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Warcraft 3 Reforged - Test: Herr Ober? Hier fehlt etwas!

Hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Optisch aufgewertetes, aber sonst weit hinter den Erwartungen und Versprechungen zurückgebliebenes Remake eines Taktik-Meilensteins.

Nachdem Blizzard mit der Starcraft-2-Saga beeindruckend bewiesen hat, dass man im RTS-Genre ganz oben mitmischt, und auch die Überarbeitung des klassischen Starcraft ein Erfolg war, hat man zur Blizzcon 2018 schließlich Warcraft 3 Reforged angekündigt, für das weitreichende Änderungen und Neuerungen in Aussicht gestellt wurden. Der Start lief jedoch alles andere, als man sich das bei Blizzard wohl vorgestellt und erhofft hatte, denn die Fans sind mit WC3 Reforged so gar nicht zufrieden. Ich habe die vergangenen Tage dazu genutzt, mir selbst ein Bild davon zu machen, was am bislang schlechtesten Metacritic-User Score dran ist.

Fangen wir zunächst mit etwas Erfreulichem an. Das halbe Brot einer guten Überarbeitung ist es, die veraltete Grafik aufzupolieren. Auf den ersten Blick ist das bei WC3 Reforged ganz gut gelungen. Die HD-Modelle aller Charaktere und Einheiten haben nun deutlich mehr als die gefühlten 12 Polygone des Originals und kommen ihrem bekannten Look aus World of Warcraft auch wesentlich näher. Besonders in der Nahansicht merkt man, dass die Modelle nicht einfach nur hochskaliert, sondern komplett neu erstellt wurden.

Auch die Gebäude und die Karten mit ihrem unterschiedlichen Terrain sehen dank mehr Effekten, besseren Schatten und 4K-Auflösung deutlich detailreicher aus. Objekte wie Häuser wirken einfach lebendiger und plastischer und Flächen wie Gras sind nicht mehr nur grüne Flecken auf braunem Untergrund, sondern lassen die Andeutung von Grashalmen und Blumen gut erkennen. Soweit hat das Team also gute Arbeit abgeliefert (vieles kommt vom malaysischen Studio Lemon Sky, das bereits für Starcraft Remastered herangezogen wurde).

Youtuber Wtiiwarcraft hat vor ein paar Wochen die Einheiten und Gebäude des ursprünglichen Warcraft 3 mit denen von Warcraft 3 Reforged verglichen. Hier seht ihr gut, wie hübsch die neuen Modelle geworden sind.Auf YouTube ansehen

Classic-Puristen haben übrigens die Möglichkeit, die Reforged-Optik in den Einstellungen zugunsten des "klassischen Looks" zu deaktivieren, was allerdings mit Vorsicht zu genießen ist, denn leider wird der Spielfortschritt der Kampagne nicht mit übernommen. Sprich: Habt ihr die ersten Missionen im Reforged-Modus gespielt und stellt dann auf Classic um, fangt ihr wieder von vorne an - um diesen Umstand mal freundlich zu kommentieren: WTF?!? Das ändert Blizzard hoffentlich noch.

Auch die neue Sprachausgabe ist ganz gut geworden, selbst wenn sie nicht wirklich notwendig war, denn auch die alten Soundfiles waren gut. Wieso man sich hier die Arbeit gemacht hat alles neu zu vertonen, anstatt die Arbeitskraft in wichtigere Punkte zu stecken ist mir nicht klar. Hinzu kommt, dass sich Fans des Originals auch daran stören könnten, denn gerade der Sound wird wegen des "Retro-Feelings" üblicherweise nicht angepackt.

Wenn ihr lieber die alte Warcraft 3 Optik haben wollt, könnt ihr den Reforged-Modus auch ausschalten. Die neue Sprachausgabe lässt sich leider nicht so einfach wechseln.

Bei genauerem Hinsehen gibt es bei der optischen Aufwertung auch einige Punkte, an denen man sich stören kann - wie der Shitstorm der letzten Tage beweist. Über die Farben der Einheiten, die veränderten Kamerawinkel bei manchen Zwischensequenzen oder das Interface, das sich von der schlanken Version der Blizzcon 2018 wieder zum platzfressenden und nicht skalierbaren Balken des Originals zurückverwandelt hat, kann man ja noch hinwegsehen, zumal das alte Interface immerhin funktional ist.

"Leicht überladen" ... wenn man schon das schlanke Interface von der Blizzcon verworfen hat, wäre es zumindest gut, wenn man den Rest skalieren und verschieben könnte, damit man etwas mehr vom Geschehen mitbekommt.

