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Urban Empire - Test

Wer hat eigentlich behauptet, Demokratie sei eine gute Idee?

Interessante Städte-Sim, die den Blick auf das Regieren richtet, aber an mangelnder Transparenz und gleichförmigen Abläufen krankt.

Es ist eher unüblich, dass eine Aufbausimulation die Arbeit der Regierenden in den Fokus rückt. Schon klar, von außen betrachtet wirkt Politik oft spröde und langweilig und verkauft sich im Unterhaltungskontext eben nicht von selbst. Urban Empire nimmt sich nun ein Herz für Stadtplaner, die nicht jede einzelne Einrichtung und jedes Gebäude selbst in die Landschaft pflanzen wollen, sondern sich für das große Ganze und das diplomatische Tauziehen im Hintergrund interessieren.

Zeitungsartikel setzen das Geschehen in den zeitgeschichtlichen Kontext.

Über fünf Epochen hinweg, beginnend im frühen 19. Jahrhundert, steuert ihr die parteilose Bürgermeisterdynastie einer Stadt, zieht Bezirke per Drag-and-Drop in die Landschaft, regelt die Zusammensetzung aus Wohngebieten, kommerziellen Distrikten und Industrie und überlasst den Straßenbau und das Bevölkern dem Programmcode. Den Kleinkram eben. Ihr habt schließlich Wichtigeres zu tun, denn jede Änderung an einem Bezirk muss erst am Rat vorbeigeboxt werden. Der besteht aus mehreren Parteien entlang des politischen Spektrums und ist euch alles andere als hörig.

Reichstreue Parteien stemmen sich gegen jede Änderung, die eine Abspaltung begünstigen könnten und umgekehrt. Den Linken macht man Steuererhöhungen leichter gefällig als den Liberalen und so weiter. So weit, so interessant. Bei jeder Abstimmung könnt ihr freundschaftlich, fordernd oder drohend auf die Parteien einwirken und so ihre Position auf der übersichtlichen Anzeige für Abstimmungstendenzen zugunsten eurer Edikte und Verordnungen beeinflussen, sofern ihr über genügend Wohlwollen bei der entsprechenden Partei verfügt. Das Problem ist, dass gerade das Finanzgeschehen nicht gerade transparent abläuft und das Einkommen zumindest bei mir häufig nicht nachvollziehbaren Schwankungen unterlag, was eher Herumprobieren als maßvolles Planen anhand einer Agenda provoziert.

Das Ziehen der Bezirke und die automatische Straßenführung sind Reborn gut geglückt.

Das ist deshalb problematisch, weil man keine auch noch so sinnvolle Maßnahme vom Rat genehmigt bekommt, wenn man in den roten Zahlen steckt. Selbst wenn ihr denkt, eine schlichte Umstrukturierung eines Distriktes könnte die wirtschaftliche Misere beenden: Habt ihr kein Geld, seid ihr praktisch unfähig, daran etwas zu ändern oder auch die "Rad-des-Lebens"-Werte von Glück bis Gesundheit eurer Bevölkerung zum Guten zu wenden. Und so setzt man sich schon bald vornehmlich mit der selten wirklich erhellend aufgeschlüsselten monetären Seite des Spiels auseinander. Und siehe da, Steuererhöhungen lassen sich fast problemlos durchsetzen, sobald man in einem Defizit operiert. Da herrscht dann große Einigkeit.

Ist das erst einmal begriffen, wird das Spiel gerade in den ersten Epochen ein wenig eintönig und tendenziell sogar zu leicht, während man sich immer weiter die Technikbäume entlang und so durch die Zeitalter hindurchforscht. Trotzdem nimmt es einen phasenweise zu einem gewissen Grad für sich ein, auch wenn man tendenziell eher weniger selbst Geschichte schreibt, statt ihr hinterherzulaufen. Regelmäßig werdet ihr per Texteinblendungen nach eurer Einstellung zu einer neuen Errungenschaft oder einer politischen Entwicklung befragt und gebt dann Antworten, deren Auswirkungen sich oft nicht abschätzen lassen. Schön fand ich, dass auch die persönlichen Storylines eurer jeweiligen Alter-Egos hier und da ein wenig in den Vordergrund gerückt werden.

Mehr Transparenz hätte ich mir auch in Sachen Wahlverhalten der Bürger gewünscht, gerade wenn es in den späteren Epochen darum geht, sich vom Volk im Amt bestätigen zu lassen. Überhaupt wirken durch die Bank viele Ursache-Wirkung-Zusammenhänge undurchsichtig und wenn mal wieder ein Beschluss einstimmig abgelehnt wird, dem das Spiel ausschließlich positive Auswirkungen auf die Stadt bescheinigt, fällt man schon mal vom Glauben ab.

Hier und da werdet ihr um Input zu politischen Fragen gebeten.

Dazu kommt eine Bedienung, die nicht immer optimal gelöst ist, zum Beispiel mal Tooltipps für die Auswirkungen einer Maßnahme gibt, mal nicht. Und wer während einer Abstimmungsphase Einfluss auf die Parteien nehmen will, erst auf Drohung klickt, es dann aber doch lieber etwas milder angehen lassen will, hat keine Möglichkeit, seine Entscheidung rückgängig zu machen. Optisch ist von hübsch bis bieder alles dabei. Der Stadtratbildschirm ist recht stimmungsvoll, die Stadtansicht dagegen ein bisschen... "trostlos" ist das falsche Wort. Aber der Charakter fehlt irgendwie. Und dass schon 1860 vor vielen Häusern ein Auto steht, manchmal sogar zwei, ist ein bisschen arg anachronistisch.

Am Ende ist es die Nachvollziehbarkeit, die fehlt. Nachvollziehbarkeit, warum der Rat stimmt, wie er stimmt, warum die Bürger wählen, wie sie wählen, und warum die Wirtschaft im Wechsel darniederliegt oder floriert. Urban Empire ist ein durchaus sympathisches Spiel, sein Ansatz frisch. Aber letzten Endes gibt das Spiel in der aktuellen Form nicht her, seine eigene Politikvorstellung umzusetzen. Stattdessen duckt man sich beim Tauziehen der Parteien unter dem Seil weg und reagiert irgendwann nur noch opportunistisch auf die Gegebenheiten. Vielleicht ist das näher am politischen Alltag, als ich denke. Aber es muss mir nicht gefallen. Weder im Spiel noch in der Realität.


Entwickler/Publisher: Reborn Interactive/Kalypso - Erscheint für: PC - Preis: 44,99 Euro - Erscheint am: Erhältlich - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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Urban Empire

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