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Virtua Fighter 5

Serien-Held

Irgendwann 1994 oder so: Der Spielautomat Virtua Fighter war gerade erschienen und hielt meinen Freundkreis gefangen. Mich auch. Mehrmals pro Woche pilgerten wir zu einer Spielhölle mit dem schicken Namen „Atlantik Spielparadies“ . Und da spielten wir Stunde für Stunde. Das war auch nicht weiter schwer, denn wir waren die einzigen. Niemand schien sich sonst dafür zu interessieren. Ein paar Meter weiter bildeten sich jedoch regelmäßig Menschentrauben. Sie umlagerten Tekken. „Däggen“, wie wir es damals verächtlich nannten, begeisterte die Massen. Und so pöbelten wir munter vor uns hin. Wir spielten ja Virtua Fighter und gehörten damit zu den Auserkorenen – der Spielhallen-Elite sozusagen.

„Ihr schnallt doch gar nichts“, schallte es eines Tages zurück, gefolgt von tosendem Gelächter der „Däggen“-Gefolgschaft. „Wenn ich schnell Buttons drücken will, spiele ich Hyper Olympics. Wer Virtua Fighter beherrscht, dominiert jedes andere Kampfsportspiel. Du willst es wissen. Dann spielen wir um 'ne Cola!“ „Klar!“ Ohne jegliches Anzeichen von weichen Knien und mit einem Selbstbewusstsein bis zur Decke – ich spielte ja VIRTUA FIGHTER – zwängte ich mich durch die Gruppe Groupies und warf eine Mark ein. Ratzfatz. Zwei Mal „Excellent“. Nur leider nicht für mich. Mit einem „Ich geh dann mal wieder“, verabschiedete ich mich und war um einiges schlauer. Erstens: Hochmut kommt vor dem Fall. Und zweitens, wer Virtua Fighter beherrscht, beherrscht Virtua Fighter. Nicht mehr und nicht weniger.

In der Zwischenzeit lernte ich auch Tekken zu schätzen, die wahre Leidenschaft gehört aber weiterhin Virtua Fighter.

Die fünfte Inkarnation erscheint nun zum Launch der PS3 zunächst auf Sonys schwarzer Kiste, später dann auch für Xbox 360. Die offensichtlichen Veränderungen zu Virtua Fighter 4 Evolution sind zunächst kosmetischer Natur. Also rattern wir sie schnell runter: 60 Frames pro Sekunde, 1080p-Unterstützung, Animationen vom Feinsten.

Unter uns: Die Bilder sind echt schwach. 'Live' sieht Virtua Fighter 5 zig mal besser aus.

Nein. Das war zu kurz. Virtua Fighter 5 ist grafisch ein echter Leckerbissen. Fangen wir mit den Hintergründen an. Sie sind – bis auf ein, zwei Ausnahmen – alle mehr als sehenswert. Eine Stage spielt zum Beispiel auf einem fahrenden Bambus-Floß. Dabei geht es vorbei an einer Brücke, im Hintergrund dreht ein winkender Beobachter seine Runden auf dem See. In anderen Umgebungen regnet es und Wasser spritzt bei jedem Tritt in eine Pfütze. Kirschbäume werfen Schatten auf die Figuren. Holzzäune bersten beim schmerzlichen Aufprall eines Kämpfers oder Scheiben zerschmettern.

Aber bei Virtua Fighter geht es ja nicht gerade ums Sight-Seeing, sondern um die Kämpfer. Sie sind die Stars. Und AM2 hat sie wieder treffsicher in Szene gesetzt. Das gilt auch für die beiden „Neuen“ – Eileen und El Blaze –, die sich harmonisch in die Riege der bekannten Gesichter einfügen. Besonders beeindruckend ist wieder einmal die Animation der Kleidung, die bei Schlägen und Niederschlägen ausgesprochen realistisch mitschwingt. Der Oberknaller sind aber ganz allgemein die Texturen; vor allem die Intros vor einem Fight und die Replays zeigen den hohen Detailgrad, mit dem zu Werke gegangen wurde. Zum Teil wurden Effekte jedoch auch überstrapaziert und so glänzen einige Charaktere etwa zu sehr. Dadurch sieht Sarah zum Beispiel ein wenig künstlich aus. Und um die Kritik zu vervollständigen: Beim genauen Hinsehen fallen vereinzelt Clipping-Fehler auf. Da bleibt mal ein Fuß in einer Holzplanke stecken oder verschwindet im Hosenbein. Das war’s dann aber auch schon und wenn man ehrlich ist, fällt das nur auf, sobald man den Spielbetrieb einstellt und auf diese Feinheiten achtet.

Sarah wirkt durch ihren glänzenden Anzug und den Pferdeschwanz wie eine verkappte Barbie.

Der Einzelspieler-Modus wurde durch zahlreiche Items aufgepeppt, die im so genannten Quest-Modus ergattert werden können. Mit diesen Accessoires lassen sich die Charaktere optisch aufpeppen. Für Puristen sicher nebensächlich, aber definitiv ein nettes und vor allem zeitgemäßes Feature.

