Von Project Morpheus bis Oculus Rift: Kommende Virtual-Reality-Brillen im Vergleich
Das Holodeck rückt näher.
Ob man will oder nicht: Palmer Luckey legte Anfang 2013 mit dem Oculus-Kickstarter mehr als nur eine Machbarkeitsstudie vor. Er bewies auch, dass die Branche bereit ist für den dritten Paradigmenwechsel binnen 20 Jahren. Mitte der Neunziger traten die Spiele mit beiden Füßen in die dritte Dimension, Anfang der 2000er begann ihre Vernetzung in voller Marktbreite und nun ist es eben an der Zeit, die Art der Darstellung auf ein Neues zu überdenken. So albern man mit einem VR-Headset auch aussehen mag - die Phrase "entschuldige meine Rift-Haare, Liebling" dürfte schon bald ihren Weg in den täglichen Sprachgebrauch finden -, hat man es erst einmal erlebt, ändert man seine Meinung schnell.
Es ist nicht alleine der 3D-Effekt, mit dem Genuss eines Filmes im 3D-Kino hat VR nichts zu tun. Dank Rift und Co. sitzt man nicht mehr vor einem Spiel, das Spiel wickelt sich um den User herum. Mehr als je zuvor fühlt man sich deshalb an einen anderen Raum versetzt und spürt die plötzlich veränderten Größenverhältnisse mit einer Wucht, die Respekt einflößt. Alles wirkt gigantisch, ob nun die Raumstation, die man gerade verlässt, ein hungriger Haifisch vor dem Taucherkäfig oder ein grasender Saurier in Armlänge. Man ist einfach "dort" und die natürliche Art, mit der man seinen Blick nur durch die Drehung seines Kopfes über die lebensgroß wirkenden Landschaften schweifen lässt, ist ein vollkommen natürlicher.
Daher wundert es nicht, dass gleich mehrere Hersteller die Aufregung um die eigentlich alte, endlich aber machbare Technologie nutzen, um ihre jeweils eigene Lösung an den Start zu bringen. Damit ihr nicht den Überblick verliert, hier unsere Aufstellung und Beschreibung der kommenden Virtual-Reality-Headsets - beachtet: Microsofts Augmented-Reality-Brille HoloLens ist sein eigenes Biest und bleibt deshalb vorerst außen vor.
Der Außenseiter: StarVR (PC)
Spieleentwickler Starbreeze kommt ein bisschen überraschend mit einer eigenen VR-Lösung um die Ecke, nachdem das Studio sich vor einer Weile den Hardware-Entwickler InfinitEye einverleibt hatte. Das Besondere an StarVR: Das Gerät begreift sich als das "IMAX des VR". Wo andere Anbieter das Field of View auf rund 110 Grad in der Horizontalen beschränken, wollen die Schweden mit satten 210 Grad gut 75 Prozent des realen Sichtfeldes eines Menschen abdecken - und das in einer Quad-HD-Auflösung von 5120 x 1440. Das soll für noch mehr Immersion und Übersicht sorgen. Ein visuelles Tracking-System ergänzt all die üblichen Sensoren im Gerät selbst und soll in der Lage sein, sowohl die Brille selbst als auch etwaige Peripherie auf den Punkt genau zu erfassen.
Auf der E3 demonstrierte man die in Sachen Formfaktor noch nicht so ganz ausgereifte Brille mit einer Demo von Overkills The Walking Dead. Dabei handelt es sich leider "nur" um einen Rail-Shooter, bei dem der Spieler in einem Rollstuhl durch die Gegend geschoben wird - in der Realität ebenso wie im Spiel. Geschossen wurde mit einem Shotgun-Controller. Wir haben es hier also mit einer aufgebohrten VR-Version von Lightgun-Shootern aus Arcade-Zeiten zu tun, was im Gegensatz zu den technischen Spezifikationen des Headsets nicht allzu sehr beeindruckt.
Doch man darf davon ausgehen, dass StarVR daran interessiert ist, eine möglichst hohe Kompatibilität zu Oculus-Rift-optimierten Titeln zu erzielen. Handelsübliche Controller dürften in jedem Fall unterstützt werden und wer weiß, ob nicht noch vollkommen 3D-fähige Steuereinheiten hinzukommen?