Die visuellen Downgrades bei den Videosequenzen sind dagegen schon ein größerer Aufhänger. Solltet ihr die Blizzcon-Trailer von 2018 gesehen haben und euch auf mehr als vier Stunden massiv überarbeitete Zwischensequenzen gefreut haben: Das ist auch passiert. Nur nicht so wie erwartet. So gut wie alle Cinematics wurden nämlich "nur" hochskaliert und nachbearbeitet oder laufen wie im Fall der Echtzeit-Filme einfach wie im Original mit Dialogboxen, fixen Kamerawinkeln in der In-Game-Grafik und relativ hölzernen Akteuren ab. Von komplett neu gerenderten Clips ist mit Ausnahme des Intro-Trailers dagegen nichts zu sehen und auch von den angedachten "dramatischen Kameraperspektiven" und "kinoreifen Schnitten" fehlt jede Spur. Im Grunde ist es mehr oder weniger genauso wie 2002/2003, nur in höherer Auflösung.

Es ist richtig schade, dass selbst offensichtlich fertige, weil bereits vorab gezeigte Sequenzen nicht den Weg ins Spiel fanden, aber das dürfte dem Gedanken geschuldet sein, dass es dann alles etwas sehr inkonsistent gewirkt hätte. Classic-Puristen können dem aktuellen Stand aber immerhin abgewinnen, dass man die alten Videos "verschönert" hat - was für sich allein gestellt ganz gut gelungen ist. Sicher, man sieht ihnen das Alter an, zum Beispiel in der Unschärfe in den Details wie auch den Gesichtern. Aber trotzdem und das ist zumindest ein Beweis für die Qualität des Classic-Titels, man kann das Ergebnis hier heute noch gut gucken.

Ein weiterer Punkt, an dem man sich aufhängen kann, betrifft die ursprünglich geplante Überarbeitung der kompletten Kampagne inklusive der Frozen Throne-Inhalte, um sie näher an die Ereignisse von World of Warcraft heranzuführen. Die 2018er Blizzcon-Demo mit der Stratholme-Mission hatte bereits gezeigt, wie eine überarbeitete Karte aussieht, hier wurde das Layout der Stadt dem angeglichen, was man aus WoW kennt. Leider ist sie eher die Ausnahme als die Regel. Und bei den wenigen Karten, die überarbeitet wurden, scheinen auch noch ein paar andere Dinge seit der Demo abhandengekommen zu sein: In der Stratholme-Mission zum Beispiel regnet es nicht mehr und damit geht auch ein guter Teil der bedrückenden Atmosphäre der Karte flöten. Es bleibt eine gut spielbare Karte, aber wie viele andere ist sie nach heutigen Maßstäben sicher nicht gerade spektakulär, in welcher Weise auch immer.

Die Handlung blieb weitestgehend unangetastet und damit nennen wir es mal klassisch solide, 2002 (Frozen Throne kam dann 2003) war halt eine andere Zeit. Erneut, es spricht für die Qualität des Originals, dass das alles heute noch funktioniert, aber eigentlich wurden hier Chancen verschenkt. Schließlich kam seitdem ja auch so ein kleiner Titel namens World of Warcraft raus und dem wollte man sich ja eigentlich inhaltlich annähern. So sind halt alte Fans des Originals wohl ganz glücklich, dass da nichts passierte und Leute, die nur WoW kennen, hier und da vielleicht ein wenig verwirrt.

Der Lichkönig aka Prinz Arthas verwandelt Sylvanas Windläufer in die Bansheekönigin - das ist nur einer der vielen epischen Momente der Warcraft-Geschichte, deren Auswirkungen heute größere Wellen schlagen, als man es sich damals vorstellen konnte, denn sowohl das aktuelle WoW: Battle for Azeroth als auch das kommende Addon Shadowlands drehen sich maßgeblich um die gefallene Hochelfe.

Trotz des Gemeckers will ich die Kampagne für Neueinsteiger nicht schlechtmachen. Sie ist heute noch genauso gut wie vor knapp zwei Jahrzehnten, denn Reforged ändert nichts am Spielsystem oder den Spielmechaniken, sondern packt alles nur in schöneres Licht - wie 2008 der Glitzer bei den Twilight-Vampiren. Euch erwarten also weiterhin acht Kampagnen rund um die Menschen, Orks, Elfen, Untoten und Nagas inklusive der berühmten Ikonen wie Arthas, Uther, Thrall, Kel'Thuzad, Jaina, Tyrande und so weiter. In über 60 abwechslungsreichen Missionen müsst ihr eure Basis errichten, Angriffswellen abwehren, Ziele innerhalb eines Zeitlimits erfüllen, Verbündete retten und eskortieren oder die ehemaligen Einwohner von Lordaeron läutern. Kurzum: Es ist dieselbe epische Geschichte, die man kennt und liebt. Lasst euch also nicht einreden, dass die Kampagne Müll ist. Sie wird einfach nur nicht den Erwartungen der alten Hasen gerecht, die etwas Neues sehen wollten.

