Einfach mal zurückgespult: Turrican Flashback - Test
Be kind, rewind.
Turrican Flashback Test. Hat der Name Turrican heute noch Gewicht? Ich meine bei Leuten, die jünger sind als, sagen wir mal 30? Irrelevante Frage. Die erst einmal wichtigere ist wohl, ob Turrican den Leuten Spaß machen kann, die über 30 sind. Mir zum Beispiel. Wenn man nämlich gelegentlich eine alte Liebe aus dem Action-Bereich anwirft, muss man zwei Dinge feststellen: Spiele waren damals schlichter und sie waren oft sehr viel härter. Das mussten sie auch sein, da es keine künstlich verlängerte Progression durch RPG-Elemente gab und wenn ein solches Run'n'Gun nicht in drei Stunden durch sein sollte, dann musste es brutal sein. Auswendiglernen, eine Million Mal sterben, mehr lernen, mehr sterben und irgendwann in einem glorreichen Lauf das erste Mal durchspielen. Das konnte einen schon drei Wochen an Turrican fesseln. Dark Souls ist vergebend im Vergleich. Und das ist nichts mehr, was ich mir heute noch häufig antun würde. Image Fight 2 und Contra: Hard Corps, beide im Original, haben mir das kürzlich erst deutlich klargemacht. Ich hatte also ein wenig Sorge, als ich die Turrican-Sammlung zum ersten Mal startete...
Turrican, jetzt noch besser mit Rückspultaste!
Unbegründete Sorge, wie es aussieht! Es ist ein ganz simples, seit den 90ern in Emulatoren populäres Feature, das sich hier als Retter erweist. Nein, nicht jederzeit speichern, auch wenn das natürlich möglich ist. Sicher, das hilft schon mal ungemein, aber ich habe es eigentlich nur genutzt, wenn ich das Spiel unterbrechen wollte oder musste. Es ist das Rückspulen auf der Schultertaste, das Turrican von einem unvergebenden Biest in einen Nostalgie-Kuschelhasen verwandelt. Zu meiner größten Freude, denn vieles an Turrican ist unfair.
Ihr könnt Turrican 1, 2 und Super Turrican - alle hier versammelt, dazu kommt Mega Turrican - nicht mit zum Beispiel Contra vergleichen. Ein Level ist hier viel weniger gradlinig, erstreckt sich in alle Richtungen und da es keine Karte gibt, ist viel Level-Erkundung gefragt. Das machte das Spiel zu einer damals neuen Erfahrung und ist in der Form bis heute nicht üblich. Es ist eben kein Metroidvania, sondern nicht so sehr gradliniges Ballern mit vielen Extrawaffen. Sehr cooles Leveldesign, das auf dieser Freiheit basiert, ist definitiv ein Vorteil. Der Nachteil ist, dass ihr immer wieder blind springen müsst, oft genug in einen Gegner oder Abgrund. Das ist nicht fair, aber war damals Teil des Lernprozesses.
Dieser wird jetzt abgemildert, denn kurz die Schultertaste halten, ein wenig zurückspulen und mit dem Wissen, was da lauert, weitermachen. Sicher, damit wird es mitunter fast zu einfach, denn dieses Feature ist nicht begrenzt, aber dann... Ich habe nur so viel Zeit und ich werde sie nicht nutzen, um Turrican auswendig zu lernen. So jedoch habe ich alle vier Spiele durchgespielt. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es tun würde. Und ich hatte unglaublich viel Spaß dabei, weit mehr als erwartet.
Viele Optionen, wenig Extras
Ein weiterer Vorteil moderner Technik ist, dass die auf dem Amiga eher umständlich auszulösenden Extra-Waffen - ein Joystick hatte damals halt nur zwei Tasten - nun alle auf ihrer eigenen Taste liegen. Auch der Brennstrahl, den ihr 360-Grad um den metallenen Helden lenken könnt, sowie die Möglichkeit sich in einen hektisch rollen Ball des Todes zu verwandeln, liegen nun auf den Triggern und locken viel mehr als zuvor. So hätte es sich damals schon spielen sollen, aber das ging nun mal nicht. Was mich jedoch ein wenig erstaunt, ist, dass es keine Klassik-Option bei der Steuerung gibt. Sicher, ich würde nicht freiwillig zur Competition-Pro-Belegung zurückgehen, aber einige wollen das vielleicht und könnten dann enttäuscht sein. Auch kann man das Rückspulen nicht generell abschalten. Wer wie 1990 spielen und leiden möchte, muss sich also in Selbstbeherrschung üben.