Chancen: Konservativ, aber durchaus eindrücklich kraftmeiernd könnte StarVR zum Luxusprodukt unter den VR-Brillen werden. Allerdings wollen dermaßen viele Pixel auch von angemessen potenter Hardware befeuert werden. Schon Oculus empfiehlt mindestens eine Geforce 970 und damit wird man sicher nicht das Optimum erreichen, weil für ein gutes VR-Erlebnis hohe Bildraten erforderlich sind. Es bleibt abzuwarten, ob Starbreeze hier nicht eventuell seiner Zeit ein wenig zu sehr voraus ist. Von allen Geräten am Markt macht es aber den Eindruck, noch den Weg bis zur Marktreife vor sich zu haben, insofern relativiert sich das vielleicht noch.
Der Querdenker: HTC Vive mit SteamVR (PC)
Die Kooperation des Steam-Anbieters Valve und des Smartphone-Herstellers HTC soll noch vor Ablauf des Jahres erscheinen und sorgte auf der GDC 2015 für offene Münder. Die Brille selbst ist nicht einmal der Grund dafür. Die Auflösung von zweimal 1200x1080 auf einer Diagonale von etwas mehr als 5 Zoll, in einer Bildwiederholrate von 90Hz und mit einem Blickwinkel von 110 Grad decken sich im Grunde mit den Zielspezifikationen der Verkaufsversion von Oculus Rift. Interessant ist allerdings die dazugehörige Lighthouse-Technologie: Zwei Laser-emittierende Vorrichtungen, die unter der Decke in gegenüberliegenden Raumecken angebracht werden, treffen die Fotowiderstände an der Außenseite des Vive. Das erlaubt der Software, die Bewegungen von Vive und seiner Nunchuck-artigen Controller in einem Raum mit einer Grundfläche von bis zu 20 Quadratmetern präzise zu erfassen.
Ein "Chaperone" - "Anstandsdame" - genanntes System blendet dem User die Begrenzungen des Raumes als grafisches Overlay ein, damit auch die schöne Einrichtung beim Spielen nicht zu Bruch geht. Tatsächlich simuliert SteamVR so die freie Bewegung in einem virtuellen Raum deutlich potenter und freier als jedes andere der in der angekündigten Systeme. Auch einer anderen besonderen Herausforderung stellte sich HTC früher und entschlossener als die Konkurrenz: der Steuerung im dreidimensionalen Raum.
Kollege Richard von Digital Foundry erkannte bereits im Frühjahr, dass Sony mit dem verwahrlosten Move einen mächtigen Controller für wahrhaft dreidimensionale Interaktionen für sein Project Morpheus an der Hand hatte. Denn: Spielt man mit einem normalen Controller oder gar mit Maus und Tastatur, bekommt die Anwendung keine Informationen darüber, wo sich die Hände des Spielers genau befinden. In Spielen wie Elite hält die perfekte Immersion - "sind das meine Hände!?" - so lange an, bis ich meinen Griff vom Joystick löse, die Spielfigur in ihrem Raumschiff ihn aber weiter fest umklammert.
"Selbst 20qm Raum enden irgendwann an der nächsten Wand und aktuelle Spielkonzepte vom Shooter bis zur Sportsimulation stützen sich voll und ganz darauf, dass der User sich kaum vom Fleck bewegt."
Vive setzt mit einer vergleichbaren Lösung an: mit separaten Einheiten für jede Hand, die ebenfalls genau errechnen, wo sie sich befinden. Die verfügen anders als Move jedoch jeweils über je ein eigenes Trackpad für den Daumen, einen Zeigefinger-Trigger, zwei weitere Tasten und Drucksensoren in den Griffen. Seine Hände nach interaktiven Gegenständen auszustrecken, sie zu greifen und dann wie in der Realität zu manipulieren - das ist ein ungemein attraktiver Gedanke.
