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Velvet Assassin

Die Frau hinter den Linien

Was ist das denkbar finsterste Szenario überhaupt?

Stalingrad ist sicher kein schlechter Anfangspunkt und wir hatten das ja auch schon. Ohne Waffe einen Sturmangriff zu führen, das Gewehr eines gefallenen Kameraden aufheben und in eine der blutigsten, barbarischsten Schlachten überhaupt rennen, eigentlich ohne Hoffnung, über die Körper zerfetzter Opfer hinweg. Das ist düster.

Aber Velvet Assassin kann düsterer.

Ohne Beispiel in der Menschheitsgeschichte dürften die Massenmetzeleien des ersten Weltkriegs sein. All out. Giftgas, schwere Artillerie gegen alles, was sich bewegt. In den Schützengräben zwischen den Schreien der Sterbenden langsam verhungern, bei Nacht mit aufflammenden Zigarettenfeuern Schießbude spielen. Das ist dunkel.

Aber Velvet Assassin kann noch dunkler.

Das „Warschauer Ghetto“ dürfte wohl ein ziemlich perfektes Ebenbild für die Hölle auf Erden sein. Bis zu einer halben Million Menschen auf engstem Raum, alle komplett dem Despotismus der Nazi-Besatzer ausgeliefert. Wer lebt, wer stirbt, wer isst, wer hungert, alles Spontanentscheidungen einer grausigen Willkür der Launen unter dem Deckmantel siechender Normalität. Ein grimmes Warten auf ein ungewisses Ende, das jederzeit kommen kann. Das ist finster.

Und damit willkommen bei Velvet Assassin. Sollte Euch das Szenario noch nicht reichen, dann muss Euch die Aufgabe, die die britische Agentin Violet Summers dort zu erfüllen hat, einen Schauer über den Rücken jagen. Ein gut informierter Spitzel wurde im Ghetto gefangen genommen. In einem herkömmlichen Spiel würdet Ihr jetzt im Jack-Bauer-Style losziehen und den Mann dank wüster Ballerei und Gadgetsucht befreien, über irgendeine Grenze bringen und den Levelabschluss mit einem Waffenupgrade begießen. Nicht so hier, das wäre nicht finster.

Velvet Assassin-Trailer

Sucht den Mann, schmuggelt eine Zyankali-Kapsel in seine Zelle und versucht wenigstens, selbst lebend aus diesem Himmelfahrtskommando zu entkommen. Er selbst kümmert sich dann schon darum, dass die Nazis nicht in den Besitz der Informationen gelangen. Keine Widerrede, DAS ist düster. Der Horrortrip in den Vorhof der Hölle stellt sicher in dieser Richtung Rekorde auf, Velvet Assassin geizt aber auch sonst nicht mit finsteren und unheimlichen Momenten. Selbst dann, wenn diese in weniger kontroversen Umgebungen handeln.

Ein U-Boot-Bunker beispielsweise mag zwar klamm und grau sein, wirkliches Momentum erfährt die Lage aber erst, wenn ein Stapel Container mit Giftgas langsam ein wenig leckt und alles in difusen grünen Nebel taucht. Auf Dauer muss das einen Effekt auf die Wachen haben. Ihr belauscht in dieser unwirklichen Stimmung ein Gespräch über eine schon seit Jahren tote Oma, die dem Wachsoldaten am Bett erscheint und lange Gespräche mit ihm führt. Dieses Geisterklischee zerrt gehörig an Euren Nerven, während Ihr Euch mit minimaler Ausrüstung hinter ein paar Kisten drückt und an den beiden geistig angegriffenen, schreckhaften Wächtern vorbei durch die grünen Schwaden müsst.

Die dunklen Seiten des Krieges hinter dem Krieg.

Und Ihr schlüpft nun wahrlich nicht in die Rolle eines muskulösen, bärenhaften Sam Fisher. Die Figur Violet Summers entstammt nicht (ganz) der Phantasie der Replay Studios, sondern lebte wirklich. Ein wenig künstlerische Freiheit gönnte man sich beim Namen, etwas griffiger als Violette Reine Elizabeth Bushell Szabo musste es wohl einfach sein. Und so viele Einsätze wie Summers hatte Szabo nicht überlebt.

Die reale Heldin im Kampf gegen die Nazis, eine von insgesamt 51 Agentinnen des britischen Geheimdienstes im zweiten Weltkrieg, starb in Gefangenschaft, nachdem schon ihre zweite Mission in einem Fehlschlag endete. Summers brachte es auf ein gutes Dutzend Einsätze, der letzte schlug aber auch fehl und schickte sie nicht nur in ein britisches Militärhospital, sondern auch in ein tiefes Koma, in dem sie ihre Einsätze erneut durchleben muss. Ihr fragt Euch vielleicht, warum Replay Studios diesen Kniff in die Handlung einflochten und Euch nicht stattdessen einfach gleich durch Summers Missionen schicken. Ganz einfach. In einem Alptraum ist alles möglich.