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Valiant Hearts: The Great War - Test

Tapferes kleines Spiel.

Eine eindrucksvolle, persönliche und nicht immer angenehme Reise durch die Jahre 14-18 an den Fronten des ersten Weltkrieges.

Valiant Hearts beweist prächtig, dass die (pseudo-)authentischen Annäherungsversuche des Mediums Spiel an das Thema Krieg regelmäßig zu kurz greifen. Modern Warfare 1 wusste noch, wohin es sich strecken musste, um eine Wirkung zu erzielen, die über imponierenden, aber leeren Bay'schen Bombast hinausging. In der Fortsetzung des Konzeptes verlor sich dann irgendwo die Ambition, Krieg nicht nur als Hurrah-Ballern-Zeitvertreib zu inszenieren. Der Rest der Spielewelt zog trotzdem gleich.

Allesamt verwechselten die immer bärbeißigeren und gemeineren Militärschießereien Schockmaßnahmen und regelmäßig ein bisschen verstörenden Neopatriotismus mit aufrichtigen Statements zur Natur des Krieges. Daran ist längst nicht alles verkehrt. Ich bin in den Actionfilm-Achtzigern aufgewachsen, bringe manchmal also eine geradezu kindliche Begeisterung für hohle und vor allem systemisch befriedigende Shooter mit prächtig diversifiziertem Arsenal und taktisch interessanten Spielsituationen auf. Aber paradox ist es trotzdem, wie man neuerdings beim Spielen sogenannter Militär-Shooter an alles denkt, nur nicht daran, was das Wörtchen "Krieg" bedeutet. Und das ist mit Blick auf 2007 und das erste Modern Warfare durchaus schade. Wir waren schon mal weiter.

Valiant Hearts kommt ausgezeichnet ohne Dialoge aus.

Valiant Hearts ist natürlich kein Shooter, ich bin mit - mit einer Ausnahme - nicht mal sicher, ob einer der vier spielbaren Charaktere überhaupt den Tod eines NPCs verursacht. Aber statt den Weg des seichten zweidimensionalen Adventures hätte es auch ein 3D-Abenteuer mit viel Krach-Bumm, abstürzenden Flugzeugen und Panzern sein können, die explodieren, kurz bevor sie den Spieler überrollen können. Ubisoft Montpellier treibt den Puls auch in der handgezeichneten Seitenansicht noch mit eindrucksvollen Szenenbildern nach oben. Die Darstellungsform hat demnach nichts damit zu tun, dass Valiant Hearts so viel wirkungsvoller ist, wenn es darum geht, wirklich betroffen zu machen. Der Unterschied ist schlicht, dass hier vier ursympathische Figuren und ein Hund in ein schreckliches Szenario geworfen werden. Das Spiel folgt ihren Geschicken, anstatt sie wie ein Drill Sergeant durch Missionen zu blöken, die grundsätzlich wichtiger sind als sie.

Als Inspiration für diesen Ansatz dienten die Briefe, die die Soldaten von der Front an Freunde und Verwandte schrieben. Und obwohl die eigentliche Geschichte von Valiant Hearts komplett der Fantasie der Designer entsprungen ist und alle vier Handlungsstränge fast ein bisschen zu passgenau ineinandergreifen, verströmen die Beschwerlichkeiten des Deutschen Karl, des Franzosen Emile, des Amerikaners Freddy und der Belgischen Sanitäterin Ana doch zumindest eine emotionale Echtheit, die verrät, dass hier jemand tief in die Materie eingetaucht ist, bevor er sich an die Tastatur setzte.

Die spielerische Seite des Titels empfiehlt sich dagegen für nicht ganz so glühende Komplimente. Es ist ein vollkommen funktionales Abenteuer mit leichten Puzzleelementen, das von der Haptik ein bisschen an Scribblenauts erinnert. Statt mit klassischem Point-and-Click steuert ihr die Figuren direkt, hebt Gegenstände auf, tragt sie zum vorbestimmten Einsatzort oder werft mal mit einem Stein, einer Flasche oder einer Granate, um unerreichbare Gegenstände zu bewegen, Wachen abzulenken oder ein Hindernis für jemand anderen aus dem Weg zu räumen. Hier und da sucht ihr einen Bolzenschneider, um eine Stacheldrahtbarriere aus dem Weg zu räumen, oder buddelt euch als Emile mit einer Schaufel durch vermintes Erdreich.

"Als Inspiration für diesen Ansatz dienten die Briefe, die die Soldaten von der Front an Freunde und Verwandte schrieben."

Diese Giftgasmaschine ist sicher nicht authentisch. Ubisoft Montpellier bringt die Grauen der frühen chemischen Kriegsführung aber dennoch gut auf den Punkt.

