Urban Empire ist SimCity für Diplomaten
"City Ruler" als mehrheitsfähiges Strategiekonzept?
So etwas sieht man selten. Wenn überhaupt. Städtebau-Strategie, die sich nicht für das Klein-Klein der Gebäudeplatzierung interessiert, ist zumindest mir noch nicht wirklich untergekommen. Reborn Interactive, vormals Fragment, nennt seine Simulation daher selbst lieber "City Ruler" als "City Builder", was die grundlegenden Unterschiede zu SimCity oder Cities: Skylines schon bestens zusammenfasst.
Auf der Präsentation im Rahmen von Kalypsos Event in einer alten Berliner Brauerei blieb das Spiel durch diesen netten Twist durchaus hängen. Anstatt während eurer 200-jährigen Herrschaft selbst Straßen zu ziehen und eigens die Häuser in die Karte zu pflanzen, plant ihr ganze Bezirke. Zieht einfach mit dem entsprechenden Tool einen Rahmen um die Fläche, die bestellt werden soll, bestimmt deren Eigenschaften und Zusammenstellung - und wenn noch zusätzliche Anpassungen an der Form nötig sind, fügt ihr per Rechtsklick auf einer der Seiten eine weitere stufenlos ziehbare Ecke hinzu.
Der Algorithmus dahinter fräst dann selbst die Straßenzüge hinein und formt so das Antlitz der Stadt. Das sah auf den ersten Blick durchaus beeindruckend aus. Wichtige Infrastruktur-Einrichtungen, wie das Rathaus, Polizei, Feuerwehr und dergleichen, müsst ihr dann aber doch selbst aus dem Boden stampfen. Und das natürlich an den Orten, an denen sie gebraucht werden. Dabei müsst ihr ihre Reichweite im Auge behalten. Ein Wert, der sich durch hohe Bürgerzufriedenheit noch steigern lässt - wer gut drauf ist, für den ist schließlich auch ein längerer Marsch zum Amt nichts weiter als ein anregender Spaziergang.
Steht der erste Bezirk einmal, grenzt sich das Spiel noch weiter von all den anderen Titeln in ähnlichem Aufzug ab. Tatsächlich fällt eine zentrale Rolle in Urban Empire eurem Tauziehen mit dem Stadtrat zu. Fast jede Entscheidung über die Entwicklung eurer angehenden Metropole muss an den Parteien, von den Konservativen bis rüber zu den Linken, vorbei geboxt werden. Das geschieht natürlich per Mehrheitsabstimmung. Die üblichen Kriterien gelten. Die Linken hätten zum Beispiel lieber höhere Steuern und mehr Sozialleistungen, die Konservativen fischen naturgemäß auf der gegenüberliegenden Seite dieses Spektrums. Ein Alleinherrscher seid ihr demnach nicht. Grundlegende Veränderungen, etwa das Verdichten einzelner Bezirke, die Verlängerung der Öffnungszeiten oder Erhöhung gewisser Gebühren, müsst ihr als Vorschläge dem Rat vorlegen und dann hoffen, dass das Gros der Mitregierenden das ebenfalls für eine gute Idee hält.
Es ist durchaus spannend, die KI über eine wichtige Entscheidung abstimmen zu sehen. Auch wenn während der Präsentation nicht ganz klar wurde, was ich tun kann, um sie auf meine Seite zu ziehen. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann seine Vorschläge auch aus eigener Hand finanzieren und so die Abstimmung umgehen. Um zu sehen, welche Mittel einem sonst noch zur Verfügung stehen, braucht es eine längere Anspielsitzung, mit der Kalypso gestern leider nicht dienen konnte. Das Spiel hat zu Feinschliffzwecken soeben noch etwas Aufschub bekommen. Der Release erfolgt nun im Januar 2017.
Was mir ebenso noch ein bisschen schleierhaft ist: Wenn ich mehr oder weniger der Bürgermeister bin, der auch selbst gewählt werden muss, um das Spiel nicht zu verlieren, warum vereine ich dann im Rat keine Mehrheit hinter mir? Eine, die dann grundsätzlich auch für mich und meine Anregungen stimmt. Vermutlich bin ich aus Gameplay-technischen Gründen parteilos, weil Regierungs- und Strukturfragen von Urban Empire wohl sonst ein Selbstläufer wären. So oder so: Indem man mehr und mehr Einrichtungen, die die Gesellschaft voranbringen, in seine Gemeinde integriert, desto mehr Punkte steckt man in den Technologiebaum seines urbanen Reiches, wodurch sich nach und nach neue Mittel und Wege freischalten lassen, die eigene Stadt zu formen.
Urban Empires verfolgt einen interessanten Ansatz, allein das Bezirke-Tool machte schon Lust, dieses Spiel mal selbst anzufassen und ich war im Anschluss an die Präsentation sogar ein bisschen traurig, dass ich es auf den Anspielstationen im Nebensaal nicht entdeckte (da gab es zwei andere, über die wir euch noch ein bisschen im Dunkeln lassen müssen). In einer Welt nach House of Cards wundert es ohnehin ein wenig, dass sich nicht noch mehr Spiele auf großer Bühne voll in die politische Seite ihrer simulierten Welten reinknien. Ich freue ich mich schon jetzt auf die Momente, in denen ich lakonisch nach rechts in die Kamera schaue und Dinge sage wie "sie haben gerade ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet".