Wächter von Mittelerde bringt die MOBAs in großem Stil auf die Konsolen.
Aber will sie da überhaupt jemand haben?
Ich bin für gewöhnlich kein Freund davon, wenn eine zugkräftige und wohl-etablierte Lizenz, wie es der Herr der Ringe ist, gängigen Videospiele-Regeln und Markt-Realitäten gebeugt wird. Die Spiele im Fahrwasser der Peter-Jackson-Filme waren handwerklich beinahe ausnahmslos gelungen, und trotzdem konnte ich mich nie auf sie einlassen. Mal ehrlich, welcher echte Fan des Materials klinkt sich denn nicht aus, wenn Gandalf mit Lichtbällen und Heilzaubern um sich wirft oder einem ein vorher und auch nachher nie mehr gesehenes Gefährten-B-Team vorgestellt wird, das angeblich im Norden ebenfalls Wichtiges leistete?
Derartige Ableger der vielleicht größten Kino-Geschichte dieses Jahrhunderts schossen seinerzeit wie Pilze aus dem Boden, ohne der Saga auch nur ein Quäntchen Substanz hinzuzufügen. Sie existierten in ihrer eigenen Blase vor sich hin, bei aller gestalterischen Nähe zur Vorlage immer irgendwie seltsam singulär und egal. Gut gemacht, aber von den Büchern und Filmen ebenso wenig anerkannt wie gestützt, waren sie niemals mehr als glorifizierte Fan-Fiction. Geschichten, die trotz offiziellem Stempel schon mit dem nächsten Spiel einfach weggewischt werden könnten, als wären sie nie gewesen. Damit könnten sie nicht in krasserem Gegensatz zu Tolkiens Werk stehen.
Skinning mit Erfolg auf sicherer Basis
Wächter von Mittelerde kennt dieses Problem nicht, hält es sich als Multiplayer-Online-Battle-Arena¬-Titel mit etwaiger Rechtfertigungs-Fiktion angenehm zurück. Das hier ist nicht mehr und nicht weniger als ein schön anzusehendes und stimmungsvolles Skin für Leute, die das DotA-Prinzip lieben. Und nach der Anspielsitzung in den Hamburger Warner-Räumlichkeiten muss man dem Titel attestieren, dass diese spezielle Form von Action-Strategie die Übersetzung auf Xbox 360 und PlayStation 3 schadlos überstanden hat. Die Frage ist nur, ob die in dieser Richtung noch verhältnismäßig unbeleckten Konsolenspieler das stark teamorientierte Konzept auch annehmen? Auf jeden Fall könnte man sich deutlich schwächere Vehikel für dieses Vorhaben vorstellen, als ein Trojanisches-DotA-Pferd mit Herr-der-Ringe-Label.
Wie für das Genre üblich, sind die Basen der Truppen Saurons und des Bündnisses der Menschen und Zwerge auf jeder Karte durch drei Wege verbunden. Die Spieler wählen aus einer Reihe von Helden - Gandalf, Legolas, Gollum, und so weiter -, die an der Seite KI-gesteuerten Fußvolks auf die Anlagen des jeweiligen Gegenüber losmarschieren. Nach und nach müssen dabei die verheerenden Wachtürme ausgeschaltet werden, die die Wege sichern. Nur, wenn ihr zusammen mit dem automatisiertem Kanonenfutter auf einen Turm zustürmt, werdet ihr nicht sofort pulverisiert. So setzt ihr an jeder der drei Fronten im Verbund eure Nadelstiche, um schließlich zu den Soldaten produzierenden Kasernen vorzustoßen und schließlich das Hauptgebäude zu zerstören.
