Twitchcon 2022 in Amsterdam: Modernes Gaming mit Gemeinschaftsgefühl
...und einem Hauch Elite
Twitch wächst. Und während sich das diejenigen, die noch nie einen ganzen Abend einer fremden Person beim Zocken zugesehen haben, kaum vorstellen können, wird das Streaming-Hobby immer größer – und das zu Recht. Während Corona einen dicken Keil in das Privatleben von vielen geschlagen hat, war Twitch für einige (mich eingeschlossen) eine kleine Rettung, denn auch wenn man gerne mal allein vor dem Computer sitzt, merkt man doch: Ganz ohne andere Menschen tut auf Dauer trotzdem nicht gut.
Diese Leute, die jetzt zwei Jahre zu Hause auf ihren Bildschirm gestarrt haben – um es polemisch zu formulieren – hat die Twitchcon in Amsterdam jetzt versammelt und das zeigt: Es sind eben nicht nur einsame, fremde "Internetleute", sondern auch echte Gemeinschaften.
Dieses große Klassentreffen der Geeks habe ich mir aus der Nähe angesehen und erlebte Spiele, Musik, billigen Merch und Gaming-Persönlichkeiten in kunterbunt, kreativ, vielseitig und menschlich, aber selten auch das Gegenteil von Gemeinschaft: Klassenbildung und Personenkult.
Eine Gaming-Gemeinschaft - mit kleinen Ausnahmen
Twitch erfüllte für mich und andere also zumindest ein wenig das Bedürfnis nach sozialer Interaktion in den letzten Jahren, gab den Streamern aber auch die Möglichkeit sich kreativ zu präsentieren, wenn alle Bühnen geschlossen sind.
Deshalb besteht die Twitch-Community auch nicht "nur" aus Gamern oder jungen Hüpfern, sondern aus kreativen Leuten aller Altersgruppen und keine Idee ist zu schräg. Kein Wunder, dass sich für mich die Atmosphäre auf dem Event angenehm bunt zusammengewürfelt und divers angefühlt hat.
In Sachen Design kam mir aber schon der Eingangsbereich so vor, als wäre er stark auf ein jüngeres Publikum ausgelegt, obwohl Streamen bei Weitem mehr als nur ein Teenie-Hobby ist. Egal, ob Retro-Disco-Aula mit einem DJ-Pult aus Tetris-Steinen oder Torwandschießen mit einem meme-würdigen KI-Verteidiger, all das sah richtig schick, aber auch gezielt "hip" aus. Hätte ich als sozial ungeschickter Gaming-Geek nüchtern und am helllichten Tag einfach so zu Disco-Musik abgetanzt, wäre ich mir zum Beispiel ziemlich bescheuert vorgekommen, fürchte ich.
Neben euphorischen Community-Begegnungen auf Augenhöhe, war die Twitchcon aber natürlich auch von Hierarchien geprägt - ob man jetzt Community-Mitglied, Affiliate oder Twitch-Partner ist, steht dick auf dem Badge um den Hals und zeigt sofort: wichtig oder nicht (in meinem Fall "unwichtig", denn eine bedeutsame Presse-Aufschrift habe ich nicht bekommen).
Während also manche Gruppen also als normale Kumpels über das Gelände zogen, gab es dazwischen auch einige strahlende "Promi-Persönlichkeit" wie Lara Loft, AnniTheDuck, Trymacs oder Knossi (aus dem deutschen Raum) zu sehen, teils umringt von begeisterten Bewunderern. Das war schon ein ziemlicher Kontrast zwischen Gemeinschaft und Fankultur.
Das Community-Gefühl auf der Twitchcon ist also nie hundertprozentig authentisch. Neben den "Rampensäuen" zieht das Streaming-Hobby schließlich auch schüchterne oder introvertierte Leute an und viele davon wird man auf einem großen Live-Event vielleicht nicht treffen, obwohl sie einen massiven Teil von Twitch ausmachen. So ein Event bleibt also nur ein winziges, extrovertiertes Stück der echten Twitcherfahrung.
Wenn man sich über zwei Jahre hinweg ans Herz gewachsen ist und sich nun zum ersten Mal live trifft, ist das aber trotzdem eine richtig spannende Erfahrung - auch für mich.
Von Prime Gaming über Charity bis hin zu Drag - das alles war die Twitchcon
Die Messe selbst hatte zahlreiche Aussteller, wie man das auch von anderen Gaming-Events kennt, wobei die meisten Stände im weitesten Sinne mit Twitch, mit Streaming oder mit den entsprechenden Sponsoren zu tun hatten.