Etwas unverständlich ist hingegen, warum AM2 die gesammelte Mannschaft nicht in ein Next-Gen-Trainingscamp geschickt hat. Abseits des höchsten Schwierigkeitsgrads lassen sich eigentlich alle Computer-gesteuerten Kontrahenten mit simplen Punch-Kick-Combos zu Boden schicken. Blocken und Special Moves sind nicht notwendig. Schade, denn etwas mehr Herausforderung wäre wünschenswert gewesen.

Das hört sich jetzt nach furchtbarem Insider-Trashtalk an, aber so ist Virtua Fighter 5 natürlich nicht. Es ist – wie eigentlich immer – extrem Einsteiger-freundlich, ohne dabei Abstriche für Fortgeschrittene machen zu müssen. Wer noch nie einen Teil der Serie gespielt hat, wird dennoch sofort damit zurechtkommen, die Lernkurve könnte aus einem Lehrbuch für Game Design stammen. Virtua Fighter 5 macht einfach Spaß – unabhängig davon, auf welchem spielerischen Niveau man sich befindet. Zu Beginn begnügt man sich mit blocken, ein paar kleineren Kombos. Dann lernt man auszuweichen, wie man Würfe anwendet und man erkennt im Ansatz, welcher Angriff auf einen zukommt und kann entsprechend reagieren. Aktion und Reaktion. Alles dreht sich irgendwann um das kalkulierte Eingehen von Risiken. Ohne das geht gar nichts. Jeder geblockte Schlag eröffnet dem Gegenspieler die Möglichkeit zu verheerenden Kombos, jeder Angriff will also überlegt sein. Oder der richtige Zeitpunkt für einen Konter erkannt werden. Über den Zeitverlauf entwickelt jeder seinen eigenen Kampfstil, der entweder offensiver oder defensiver Natur ist. Und besonders schön ist es natürlich, wenn völlig unterschiedliche Spielertypen aufeinander treffen.

Schon einige Jahre auf dem Buckel, aber immer noch sehr behände – Jacky und Kage.

All das ist natürlich ausgelegt auf den Multiplayer. Auch wenn leider nicht online. Dazu muss man wissen, dass Virtua Fighter in japanischen Arcades einen enormen Stellenwert hat. Wie AM2 in unserem Interview betonte, entscheiden oft einzelne Frames einen Kampf unter Profi-Spielern. Und hier macht das Team keine Kompromisse: Ein Spiel über das Internet ist einfach nicht ohne eine gewisse Zeitverzögerung möglich. Daher ist und bleibt Virtua Fighter ein Spiel, dass man zu zweit vor einem Bildschirm spielt – und nicht irgendwo auf der Welt verteilt. Das mag man bedauern, muss man aber - aufgrund des Stellenwerts des Spiels in Japan – wohl oder übel schlucken. Etwas mehr Online-Funktionalität, wie zum Beispiel das Herunterladen von Replays, hätte es aber schon sein dürfen.

Bleiben wir beim Gameplay. Die neuen Offensiv-Moves erhöhen – meiner Empfindung nach – die Spielgeschwindigkeit ein wenig und sie gestalten die Kämpfe auch interessanter. Nicht nur spielerisch, sondern auch optisch. So kann man nun neben oder hinter seinen Gegner gelangen und mit den folgenden Angriffen deutlich mehr Schaden austeilen.

Virtua Fighter 5 lässt sich sehr schwer bewerten. Versuchen wir es mal so: Wer seine Zeit vornehmlich alleine vor seinen Konsolen verbringt, der darf nicht allzu hohe Ansprüche an seine (Computer-)Gegner stellen. Die sind auf Dauer dröge und sehr leicht auszurechnen. Der Quest-Modus und die zahlreichen Items wirken nur für kurze Zeit motivierend. Danach gerät Virtua Fighter 5 ins Stolpern. Und das Motivationsloch ist tief, wenn man erst einmal hineingefallen ist.

Ganz anders sieht es aus, wenn man kein Einsiedler-Dasein führt. Virtua Fighter 5 lässt sich mit Gesinnungsgenossen quasi endlos spielen. Die Spieltiefe ist gewaltig – auch wenn das für die Serie natürlich nicht neu ist. Die neuen Offensiv-Moves sind für langjährige Wegbegleiter von Akira & Co. zunächst gewöhnungsbedürftig, verleihen den Kämpfen aber nach einiger Zeit neue Dynamik. So gesehen, setzt AM2 weiterhin auf evolutionäre Verbesserungen. Und das aus verständlichen Gründen: Die treue Fangemeinde würde vermutlich Amok laufen (darf man das eigentlich noch sagen?), würden die Veränderungen einen kompletten Neuanfang erfordern.

Sicher, Virtua Fighter 5 ist dafür gemacht, um von mehreren Spielern an einem Bildschirm gespielt zu werden. Doch hier unterscheiden sich Spielhalle und Konsole: Nicht immer ist ein Mitspieler greifbar. Es wäre mehr drin gewesen, hätte man diesen Aspekt nicht so stiefmütterlich behandelt. Denn Spielmechanik und die Präsentation sind grandios.

Virtua Fighter 5 erscheint zum Launch der PS3 am 23.3. Videos und Bilder findet Ihr wie gewohnt auf unserer Game-Info-Page.

8 / 10

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