Kommen wir zur zweiten wichtigen Hälfte einer guten Überarbeitung: Verbesserungen am Spiel selbst. Hier hakt es leider ganz gewaltig, insbesondere in der Mehrspielerabteilung. Einige wichtige Neuerungen und Verbesserungen, die man erwartet oder sich gewünscht hätte, gibt es nicht. Und noch viel gewichtiger: Viele Funktionen des original Warcraft 3 fehlen aktuell schlicht, also Dinge, die Classic-Spieler bis vor kurzem noch problemlos genießen konnten. Im Detail ließe sich hier eine lange Liste aufstellen, aber reduzieren wir es mal auf die dramatischsten Punkte:

  • Bessere Spielstabilität: Die von Blizzard gehosteten Spiele laufen zwar auch hier und da mal mit einem Lag, aber im Großen und Ganzen absturzfrei. Was zugegebenermaßen der kleinste Nenner ist, aber gut. Spielt ihr dagegen eine eigene Multiplayer-Partie auf einer eigenen Map, sind Lags deutlich öfter zu spüren und ein asynchroner Ablauf kann auch schon mal passieren, ganz so, als wäre das noch die Beta.
  • Es gibt bislang keine Cross-Region Spiele, es kann also mitunter auch mal ein wenig dauern, bis man Spieler findet. Das sollte aber eigentlich nicht allzu schwer zu beheben sein.
  • Clans waren angekündigt, sollten 2020 auch verpflichtend sein, aber aktuell stehen sie nur auf der Liste der Dinge, die demnächst kommen sollen.
  • Eigene Kampagnen lassen sich nicht erstellen, was im Original durchaus möglich war. Man kann in WC3 Reforged immerhin schon eigene Maps basteln, an denen sich Blizzard nun, sehr zum Unmut der Ersteller, gleich mal die Rechte vorbehält. Wie vieles andere auch steht das auf der "Demnächst"-Liste.
  • Einstellbare Hotkeys. 2020 eine Selbstverständlichkeit für ein RTS oder so sollte man meinen. Hier wird es richtig altmodisch, wenn ihr im Editor eurer Wahl ein TXT bastelt, es in den Spieleordner schieben und in den Optionen einen Haken zum Importieren der Datei setzen müsst. Ganz richtig, so handhabt Warcraft 3 Reforged aktuell Custom Hotkeys. Sorry, diese Zeiten sollten vorbei sein. Immerhin gibt es grundsätzliche Funktionen wie Befehlsketten oder das Gruppieren von Einheiten auf Nummerntasten, auch wenn diese immer noch auf maximal zwölf Einheiten beschränkt sind.
  • Viele Battle.net-Funktionen wie beispielsweise die Chatbefehle, Kanäle und so weiter funktionieren einfach nicht. Mit Reforged sollte Warcraft 3 nun endlich aus Battle.net 1 in die aktuelle Version gehievt werden, aber das scheint aktuell noch ein laufender Prozess zu sein.
  • Ranglisten, ebenfalls ein zuvor vorhandenes und alles andere als unwichtiges Feature, sind zusammen mit korrektem Matchmaking, Infos über alles Mögliche und automatischen Turnieren als vermisst gemeldet und definitiv abwesend. Sie stehen auf der langen "Kommt-noch"-Liste.
  • Die alten Daten der Nutzerprofile mit den Siegen und Niederlagen sind anscheinend mit Battle.net 1.0 auf der Strecke geblieben. Für neue Spieler kein Drama. Für Leute, die seit mehr als 15 Jahren dabei sind … Es gibt sicher Psychologen, die diesen Leuten weiterhelfen können. Das oder ein Patch, der diese Historie rettet.
  • Und da gibt es noch einige mehr problematische Kleinigkeiten, die "Bakker" in einer schönen Textlawine im US-Forum zusammengefasst hat.

Falls ihr nun sagt: Ok, dann spiel ich halt WC3 Classic, dass Blizzard kostenlos zum Download anbietet, steht ihr vor einem weiteren Problem, denn den Classic-Client gibt es in seiner früheren Form nicht mehr. Jetzt müsst ihr euch WC3 Reforged laden und dann mit "Klassischen"-Grafikeinstellungen spielen, die zwar genauso aussehen, jedoch 30 GB nutzlose HD-Modelle und viele der oben genannten Probleme mit sich bringen. Das stößt gerade Langzeitspieler vor den Kopf, die WC3 einfach nur wie bisher weiterspielen wollen.


