Und ihr dachtet, XCOM 2 wäre schon ein harter Brocken: The Long War 2
Mehr Spezialisierungen, mehr strategische Überlegungen, mehr Heldentaten.
XCOM 2 mag nicht ganz so sehr allgegenwärtiges Diskussionsthema gewesen sein wie der erste Teil. Aber es wundert nicht wirklich, verwandelte der doch unmöglich Gedachtes in wundervoll greifbare Realität. Da ist es fast unbedeutend, dass Teil zwei in so gut wie jeglicher Hinsicht ein besseres Spiel ist - der Hunger auf eine taktische Erdenverteidigung war im letzten Jahr einfach nicht ganz derselbe wie noch 2012, als man von einem echten XCOM-Nachfolger lange nicht zu träumen gewagt hatte.
Das Spiel selbst kann nichts dafür, tat es doch sein Möglichstes, neugierig machende Pfade abseits des mit dem Remake eingeschlagenen Weges zu ergründen. Mehr noch als im Vorgänger machte sich Firaxis mit XCOM 2 die Marke zu eigen. Sie bewiesen, dass sie mehr als nur der Statthalter von Microprose und Julian Gollop waren, XCOM war nun ihr Baby. An diesem Baby hängt mit Pavonis nun aber noch jemand anderes mit beiden Händen. Die Modder haben schon beim Remake mit ihrer Long-War-Modifikation ein waches Auge für die wenigen Schwachstellen eines wundervollen Spiels bewiesen und machen mit Long War 2 für den Nachfolger Firaxis nun ein zweites Mal den Rang als oberstem XCOM-Versteher streitig.
Long War 2 ist mehr oder weniger gerade eben auf Steam erschienen, wiegt rund 2 Gigabyte und verändert sowohl Taktik- als auch Strategieebene maßgeblich, indem es grundlegende Änderungen am Spielfluss vornimmt. Direkt zu Beginn fällt auf, dass selbst frische Rekruten deutlich wehrhafter sind, man über mehr von ihnen verfügt und auch eine größere Zahl gleichzeitig zu Felde führen kann. Bis zu zehn Soldaten aus mittlerweile neun Klassen - gegenüber den fünf des Basisspiels - dürft ihr pro Einsatz mitnehmen. Einige der neuen Spielarten kommen einem bekannt vor: der Shinobi lagert etwa das Schwert des Rangers (der seinerseits nun eine abgesägte Schrotflinte bekommt) zusammen mit Stealth-Fertigkeiten an eine eigene Soldatengattung aus, der Gunner aus Teil eins kehrt mit ein paar Modifikationen zurück und die neue "Technical"-Klasse verfügt zum Beispiel über eine Miniaturraketen-Flammenwerfer-Kombo.
Pro Aufstieg wählt man nun aus drei Skills statt aus zweien, nicht wenige davon tauchen auf den Skilltrees mehrerer Klassen auf. Das mag jetzt nach einem recht einfach gestrickten Aufblasen der möglichen Diversifikation klingen, stellt sich hier aber in erster Linie in den Dienst einer größtmöglichen Spezialisierung der Soldaten. Die wird unterstrichen durch neue Waffen - die klassischen Laser sind zurück, Coilguns geben ihr Debüt - und Aufsätze, unter anderem Schalldämpfer. Und dergleichen. Mehr Ausrüstungsslots geben von Anfang an zusätzliche Flexibilität, wobei "mehr" nicht immer gleichbedeutend mit "besser" ist: Je mehr man mitschleppt, desto niedriger der Bewegungsradius.
Long War 2 will, dass ihr Spezialisten baut, und ermutigt euch dazu noch mehr durch das Anlegen separater Squads. Richtig gelesen: Neuerdings könnt ihr Soldaten verschiedenen Eingrifftruppen zuweisen, um so für jede der Missionsarten perfekt gerüstet zu sein. Ihr dürft den Trupps sogar Namen und Logos geben, eine eigene Beschreibung verfassen und so weiter und so fort. Das ist gerade deshalb so wichtig, weil ihr wegen einer neuen Art Mission häufig mehr als eine Mannschaft zugleich entsendet. Viele der Einsätze wollen in sogenannten Infiltrationsphasen zunächst vorbereitet werden. Taucht das Symbol für eine solche Mission auf der Karte auf, könnt ihr ein Squad aussuchen, gegebenenfalls modifizieren und dann losschicken. Dort sind sie dann für einige Tage undercover und weichen dadurch schon unentdeckter Weise die gegnerischen Verteidigungen auf.