Sonst wurde mit Optionen nicht geknausert. Die komplette Tastenbelegung lässt sich anpassen und vor allem habt ihr zig Optionen beim Look. Von Pixel-Perfect-Original-Look bis zu gezoomten 16:9 mit Filtern ist alles dabei, inklusive des exzellenten und vielfältig konfigurierbaren Lottes-CRT-Filter (der hier lustigerweise "Lotte's CRT" genannt wird, obwohl der Programmierer "Lottes" heißt). Jeder sollte hier seinen Look finden. Die Emulation an sich macht einen sehr guten Eindruck. Mangels eines echten Amigas habe zum Vergleich eine MIST FPGA rangeholt und ja, Turrican 1 und 2 sehen, wenn man es entsprechend konfiguriert, schon sehr authentisch aus. Sie klingen auch so, was bei einem der besten Soundtracks, die jemals für ein Spiel geschrieben wurden, keine Kleinigkeit ist. Das gleiche gilt auch für die beiden Konsolen-Versionen, die ebenfalls die Eigenheiten der Farben auf ihren Systemen bewahren konnten, wie auch die weichere Sound-Widergabe des SNES und den härteren Klang des Mega Drive. Emulations-Fanatiker dürften was finden, aber als jemand, dem in diesem Falle 95 Prozent identisch reichen, liegt Turrican ausgehend von der direkten Begutachtung deutlich über diesem Wert.
Wo die Turrican Flashback Collection definitiv schwächelt, das ist der restliche Umfang. Als wäre man ein Mario 64 gibt es keine Artworks zum On-Screen-Durchblättern, keine erzählten Anekdoten und vor allem keinen Soundtest. Turrican ist ebenso sehr für seine Musik bekannt wie für das Spiel und deshalb ist das zwar schade, aber dann wiederum hat eh jeder Turrican in irgendeiner Form zum Anhören. Zumindest ist das meine Weltsicht und Erwartung an die Menschheit. Könnte sein, dass ich damit allein dastehe. Zumindest kann ich den Stereo-Wert der Paula-Emulation definieren. Ist auch was.
Drei Mal Turrican, ein Mal Mega Turrican
Was die Spiele angeht, hat sich Turrican nun, da nicht jeder falsche Hüpfer mit mehreren Minuten bis Stunden verlorenen Spielzeit bestraft wird, an sich gut gehalten? Um ehrlich zu sein, mit der Steuerung und dem Rückspulen konnte ich zum ersten Mal das Leveldesign wirklich genießen. Der erste Teil wirkt mitunter noch ein wenig unaufgeräumter und willkürlicher als die Fortsetzung, aber nicht so sehr, dass es den Spielspaß ruinieren würde. Die Steuerung ist damals wie heute auf den Punkt exakt und wenn man mal wieder in einen endlosen Abgrund hüpfte, wusste man immer, dass man das mit maximaler Präzision tat. Auch zahlt sich aus, dass damals der Amiga zwar nicht an seine Grenzen gebracht, aber der gesamte Farbraum genutzt wurde und so leuchten die knalligen Farben mit ihren fließenden Übergängen immer noch hell und reizvoll. Es ist auch ein recht unverkennbarer Look, den der Amiga da mitbringt und so lassen sich die beiden Turricans nur schwer mit Super-Nintendo- oder Mega-Drive-Spielen vergleichen.