Das eine oder andere Dreh- und Schieberätsel beauftragt euch damit, die Wasserzufuhr der Soldatenduschen wieder anzuschalten oder einer martialischen Senfgasmaschine den Hahn abzudrehen. Herzerweichend ist dabei vor allem das Zusammenspiel mit Walt, dem Hund, der jeden der vier Helden eine Zeit lang begleitet und für sie NPCs ablenkt, Hebel bewegt oder Gegenstände besorgt, an die unsere Helden alleine niemals gekommen wären. Die Interaktionen mit dem treuen Vierbeiner sind wenige Momente echter Zuneigung, während sich ringsum die Welt untergeht.

Gewisse Abschnitte sind allerdings gelungener als andere, was sich besonders in den Geschicklichkeitssequenzen zeigt. Die Besseren wollen von euch, dass ihr euch hinter feindlichen Linien ungesehen durch gegnerische Patrouillen hindurchduckt, indem ihr hinter Level-Inventar haltmacht und die Feinde im Vordergrund passieren lasst. In einem kleinen Knicks vor Rayman Legends flieht Ana in aufregenden Verfolgungsjagden zu klassischer Musik mit ihrem roten Taxi vor den Deutschen.

Weniger gut sind Momente, in denen man ein hektisches Rythmusspiel absolviert, um Verwundete zu verarzten. Ab und zu stirbt man zudem etwas zu unvorbereitet, wenn man aus den Gräben gegen feindliche Stellungen anrennt. Stellenweise ist man beim ersten Anlauf auf eine Salve feindlicher MG- oder Mörsergranaten überfordert, weil ihre Einschlagsorte in der dramatischen Action schon mal untergehen. Diese Szenen gehören trotzdem häufig zu den Highlights, weil spätestens im zweiten Anlauf alles kappt und sie den Krieg deutlich schonungsloser zeigen als viele andere Titel.

"Es ist dieser Kontrast zwischen lieblicher Darstellung und hartem Kriegsdrama, der den Spieler regelmäßig entwaffnet, damit ihn die düstereren Momente umso härter treffen können."

Schäferhund Walt ist einer der gelungeneren Sidekicks der jüngeren Vergangenheit. Bester Freund und verlängerter Arm des Spielers in einem.

Das liegt vor allem am fabelhaft getroffenen Ton. Der niedliche Stil und die freundlichen Figuren mit ihren überzeichneten Trickfilmanimationen werben einmal mehr überzeugend für die zu wirklich Wunderschönem fähigen Ubiart-Engine. Die Figuren sprechen entweder nur einige Brocken echter deutscher, englischer oder französischer Begriffe oder verfallen komplett in ein lustiges "Simblisch", das sich entfernt nach der jeweiligen Vorbildsprache anhört. Und die Animationen lassen hier und da die Liebe Ubisoft Montpelliers zu klassischem Slapstick durchblicken. Es ist dieser Kontrast zwischen lieblicher Darstellung und hartem Kriegsdrama, der den Spieler regelmäßig entwaffnet, damit ihn die düstereren Momente umso härter treffen können.

Trotzdem wirkt das Resultat nie wie ein Spiel zweier Hälften. Selbst die teilweise elend traurigen echten Briefe von der Front, die man hier und da in den Leveln finden kann - ebenso wie gut recherchierten Erinnerungsstücke aus dem ersten Weltkrieg -, passen zum Geschehen und verleihen dem Spielkonflikt Plastizität und Kontext. Der Moment, unmittelbar bevor die Credits über den Bildschirm rollen, gehört schon jetzt zu einem der ganz großen in diesem Jahr.

Valiant Hearts - das sind sechs Stunden, in denen man ohne große Worte fünf Figuren folgt, deren Nöte, Schmerzen, Freude und Entdeckungen ein genaueres Bild davon zeichnen, was die Menschen im Europa zwischen 1914 und 1918 durchstehen mussten. In den wenigsten Videospielen ist "Krieg" mehr als ein Freifahrtschein zum Gewaltexzess, eine einzige Rechtfertigung und armselige Entschuldigung von einem Plot. Valiant Hearts kommt über die Menschen dem Kern der Sache so viel näher und sortiert dem Begriff endlich wieder ein paar Gesichter zu, an die man sich nicht wegen ihrer adoleszent-martialischen Rufzeichen erinnert, sondern weil sie sich durch Empathie und Wärme auszeichneten.

Es ist ein tapferes, kleines Spiel, dem man letzten Endes auch den abschließenden Monolog über Ehre, Vaterland und Freiheit gönnt. Wohlgemerkt Stichworte, bei denen einem die Augen in den Schädel zurückrollen, wenn geringere Spiele als dieses sie in den Mund nehmen. Chapeau, Ubisoft Montpellier!

8 / 10

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