Various Daylife im Test - Falls euch J-RPGs schon immer zu aufregend, anspruchsvoll und hübsch waren
Ist das noch ein J-RPG oder doch schon ein Casual-Klicker?
Was hat Square Enix denn da geritten? Ich finde es ja wirklich gut, dass wieder mehr kleinere Spiele aus dem Hause kommen, dass sie experimentierfreudig sind. Dass diese Games aussehen wie für die PS2 entworfen, sehe ich teilweise als Bonus. Nicht wegen der hässlichen Optik, sondern weil dies eine sehr kreative Phase im J-RPG-Geschäft war, in der viele, heute mitunter vergessene Goldstückchen erschienen. Dark Cloud war klasse, Wild Arms und Arc the Lad liefen nach Starts auf der PS1 zu Hochform auf, es gab so viel zu leveln und so wenig Zeit. Und ganz, ganz sicher hätte ich auch damals nicht meine Zeit mit Various Daylife vergeudet. Allein der Name. Vermischtes aus dem Alltag? Kann man als vielleicht nicht wörtliche, aber trotzdem akkurate Übersetzung stehen lassen.
Auf den ersten Blick scheint es eines dieser Spiele zu sein. Wie damals Valkyrie Profile findet man sich überrascht in der 2,5D Seitenansicht wieder und auch wenn der PS2-Spättitel heute immer noch besser aussieht als Various Daylife, man hat diesen Vibe. Bis einem klar wird, was man sich für eine Seuche ins Haus geholt hat.
Ihr spielt einen Neuankömmling in der frisch gegründeten Provinz eines Fantasy-Königreichs und einer der ersten Sätze, den ihr hört ist, dass wenn ihr essen wollt, dann müsst ihr arbeiten. Klingt fair, ich habe eine Axt, wo sind die Orks? Aber nein, so ist das nicht gedacht. Arbeiten heißt hier die banalen Tätigkeiten der Kolonie abrackern. Das sind Wildschweine jagen, Akten sortieren, Armenspeisung oder Kellnern. Alles ohne Frage ehrenwerte Tätigkeiten und sehr realistisch, dass diese eine hohe Priorität in einer aufstrebenden Kolonie haben. Aber wenn ich Realismus will, dann gehe ich ins Finanzamt und lade kein Fantasygame.
Keine Sorge, ihr müsst keine dieser Tätigkeiten wirklich erledigen. Ihr wählt eine aus einer Liste aus und drei Sekunden später wird Erfolg oder Misserfolg verkündet. Dieser hängt mit Laune und Ausgeruhtheit des Helden zusammen und hier kommen die Freunde ins Spiel, die ihr im Dorf macht. Um herunterzukommen, geht ihr in die Kneipe oder Shoppen und das regeneriert, bevor es zurück in den Grind geht. Das ist realistisch und um es konstant dröge zu halten, passiert hier auch nichts außer einer kurzen Texteinblendung und ihr findet euch zurück in euerer Hütte. Dass ihr nach jeder Tätigkeit dort landet und dann für alles wieder die trostlose, leere Stadt entlang latschen müsst, sorgte irgendwann dafür, dass mein Held sich mehr und mehr zum Einsiedler entwickelte.
Dort steigerte er dann seine Fantasy-Attribute mit den Arbeiten. Gut 100 Jobs gibt es und jeder davon bringt leicht unterschiedliche Mengen an Geld und Erfahrungspunkten. Um es irgendwie interessant zu halten, senken manche Jobs auch manche Fertigkeiten leicht, sodass ihr in der Theorie eine Balance halten sollt, um den nächsten vollen Fertigkeitspunkt zu erreichen. In der Realität ist das System so einseitig zu euren Gunsten sortiert, dass ich ab einem gewissen Punkt einfach immer den ersten Job nahm, indem ich blind auf die Taste hämmerte. Mein Gehirn war dafür nicht nötig, also genoss es mit Akte X nebenbei einen guten Retro-Flash. Es machte keinen großen Unterschied, meine Fertigkeiten levelten auf, mein Konto wuchs, mein Lebenswille sank. Der meines Helden auch. Und der hatte nicht mal Mulder und Scully, um sich rüberzuretten.
Aber Martin, das kann es doch nicht sein, das wäre ja ein absurd schreckliches Spiel, das Idle-Klicker auf Android wie Gameplay-Perlen wirken lässt. Nein, das ist auch nicht der Raison d'Être von Various Daylife, nur der Teil, mit dem ihr 80 Prozent der Zeit verbringt. Die anderen 20 sind die beste J-RPG-Action, die ihr je erleben werdet! Ups, nein, sorry, das ist gelogen, es ist die schlechteste J-RPG-Action, die ihr je erleben werdet. Schon allein, weil ich nicht sicher bin, was ich hier ändern würde, um es noch weniger interessant zu gestalten.