Das nicht-so-lineare Ballern wurde dann aber trotzdem portiert und die erste Version ist nicht weniger als ein kleines Wunder. Super Turrican ist kleiner als die Amiga-Spiele, die Level übersichtlicher und auch wenn das alles fast genauso spaßig und vor allem schön bunt war, damals waren wir doch ein wenig enttäuscht. Aber jetzt, zig Jahre später und wo ich weiß, dass das hier ein 4Mbit-Modul war - etwa ein halbes Megabyte! -, die kleinste Modul-Größe, die das SNES überhaupt kannte, erstaunt es einfach nur, was in dem Spiel alles drinsteckt. Es hat definitiv einen eigenen Turrican-Charme, ist im Grunde aber recht nah bei den beiden Amigas.
Mega Turrican ist ein etwas anderes Spiel. Die Bewegungen und Waffen sind sehr ähnlich. Im ersten Moment, in dem man die Tasten anfasst, spielt es sich fast gleich, aber schnell wird klar, dass dies viel näher an einem linearen Konsolen Run'n'Gun dran ist als seine Namenvettern. Auch wenn die Level sich immer wieder mal ein wenig öffnen, hier gibt es weit weniger Verstecke und alternative Wege. Das macht Mega Turrican nicht zu einem schlechteren Spiel, aber zu einem konventionelleren. Ihr habt weniger unfaire Sprünge und Fallen, dafür aber weniger Spielraum. Damit würde ich es als eine Art "Einsteiger-Turrican" sehen.
Alle vier Spiele sind ausgezeichnet, aber es fehlt auch viel. Im Grunde ist "Flashback" die wortwörtliche "Billig"-Version der Anthology 1+2, die zusammen etwa 70 Euro kosten, während Flashback auch als Hardcopy nur auf 30 kommt. Wer sich die Mühe macht, die Anthologys zu bestellen - Strictly Limited Games -, bekommt die "Director's Cuts" von Mega und Super, die zu beiden Spielen passenden "Score Attacks", die Amiga-Version von Mega Turrican, "Turrican 3" , und bei den Soundtracks darf man zwischen Original und Remaster wählen. Diese Boxen sind für Februar/März angekündigt, ob die Anthologys auch Digital kommen werden, konnte ich noch nicht abschließend klären (ich rechne aber nicht damit). All das lohnt für harte Fans sicher, wer einfach nur ein wenig Turrican genießen will, ist beim günstigen Flashback gut aufgehoben.
Turrican Flashback Test Fazit
Ich kann nicht sagen, dass ich mit Turrican so viel Spaß habe wie damals. Ich habe damit sehr viel mehr Spaß! Turrican war bei aller Innovationsfreude immer noch ein Kind seiner Zeit, sein Hang zu "Versuch-und-Fehler" hatte mich damals schon nicht begeistert. Sicher, das Zurückspulen macht es mitunter etwas zu einfach. Aber dann wiederum habe ich zu viel Freude daran, die Level zu erkunden, ohne ständig fürchten zu müssen, dass ich von vorn anfange, nur weil ich mal mutig dahin gehen wollte, wo ich noch nie war. Turrican hat sich seinen eigenen Früh-90er-Look bewahrt und er hat sich besser gehalten als vieles andere aus der Ära. Die Freiheit der großen Level war schon immer etwas Besonderes in dem Genre und die Musik... Oh gute Güte, ist diese Musik immer noch glorreich! Man kann sicher streiten, ob diese Soundtracks das Beste sind, was die Heimcomputer-Ära uns in dieser Richtung gab, aber es gibt schon einen Grund, warum diese Stücke in JEDER entsprechenden Best-of-Liste auftauchen. Spielerisch interessant und sehr unterhaltsam, gut emuliert, auch wenn es bei den Extras schwächelt - dafür gibt es ja die Anthologys... -, das sind vier Spiele, die weit mehr mitbringen als nur Erinnerungen an verstaubte Legenden.
- Entwickler / Publisher: ININ Games / Factor 5
- Plattformen: PS4, PS5, Switch (getestet auf Switch)
- Release-Datum: 29. Januar
- Sprache: Deutsch, Englisch und weitere
- Preis: ca. 30 Euro, keine Mikrotransaktionen