Tunic zeigt Alex die Lösung von Rätseln, von denen er nicht ahnte - Unsere Spiele des Jahres 2022
Ein Rätsel in einem Rätsel in einem Rätsel in einem...
Tunic ist mit einigem Abstand mein Spiel des Jahres. Was von Weitem aussieht wie ein putziger Zelda-Klon, wie ihn die Indie-Welt jedes Jahr gefühlt im halben Dutzend produziert, entpuppt sich schnell als ein durchdachtes, kleines Juwel, das seinen Spieler schon auf der grundlegendsten aller Ebenen gehörig herausfordert – und dabei gleich mehrere interessante Effekte produziert.
Wollte man sich besonders kurzfassen – wozu ich geneigt bin, denn jeder sollte diese Mischung aus Ratlosigkeit und Heureka-Staunen einmal selbst erlebt haben – würde man Tunic als ein einziges großes Rätsel beschreiben. Denn es geht schon damit los, dass es nicht damit herausrückt, wie man es eigentlich spielt. Natürlich: Die Grundzüge sind klar. Schwert, Schild, Schlüssel, Statuen zum Beten, das sind alles vertraute Größen. Aber was genau wieso funktioniert… das herauszufinden, ist in Tunic Teil der Reise und des Puzzles, das das Spielen an sich hier darstellt.
In einer meiner Kolumnen verglich ich das Entdecken von Tunic mit dem Erlebnis, ohne größere Gaming-Erfahrung das erste Mal ein Zelda auf Japanisch zu spielen. Wo moderne Spiele das meiste voraussetzen können und deshalb allein mit ihren Geschichten, Welten und Herausforderungen begeistern müssen, annuliert Tunic einen guten Teil eurer Vertrautheit mit diesem Genre und versetzt so effektvoll in eine unschuldigere Zeit zurück: Eine Ära, in der man seinem Avatar noch nicht jahrzehntelange Heldenerfahrung voraus hatte. Wenn Tunic losgeht, steht nicht nur der kleine Fuchs, der sein Held sein soll, mit nichts da. Auch ihr habt im Grunde nur die Kleider auf euren Knochen und eure halbwegs geschickten Finger. All euer angesammeltes Adventure-Wissen hilft euch hier erstmal wenig.
Ihr geht also als Nobody in Tunic hinein, müsst seine Regeln erst noch lernen und klebt deshalb mit der Nase an den liebevoll digitalisierten und mit Geheimnissen vollgestopften Anleitungsseiten, die Entwickler Andrew Shouldice in einem Meta-Geniestreich zum zentralen Spielgegenstand machte. Jede neue Seite, die man findet, verrät – durch die Blume kryptischer Schriftzeichen, Illustrationen und Kugelschreibernotizen eines Spielers, der vor euch kam – etwas Neues, lässt euch anders auf einen just geschafften Bereich blicken oder lenkt eure Aufmerksamkeit auf einen Ort, den ihr vor einer Weile im Vorbeigehen auf dem Kieker hattet.
Manchmal, und zwar öfter als man denken würde, zieht euch eine Erkenntnis komplett die Füße unterm Hintern weg – die Lösung für ein Rätsel, von dem ihr nicht einmal wusstet, dass es eines war, zum Beispiel. In Tunic existieren Dinge, über die man 20 Stunden im Unklaren sein kann, Puzzles, die man ewig anstarrt, ohne zu wissen, was man da sah, und wenn der Groschen fällt, hallt das Echo umso lauter. Es sind Geistesblitze, wie sie einst bei Fez, Braid oder The Witness einschlugen und von denen man sich noch in Jahren erzählt. Sie machen den Unterschied zwischen gutem, kompetentem Spieldesign und einem wahrhaft inspirierten Kunstwerk. Tunic also, in einem soliden Spielejahr für mich das Beste aller Games – und ein Abenteuer, das man nicht verpassen sollte.