Die Steuerung mit beiden Analogsticks, die euch den meist trichterförmigen Angriffsbereich und die Bewegungsrichtung unabhängig voneinander kontrollieren lassen, ist den Entwicklern bei Monolith ganz ausgezeichnet gelungen. Schnell lernt man, zwischen KI-Fußvolk, gegnerischen Helden und feindlichen Anlagen Prioritäten zu setzen, buffed oder debuffed Freunde oder Feinde und merkt recht schnell, dass ohne ausgiebige Absprache hier kein Blumentopf zu gewinnen ist. Immerhin ist jeder Spieler dazu angehalten, ausgiebig den Zustand an der eigenen Front an die Kollegen durchzufunken und muss dabei abwägen, wann er um Hilfe ruft und dadurch eventuell an anderer Stelle Lücken in die eigene Verteidigung reißt. Es entstanden in unserem Drei-gegen-Drei regelmäßig spannende und unentwegt hin- und herwogende Partien, die trotz der ordentlichen Länge immer wieder zu einer weiteren Runde einluden.
Das hartnäckige Hin und Her lockert das nette Kartendesign auf, denn auch abseits der Hauptwege noch gibt es noch Dinge zu entdecken. Seien es nur die Büsche, in die man sich verziehen kann, um kurz aus dem Sichtfeld der Feinde zu verschwinden und in ihnen Hinterhalte zu koordinieren oder NPCs, die euch Boni und Erfahrungspunkte gewähren. Mehrere Schreine können auf der Karte ebenfalls eingenommen werden, wenn man einen Umweg auf sich nimmt und bekommt dadurch etwa eine schnellere Gesundheitsregeneration spendiert. Es mag nicht nicht die Welt ausmachen, aber in einer ausgewogenen Partie kann es das Zünglein an der Waage sein, ein Auge auf den Stand der sakralen Opferstätten zu haben.
Gollum und der Hexenkönig im Team vereint
In jedem Match beginnt ihr unterdessen auf Stufe eins, auch wenn jeder Spieler überdies ein spielübergreifendes Profil zu Felde führt, das später etwa das Tragen mehrere Items ermöglichen soll. Eure Figur muss also jedes Mal aufs Neue die Skill-Leiter aufsteigen und ihre Handvoll Spezialattacken pro gewonnenem Level erneut aufwerten. Ich fand es dabei etwas schade, dass es nicht möglich war, einen Skill zwei Mal hintereinander zu verbessern. Allzu sehr spezialisieren wird man sich also wohl nicht.
Genug zu tun ist trotzdem, denn ein Spieler, der Stufe sechs erreicht, kann Wachtürme und Kasernen aufwerten und so von hinten heraus sein Team stärken. Auch sonst ist die taktische Tiefe ziemlich beachtlich, denn das knappe, aber erlesene Fähigkeiten-Aufgebot geht anscheinend recht weit auseinander, wenn zum Beispiel Archetypen wie ein dünnhäutiger Damage Dealer (Gollum) mit einem langsamen, zweibeinigen Defensiv-Panzer (Hexenkönig) zusammenarbeitet und beide ihre Rolle im Team annehmen müssen. Ihr merkt schon: Absprache ist Trumpf.
Die Frage bleibt dennoch: Fällt das bisher nur auf PCs so richtig populäre Sub-Genre der MOBAs auf Konsolen auf fruchtbaren Boden, oder ist der Markt mit Computer-Platzhirschen wie DotA und League of Legends bereits zu Genüge gesättigt? An Wächter von Mittelerde selbst wird es aller Voraussicht nach nicht liegen, wenn MOBAs auf Konsolen nicht dauerhaft Fuß fassen. Monolith hat hier offenkundig das allermeiste richtig gemacht, nach anfänglicher Verwirrung und Problemen bei der Organisation untereinander wickelt einen der jüngste Lord-of-the-Rings-Titel um den Finger, ohne dass man es merkt. Und mit der Preisgestaltung scheint Warner ohnehin vollends richtig zu liegen. Zum schlanken Preis von knapp 15 Euro gesellt sich lediglich ein optionaler Season-Pass noch einmal 15 Euro. Mich würde es nicht wundern, wenn es da nicht einige auf einen Versuch ankommen ließen.