Um auch noch mal die Tragweite dieser Probleme klarzumachen: Blizzard hat bis zu Reforged kein schlechtes oder nicht poliertes Spiel veröffentlicht. Sicher, manchen Leuten passte nicht, wohin Diablo 3 ging, aber es war tadellos poliert und tat was es sollte und die Liste lässt sich lange fortführen. Nicht immer lieferten sie das, was alle - oder einzelne - haben wollten, aber als Produkt waren ihre Werke immer sehr poliert. Geht ihr die lange Historie zurück, wisst ihr wie weit man gehen muss, um ein schlechtes Blizzard-Spiel zu finden? Nun, das ist eine Trickfrage, es gibt keins.

Das WC3 Reforged Desaster hat auch lustige Aspekte zu bieten. Hier etwas Galgenhumor mit Warcraft 3 Refunded.Auf YouTube ansehen

Selbst unter dem Namen Silicon & Synapse in den frühen 90ern war jedes ihrer Spiele gut. Sicher, kein ewiger Meilenstein, aber RPM Racing, Lost Vikings und Rock'n'Roll Racing sind gute, polierte Spiele. Das war 1991. Irgendjemand bei Blizzard war der Meinung, dass man 29 makellose Jahre als Entwickler nun für ein Remake opfert. Niemand hat 30 makellose Jahre. Nicht mal Nintendo, niemand. Und wie es aussieht, wird es für lange Zeit so bleiben, nur weil jemand bei Blizzard der Meinung war, ein sicher nicht ganz fertiges Produkt muss jetzt raus. Bevor jetzt im Fazit ein paar wärmere Worte folgen: Ihr erlebt hier das Ende einer Ära.


WC3 Reforged hüllt einen RTS-Meilenstein in eine optisch aufpolierte Rüstung, die sich spielerisch im Solo-Spiel noch genauso gut anfühlt, wie anno dazumal. Es steckt hier immer noch viel Qualität in der Kampagne, mit der man sehr glücklich viel Zeit verbringen kann. Das kann nicht einmal dieser Release diesem Spiel nehmen.

Aber Warcraft 3 war eben mehr als eine schicke Kampagne und solide Maps. Dies sind nicht die Gründe, warum so viele Leute Warcraft 3 annähernd zwei Dekaden auf diversen Festplatten hatten und kommt man zu diesen Gründen, dann bricht die hübsche Fassade von Reforged in sich zusammen. Sicher, wenn ihr euch stur an die vorgegebenen Aspekte des Multiplayers haltet, bekommt ihr eine halbwegs solide Erfahrung. Bestimmt jetzt nicht der große Win für so ein Produkt, aber immerhin. Erneut, einer der wichtigsten Gründe fehlt hier oder grenzt an Unspielbarkeit. Die eigenen Maps und Kampagnen waren kein netter Bonus, sie sind das Herz der Langlebigkeit von Warcraft 3. Ohne dieses Feature wäre das Spiel sicher nicht über all die Jahre so aktiv und lebendig geblieben. Reforged, so wie es jetzt hier steht, nur für sich genommen, ist damit ein Spiel, dass die Leute ein halbes Jahr spielen würden, sich freuen und dann vergessen.

Blizzard sollte alles dransetzen, hier nachzubessern. Und das so schnell wie möglich, damit das hier nicht als der traurige Schlussstrich einer Legende in die Annalen des Gamings eingeht. "Warcraft 3 war eines für die Ewigkeit. Bis sie es noch mal verkaufen wollten. Danach war es ein nettes RTS für ein paar Abende. Bevor es vergessen wurde. Für immer." - Warcraft 3 ist eigentlich ein so großartiges, einzigartiges Spiel und es hätte in dieser Geschichte ein Happy End verdient. Man kann nur hoffen, dass Blizzard ihm dieses noch gönnt.


Entwickler/Publisher: Blizzard Entertainment und Lemon Sky / Blizzard Entertainment - Erscheint für: PC, Mac - Preis: ca. 30 Euro (Standard) bzw. 40 Euro (Spoils of War Edition) - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: Deutsch, Englisch, weitere Sprachen - Mikrotransaktionen: nein


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Markus Hensel Avatar
Markus Hensel: ist seit 2011 bei Eurogamer.de und schreibt Tipps, Guides, Artikel, Reviews und News. Spielt gerne Blizzard-Titel, MMOs, RTS, RPGs, Shooter und Co-ops.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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Warcraft III: Reforged

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