht nur vor neuen Möglichkeiten, sondern auch einem neuen Drahtseilakt der Befindlichkeiten gegenüber. Mittel und Wege, diesen zu bestehen, gewährt unter anderem die Verfassung, mit der ihr bestimmt, was für ein Staat ihr sein wollt. So oder so: In dieser Diktatur ist eine Bewegung drin, die das Geschehen deutlich länger frisch hält, als es im Vorgänger der Fall war. Das Dynastie-Feature verspricht zudem einen Anflug von Rollenspiel, wenn ihr euren Lieblingszögling mit eurem Schweizer Bankkonto im Level steigert und zu diversen Gelegenheiten auf Missionen ins Ausland entsendet. Verschiedene Eigenschaftsboni regen dazu an, vielleicht zur nächsten Wahl einen anderen Spross El Presidentes auf den goldenen Götterthron - pardon, in den Dienst der geliebten Bürger zu stellen.
Lange überfällig war der Mehrspielermodus, in dem nun bis zu vier Spieler im Mit- oder Gegeneinander antreten können. Sich auf derselben Insel durch den neuen Kriegsnebel zu schleichen, um sich als Erster eine der endlichen Rohstoffquellen zu sichern, gewährleistet, dass man sich schon früh mit den Parametern der ungewohnten Koexistenz auseinandersetzen muss. Der Spagat zwischen Innen- und Außenpolitik wird breiter und damit angemessen kniffliger. Es ist bedauerlich, dass man die Partien nicht speichern kann, regt aber auch gleichzeitig zu zielgerichteterem Spielen an. Alles in allem eine willkommene neue Art, den Inselzampano zu geben.
Wenig geändert hat sich unterdessen daran, dass alles, was mit Kampf zu tun hat, in Tropico immer noch nicht so viel Spaß macht. Zwar laufen und fahren eure Einheiten jetzt sichtbar durch die Gegend, wirkliche Kontrolle übt ihr aber nicht aus. Sie löschen die Feuer der Revolution, wo sie nur können, und werfen sich aufopferungsvoll Invasoren entgegen. Die ganze Zeit wünschte man sich jedoch, sie wenigstens kurz stoppen zu können, damit sie gesammelt in die Schlacht ziehen, anstatt sich einzeln erledigen zu lassen. Das ist keine Tragödie, denn ganz Aufbau- statt Abrissspiel kümmert ihr euch in Tropico einfach darum, dass genügend Truppen auf neuestem Stand sind und ihr eure Militärpräsenz gleichmäßig über die Karte verteilt. Dann haltet ihr auch den leidenschaftlichsten Revoluzzern stand. Auch wenn es einen anfangs ein bisschen gegen den Strich bürstet, leuchtet es also ein, dass Haemimont dieses System minimalinvasiv gestaltet hat. Beim nächsten Mal vielleicht einfach mit Gruppierungsoptionen. Danke!
Was soll ich sagen? Sie können es einfach. So sehr man auch nach dem Haar in der Suppe sucht, sich sagt, dass sich so viel ja auch nicht geändert hat, so sehr verbrennt mal wieder eine Stunde nach der anderen. Abend um Abend wird viel, viel länger, als es gut für den Tag darauf ist, und selbst nach 15 Stunden entdeckt man noch neue Kniffe, mit denen man Probleme aushebelt, die einen die ganze Zeit gepiesackt haben. Wenn einer dieser Knoten platzt, gratuliert man sich regelmäßig ein bisschen zu überschwänglich selbst und findet sich so super, wie es wohl nur weltfremde Diktatoren mit Silberlöffel im Mund und Kalaschnikow auf dem Rücken können. Ja, dieses Spiel hat sich jede einzelne Nachtschicht verdient.