Das geschieht mehr oder weniger unabhängig von euch. Ihr lasst die Zeit weiterlaufen und hofft, dass der Infiltrationszähler vor Ablauf der Deadline 100 Prozent oder mehr zeigt, denn ab dann wird die Mission deutlich einfacher. Der Clou an der Sache: Je nachdem, wie die entsandte Mannschaft sich zusammensetzt, schraubt ihr den Prozentzähler schneller oder langsamer in die Höhe. Gunner und andere Schwere-Waffen-Experten im Infiltrationsgebeit geben einen höheren Malus auf die benötigte Zeit als mit Schalldämpfern ausgestattete Assaults, Specialists oder Sniper. Ihr braucht also ein möglichst kleines Squad, das am Ende aber immer noch im Stande ist, die restlichen Advent-Truppen einer Mission zu beseitigen. Der Squad-Bildschirm vor dem Entsenden schlüsselt das auch wunderbar nachvollziehbar auf. Eine wundervolle neue Metaebene zum Tüfteln, die das Spielgeschehen deutlich stärker auf den Strategie- und Planungsteil von XCOM 2 verlagert.
In die gleiche Kerbe schlägt das Management der Haven-Basen. Die Haven jeder Region beheimaten nun Widerstandskämpfer, die ihr darauf ansetzen könnt, Intel oder Geld zu beschaffen, die dann als monatliches Einkommen auf der Karte abgesetzt werden, neues Personal zu rekrutieren oder beim Verbergen der Rebellenaktivitäten zu helfen, was die Zahl der Vergeltungsanschläge reduziert. Weiterhin ist es möglich, Gebiete der Karte komplett vom Advent-Einfluss zu befreien, wodurch Rekrutierungsmaßnahmen dann wertvolles Ingenieurs- oder Wissenschaftlerpersonal abwerfen können. Mir ist das bisher noch nicht gelungen, aber ich arbeite daran. Ich hatte mir im Vorfeld von den Havens ein wenig eingehendere Managementkomponenten erhofft - im Grunde verschiebt man nur Ressourcen hin und her - aber es ist eine nette und schön mit dem Wirtschaftsteil des Spiels verzahnte Art, mit der Weltkarte zu interagieren und verschiebt ein wenig euren Fokus.
Auf der Taktikebene hat sich noch am wenigsten geändert, obwohl natürlich auch die Gegner sich ein paar neue Tricks von der XCOM abgeschaut haben, das ähnelt ein bisschen den Maßnahmen, die Firaxis an Enemy Within für den Vorgänger vorgenommen hatte. Auch an deren Kompromisslosigkeit hat Pavonis ein wenig geschraubt, wobei ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, ob sie nicht einfach nur neue Werkzeuge einzusetzen im Stande sind und der gefühlte Unterschied schlicht daher kommt. In jedem Fall ist das Spiel auch trotz besserer Soldaten zum Einstieg immer noch eine gewaltige Herausforderung.
Und das darf man auch in mehrfacher Hinsicht wörtlich nehmen, denn unter 100 Einsätzen pro Kampagne macht Pavonis es nicht (die Option des ersten Long War, die Kampagne empfindlich zu verkürzen, ist ebenso noch nicht zu finden) und die vielen Guerilla-artigen Hit-and-Run-Missionen mit anschließender Exfiltration sorgen für einen Mangel an Alien-Leichen, die man in Forschung und Entwicklung (oder den Schwarzmarkt) stecken könnte. Länger und schwieriger - knapp ein Jahr nach Release kann man das schon mal vom Spieler verlangen.
So oder so: Ich habe selbst nach über 20 Einsätzen immer noch das Gefühl, ganz am Anfang zu stehen und weit entfernt von meiner optimalen Squad-Zusammensetzung zu sein. Über dem Potenzial, sich hier perfekt auf diverse Szenarien einzustellen, schwirrt Strategen und Taktierern freudig der Kopf. Natürlich: Es ist ein Grind, in den man sich schon werfen wollen muss. Aber die XCOM-Kriege gehörten schon immer zu den beschwerlichsten, die man in der Welt der Videospiele so austragen konnte. Das ist noch etwas, das Pavonis begriffen hat wie wenige andere - und das diese kostenlose, hoch professionelle Mod zum Pflichtprogramm für jeden Freund der Reihe macht.