Eure Truppe der kollektiven visuellen Unerfreulichkeit wandert kontinuierlich von links nach rechts durch eine plane, tote Ebene. Es ist Tag, dann wird es Nacht, dann wieder Tag. Sieht ganz niedlich aus und ist das einzige, an dem sich das verzweifelte Auge festhalten mag. Die staksigen Restbestände aus dem erweiterten FF9-Abgelehnten-Pool sind es sicher nicht und die Monster… Okay, die sehen zumindest durchschnittlich harmlos aus. So wandert ihr denn – ohne Knopfdruck, ganz automatisch – bis eine Gegnertruppe aufpoppt. Die Version der Zufallsbegegnung nach Various Daylife. Was hier folgt, kennt man seit… Lasst mich nachgucken… Hm, 1986 war Dragon Quest. Vier Helden murksen rundenweise mit den üblichen Standard-Attacken und sich müde ergänzenden Specials - Bravely Default ein wenig runtergedummt - ein paar Monster ab. Das ist okay, funktional, aber mehr auch nicht. Damit ist es wohl der beste Teil von Various Daylife. Eine Schlaftablette bleibt es.
Sicher, im Grunde rannte man in den meisten anderen J-RPGs auch nur durch die Gegend, wartete oder befürchtete den nächsten Zufallskampf und suchte den Punkt, an dem die Story weitergeht. Various Daylife automatisiert jetzt halt Punkt 1 und 3. Kein Rumrennen und Suchen mehr. Komfort ist König. Nehme ich an. Oder: Meine Fresse ist das öde! Um dem allem die Krone aufzusetzen: Eure NPC-Freude leveln hier nicht. Das macht ihr, indem ihr ihre Level kauft, von dem Geld, das ihr mit euren Durchklick-Stadt-Jobs verdient. Ich habe keine Worte. Selbst wenn man das, was ich noch als Spiel klassifizieren würde, nimmt und versucht sich darauf zu konzentrieren, bringt das nichts. Die Level, die ihr braucht, um die nächste „Quest“ anzugehen – ein zu großes Wort hierfür – bekommt ihr nur im endgültig öden Gameplay-Sumpf.
Ihr fragt euch vielleicht, warum ich den ganzen Test über die Story nicht erwähnte. Nun, weil es der belangloseste Generika-Brei vielleicht seit Erfindung des Genres ist. Nicht schlimm, nicht furchtbar geschrieben, nicht generell in den Themen verwerflich. Nur eben so austauschbar und beliebig, dass eine Abhandlung über die farblichen Eigenschaften von Graubrot wohl mehr Aufregung und Cliffhanger zu bieten hätte. Wenigstens passiert die Handlung selten genug, dass sie nicht weiter stört. Vielleicht nicht der Satz, den ein Rollenspiel hören möchte.
Was soll ich sagen, ich kann mich jetzt noch über mehr Details wie das praktisch nicht existente Dialog- oder Interaktionssystem mit den NPCs auslassen. Oder über das Ausrüstungssystem, das dafür, dass es nur das Allerminimalste leistet, erstaunlich unkomfortabel ist. Aber wozu. Various Daylife ist als Spiel und J-RPG eine unbegreifliche Schlaftablette. Seine Existenz lässt sich nur damit erklären, dass es eine Studie ist, wie weit man Systeme reduzieren kann, um es technisch noch ein J-RPG zu nennen. Es gibt Geld, Shops und Rundenkämpfe. Reicht das? Natürlich nicht. Square, damals noch ohne Enix hatte schon mal so ein Experiment versucht, Mystic Quest: Legend. Aber das war zum einen doch etwas interessanter gestaltet, weil es sich noch relativ normal als J-RPG anfühlte und man sich nicht 80 Prozent der Zeit durch dämliche Jobs, die keine sind, klickte. Und auch, weil es 1992 war. Die Auswahl war schlicht nicht so groß. Das kann man heute nun wahrlich nicht mehr sagen.
Various Daylife - Pro und Contra
Pro:
- Unverfälschte Rundenkämpfe, 80s Style
- Dröge Jobs müssen wenigstens nicht wirklich abgearbeitet werden
- Musik ist okay
Contra:
- Auf Dauer öde Rundenkämpfe, 80s Style
- Auf ein absolutes Minimun reduziertes Gameplay
- Reizlose Quests
- Noch reizlosere Jobs
- Wenig reizvolle Stadt
- Reizarme Dialoge mit wenig reizenden NPCs
- Grafisch angelehnt an Triangle Strategy, aber mit nur drei Prozent des Budgets umgesetzt
- "Sprachausgabe" ein schlechter Scherz (oder eine gute Hommage an Rowan Atkinsons sterbenden König)
Entwickler: Square Enix - Publisher: Square Enix - Plattformen: PC, Switch, PlayStation, iOS - Release: 13.10.2022 - Genre: Super casual J-RPG - Preis (UVP): ca. 30 €