Unknown Identity
Berlin-Film mit Identitätsproblem
Kein medizinisches Phänomen wurde in Filmen und Videospielen so oft überstrapaziert wie die retrograde Amnesie. Der Ablauf ist immer der Gleiche: Ein Autounfall, ein Schlag auf den Kopf oder eine schwere Krankheit beraubt einer Figur ihres Gedächtnisses. Zurück bleibt ein weißes Stück Papier, das von Drehbuchschreibern und Regisseuren mit allerlei Blödsinn gefüllt wird.
Mal wird einer Frau erzählt, dass sie mit dem Hauptdarsteller verheiratet war (Ein Goldfisch fällt ins Wasser), mal muss ein weißhäutiger Rollenspiel-Held mit Zauberkräften seine Vergangenheit wiederfinden (The Witcher) oder aber ein 08/15-Typ stellt auf einmal fest, dass er ein Super-Duper-CIA-Agent ist (Bourne Identity). Diese seltsame Häufung war übrigens sogar mal dem British Medical Journal ein Artikel wert. Ihr Fazit: Nur Findet Nemo und Memento machen es richtig.
Unkown Identity setzt, wie es der Name schon sagt, auch auf diesen Kniff, macht es natürlich falsch und erzählt uns jede Menge medizinischen Quatsch, der am Ende keinen Sinn ergibt. Schafft es aber gleichzeitig mit ein paar interessanten Wendungen, den Zuschauer doch noch in die Irre zu führen und die Geschichte am laufen zu halten. Dabei sieht am Anfang alles so simpel aus. Dr. Martin Harris (Liam Neeson), Bio-Wissenschaftler, meldet sich zu einer Tagung in Berlin an. Er fliegt mit seiner hinreißenden Frau (Mad-Men-Co-Star January Jones) in die deutsche Hauptstadt und soll hier einen Wissenschaftler treffen, der die Welt mit Gen-Saatgut revolutionieren will.
Das Ganze wird gesponsort von einem umstrittenen Scheich, auf den schon mehrere Attentate verübt wurden. Dann wird es seltsam. Harris vergisst seinen Aktenkoffer am Flughafen, steigt in ein Taxi, baut mit diesem einen Unfall und landet in der eiskalten Spree. Kleine Anekdote am Rande: Der gute Mann fährt am Adlon los, umfährt praktisch die ganze Innenstadt, um zum Flughafen zu gelangen, und segelt dann an der Oberbaumbrücke über die Brüstung. Wenn auch sonst Berlin einigermaßen naturgetreu abgebildet wird, der Taxifahrerin würde ich was husten.
Die Abzockerin heißt Gina (Diane Krüger, wieder einmal herrlich steif), ist illegal in Deutschland, rettet ihn aber trotzdem und haut danach ab. Er selbst wird am Unfallort wiederbelebt und wacht in einer deutschen Klinik wieder auf. Natürlich leidet er unter Amnesie, kennt aber immerhin noch seinen Namen. Doch leider kennt anscheinend ihn niemand mehr. Es kommt kein Anruf und auch keinen Besuch. Er erinnert sich zwar nach einer Weile, dass seine Frau im Adlon abgestiegen ist, doch als er dort ankommt verleugnet sie ihn und präsentiert ihren Mann Dr. Martin Harris. Auf der Webseite seiner Universität, im Pass des Fremden, überall blickt ihm unter seinem Namen ein anderes Gesicht entgegen. Haben sich Terroristen seine Identität geschnappt, um den Scheich umzubringen?
Danach gewinnt die Geschichte immer mehr an Fahrt. Nachdem vor seinen Augen ein Mord geschieht und als nächstes Opfer er über die Klinge springen sollte, wird klar, dass er nicht vollkommen verrückt ist. Mit Hilfe des alten Stasi-Agenten und Freund der Toten, Ernst Jünger (von Bruno Ganz fast schon als Karrikatur gespielt), macht er sich daran, eine Verschwörung aufzudecken, die weitaus größer ist als es anfangs den Anschein macht.
Mit einem Schlag schaltet Unkown Identity auch in puncto Action einen Gang höher. Eine wilde Verfolgungsjagd jagt die nächste. Erst auf der Friedrichstraße mit viel Blechschäden, dann zusammen mit einer knallharten Schießerei über die Dächer Berlins bis zum großen Finale im Adlon. Doof nur, dass in diesem hervorragend inszenierten Gewitter aus Blut und Blei dann schon mal die Logik auf der Strecke bleibt. Immerhin kommen dafür die Berlin-Fans auf ihre Kosten. Dr. Harris und seine Begleiter hetzen von einem Originalschauplatz zum nächsten. Finden in einem Berliner Club, dem legendären Tresor, Unterschlupf, tauchen in die Multi-Kulti-Welt von Kreuzberg ab und liefern mit Bruno Ganz' Stasi-Auftritt sogar noch ein paar Worte zur Deutsch-Deutschen Vergangenheit.
Klar, das ist nicht immer realistisch und spielt oft mit Klischees, trotzdem ist es interessant mit anzusehen, wie ein spanischer Regisseur (Jaume Collet-Serra) unsere Hauptstadt sieht. Ständig dunkel, wilde Partys und heruntergekommene, billige Wohnungen. Gar nicht mal so daneben. Auch mit einer weiteren Aussage hat er mich im Interview überrascht: "Berlin passt einfach perfekt zu der Geschichte, weil es wie die Charaktere noch immer auf der Suche nach seiner Identität ist." Recht hat er.
Und obwohl das Drehbuch einige Lücken aufweist, die größer sind als das Berliner Haushaltsdefizit, und die Amnesie des guten Dr. Harris ist im Nachhinein betrachtet absoluter Humbug ist, bleibt der Film erstaunlicherweise bis zum Ende spannend. Eine unerwartete Story-Wendung und die gut gemachte Action verpassten dem sonst eher wackeligen Konstrukt genug Substanz, um die vielen kleinen Macken und nicht gerade hervorragenden Schauspielleistungen zumindest zeitweise zu übertünchen. Unknown Identity mag an große Vorbilder wie Frantic oder Der Unsichtbare Dritte nicht mal ansatzweise herankommen, für einen netten Kinoabend mit viel Action und einer dicken Portion Berlin-Flair reicht es aber trotzdem.