Chancen: HTC Vive und SteamVR bieten noch vor Erscheinen des Geräts, das den Boom auslöste - Oculus Rift -, einen frischen Blick auf Virtual Reality, indem sie eher dem Gedanken des Holodecks aus Star Trek folgen. Freie Bewegung im Raum ist die Devise und allem Anschein nach stößt die prestigeträchtige Kooperation so tatsächlich Türen in neue Immersions-Dimensionen auf. Der Haken an der Sache: Die Brille muss per Kabel mit dem PC verbunden bleiben, was für einigen Slapstick im Wohnzimmer sorgen könnte. Auch muss klar gesagt werden, selbst 20 Quadratmeter Raum enden irgendwann an der nächsten Wand und aktuelle Spielkonzepte vom Shooter bis zur Sportsimulation stützen sich voll und ganz darauf, dass der User sich kaum vom Fleck bewegt.
Virtual Reality muss sich ohnehin schon etwas einfallen lassen, um gängige Mechanismen und Spielprinzipien erfolgreich zu "virtualisieren". Valve und HTC scheinen hier einen Entwicklungsschritt schlicht überspringen zu wollen. Wie es scheint, ist es aber nur eine Treiberfrage, dass für Oculus Rift optimierte Spiele auch auf Vive laufen. Wenn VR als Konzept vom Markt gut aufgenommen wird und der Preis erschwinglich bleibt, spielt Valve vorne mit. Jetzt ist nur die Frage, ob sie aus ihrem Alleinstellungsmerkmal der freien Bewegung Kapital schlagen können.
Das Konkurrenzlose: Project Morpheus (PS4)
Sony hat sich in Sachen Hardware schon immer recht umtriebig ausprobiert - häufig gerieten Innovationen oder vielversprechendes Zubehör des Herstellers aber allzu schnell wieder in Vergessenheit. Mit Morpheus scheinen die Japaner es allerdings ernst zu meinen. Von Beginn an sah die Hardware ausgereift und wertig aus. Mit dem mittlerweile fünf Jahre alten Move-Controller ist ihr auch eine potente 3D-Steuerungs-Hardware quasi in die Wiege gelegt, der im Grunde nur ein Analogstick fehlt, um für alle möglichen Spielkonzepte gerüstet zu sein. Mit "nur" 960x1080 pro Auge besitzt Morpheus die niedrigste Auflösung aller hier vorgestellten Headsets, was sich durch das etwas schmalere Sichtfeld von 100 Grad - immer noch deutlich mehr als der durchschnittliche Shooter auf einem Monitor - wieder relativiert. Besonders schön auch die schnelle Bildwiederholrate von 120Hz.
Ein großes Fragezeichen schwebt dennoch natürlich über der Hardware-Leistung der PlayStation 4. Alles unterhalb von 60FPS ist in Sachen VR dafür bekannt, Motion-Sickness geradezu zu garantieren. Schon jetzt schaffen die wenigsten Spiele diesen schnellen Refresh und die Anforderungen für VR sind noch einmal deutlich höher als bei der "Mono-Darstellung" am TV. Wenn man dann noch bedenkt, dass die PS4 deutlich unter den empfohlenen Leistungseckdaten des prinzipiell vergleichbaren Oculus Rift liegt, muss die Frage erlaubt sein, ob hier nicht gewisse Kompromisse nötig sind, die das VR-Erlebnis auf der Sony-Konsole ein wenig gestrig wirken lassen. London Studios Heist-Demo kam bisher mit einer auf 60 Bilder pro Sekunde heraufinterpolierten Präsentation daher, die das Problem etwas mildern könnte. Abwarten und Tee trinken bis Mitte 2016. Genügend Zeit, um auf ein paar Herausforderungen spannende Antworten zu finden.
Chancen: Im Konsolenbereich gerade der Alleinherrscher, steht Morpheus allein auf weiter Flur. Microsofts Kooperation mit Oculus erstreckt sich nicht auf vollwertig kompatible Spielerlebnisse für die Xbox One, sondern nur auf eine Art virtuelle Theater- bzw. Kinoumgebung, innerhalb der man einen konventionell dargestellten Titel erlebt. Anders als vergleichbare Produkte am PC fürchtet Sony also keine Konkurrenz. Wenn die 60 Bilder stehen und Motion-Sickness tatsächlich nicht zum Problem wird, hat Sony dieses Stück vom Markt ganz für sich allein.