Zum Beispiel hängen ja Twitch und Prime Gaming zusammen. Deshalb war es auch egal, dass keiner mehr über New Word spricht, einen großen Stand musste es trotzdem geben. Auch Spiele wie Fall Guys oder Lost Ark waren vertreten, die mit Gratis-Item-Paketen bei Prime Gaming enthalten sind.
Unternehmen wie Sega oder GIANT Games waren mit von der Partie, World War 3 traf dafür inhaltlich vielleicht nicht so ganz den Nerv der Zeit, ich habe es jedenfalls ausgespart. Dafür gab es ein Indies zu bestaunen, etwa das aktuelle Line-up von Team17 oder die neue Demo-Version zu Rusty Lake: The Past Within. Dieser Teil der Reihe mixt das Eigenbrötler-Genre des Mystery-Point-and-Clickd mit Koop. Was Ana wohl von einer privaten Session mit dem Spiel halten würde?
Der wohl überraschendste Stand war aber zu Bloodhunt, dem Battle Royale aus der "World of Darkness"(ich setze das in Anführungszeichen, ihr wisst vielleicht, dass ich Battle Royale in der Masquerade-Welt nur semi-passend finde). Auch wenn es Benjamin etwa nicht so abgeholt hat, machte Sharkmobs großer, schummriger Würfel mit Vampirschloss-Atmosphäre auf der Messe echt Eindruck. Fotowand, Shirts, Blut-Cocktails und mehr sorgten auf alle Fälle für Aufmerksamkeit.
Generell gab es natürlich an jeder Ecke Merch, mal sinnvoll, mal von der Kategorie, dass man es mitnimmt und sich dann fragt, was man damit eigentlich soll.
Neben wichtigen Tools für Twitch-Creators, wie die Analysten von Streamdata oder Hardware-Anbietern wie Razor gab es aber auch noch viel für die gute Sache: Auch eine Charity-Area oder die deutsche Plattform betterplace.org, die Streams auf Twitch dabei hilft, Spenden zu sammeln, waren vertreten.
Die Artist Alley mit zahlreichen Künstler-Ständen war für mich mehr die Genshin-Impact-Alley, denn den niedlichen Anime-Charakteren konnte man auf Gemälden, Postkarten und Stickern einfach nicht entgehen - ich als Genshin-Suchti, beschwere mich da aber nicht.
Dann gab es auch noch Panels und Shows mit größeren oder kleineren Creators. Der Spannungsgehalt schwankte da allerdings stark zwischen "ich belausche Leuten am Nachbarstammtisch, weil ich nichts Besseres zu tun habe" einerseits und richtig informativen Lehrstunden andererseits - ausprobieren schadete aber nie.
Natürlich war auch ein Cosplay-Contest mit riesigen Kostümen Pflicht. Offenbar war das Motto "mehr geht immer" und sehr nett zum Angucken. Für mich war das Bühnen-Highlight aber die erste Drag Show, die jemals auf einer Twitchcon stattfand. Die Performance mit Drag-Creators wie Dona Tarte, Eevoh oder Hungry war einfach eine Stunde purer, augenzwinkernder Spaß voller Kreativität und Ideen ohne Vorbehalte.
Neue Funktionen für Twitch enthüllt
Zu guter Letzt wurde während der Twitchcon auch noch etwas angekündigt, was wirklich für alle auf der Streaming-Plattform relevant ist, nämlich neue Funktionen, bei denen man sich frech fragen kann: Warum gibt es das erst jetzt?
Zum einen lassen sich jetzt Nachrichten am Chat anpinnen und das ist extrem sinnvoll, zum Beispiel, wenn man als Streamer eine häufig gestellte Frage nicht immer und immer wieder beantworten will.
Auch das Tag-System wurde überarbeitet und das war auch nötig, denn bisher konnte ein Stream nur wenige Markierungen gleichzeitig haben, jetzt gehen bis zu 10, auch mit freiem Text. Die Frage ist jetzt nur: Sorgt das nicht für Chaos bei der Suche nach bestimmten Streams, wenn es Berge von individuellen Tags gibt? Und wie kontrolliert Twitch problematische Tags? Es bleibt spannend.
Insgesamt gab es natürlich noch viel mehr Eindrücke auf der Con, aber man kann einfach nicht alles wiedergeben - dazu muss man einfach selbst die nächste Messe besuchen.