Das Original: Oculus Rift (PC)
Das Gerät, mit dem alles begann: 1080x1200 Bildpunkte pro Auge in der Verbraucherversion, 90Hz und mindestens 110 Grad Blickwinkel. Noch dazu als einziges Headset mit integrierten, abnehmbaren Kopfhörern ausgestattet. Mit dem ersten Quartal 2016 kommt man vermutlich etwas später auf den Markt als Valves und HTCs Vive, aber das dürfte den mittlerweile in Facebook-Besitz aufgegangenen Pionieren keine allzu großen Sorgen bereiten. Auch Morpheus greift auf eine externe Tracking-Einheit zurück, die den Bewegungssensoren des Headsets helfend unter die Arme greift. Der Raum, in dem der Spieler erfasst wird, ist deutlich eingeschränkter als etwa bei Vive, dann wiederum kann Oculus dank dieses traditionelleren Fokus' schon jetzt auf einige direkt funktionierende Spielideen zugreifen. Auf er E3 präsentierte Palmer Luckey erstmals die voll 3D-tauglichen Controller namens Touch, die Kollege Oli Welsh lange ausprobieren durfte und auch nach dem Genuss von Vive noch als Goldstandard in Sachen VR-Steuerung bezeichnete.
"Der Raum, in dem der Spieler erfasst wird, ist deutlich eingeschränkter als etwa bei Vive."
Ein gewissermaßen in der Mitte geteilter Game-Controller, jede Einheit mit eigenem Stick, Zeigefinger und Mittelfingertasten sowie zwei konventionellen für die Daumen machen die kompakten und leichten Handschmeichler zu einer überaus intuitiven Greif- und Zeigelösung. Eure Hände werden quasi direkt in die Spielwelt transportiert. Da kann man schon mal vergessen, dass dank eines Abkommens zwischen Microsoft und Oculus jedem Rift ein Xbox-One-Controller beiliegen wird. Touch wird dagegen nicht kostenlos sein - und leider auch erst im zweiten Quartal 2016 erscheinen.
Chancen: Von allen Teilnehmern am Feld ist Oculus Rift am meisten zum Erfolg verdammt. Visionäres Personal und ein finanziell leistungsstarker Eigner, der eine 2-Milliarden-Dollar-Investition sich amortisieren sehen will, sind gute Voraussetzungen für ein ausgereiftes Produkt samt angemessen breitenwirksamer Marketingkampagne. Valve und HTC werden dagegen selbst mit ihrem Vorsprung hauptsächlich Enthusiasten erreichen, während sich Oculus dank sozialer Ader von außen den Games annähern wird. Das vergleichsweise bodenständige Konzept spielt unterdessen Spielern ohne große Ambitionen in Sachen eigenes Holodeck - oder entsprechend geräumigen Wohnungen - in die Karten.
Und was, wenn die Zeit doch noch nicht reif ist?
Sollte es nicht eine ganze Reihe katastrophaler Preisentscheidungen geben, wirkt es zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass dieser perfekte VR-Sturm verstreicht, ohne bleibenden Eindruck auf den Videospielkernmarkt zu hinterlassen. Trotzdem muss gesagt sein, dass Motion-Tracking und VR-Brillen weiterhin ein gewisses Stigma mit sich bringen, das für nicht wenige eine Barriere darstellt. Dass man seine Tastatur beim Spielen nicht sieht und das Gefühl der Isolation, wenn sich ein Headset vor den Augen breit macht, sind dagegen rein praktische Punkte, die HTCs Vive mit zwei nach vorne gerichteten Kameras noch am ehesten anzugehen in der Lage ist.
So sehr jeder Kontakt mit Oculus und Co. auch ohne Ausnahme beeindruckt - das Gefühl von Größe kann man nicht oft genug betonen -, komplett geschlossene Brillen zur Wiedergabe visueller Medien bleiben nach über 60 Jahren Fernseher erst einmal ein Fremdkörper, an den sich die breite Masse erst zaghaft herantasten muss. Uns Spielern wird es egal sein, gehen wir doch das erste Mal wirklich auf Tuchfühlung mit den Welten, die uns so viel bedeuten. Zumindest bis die ersten von uns Herzinfarkten in Horrorspielen erliegen.