Wargame: European Escalation - Test
Strategie mit Verstand
Kann man StarCraft oder Command & Conquer als eher seichte Strategiekost bezeichnen? Gute Frage. Vielleicht im Angesicht solcher Titel wie eben Eugen Systems Wargame: European Escalation, das deutlich mehr Mikromanagement von euch verlangt, euch dazu zwingt, wesentlich mehr Faktoren zu beachten als in den genannten Titeln. In diesem Sinne ist es vielleicht etwas anspruchsvoller, taktischer und erfordert mehr Planung von euch, aber letzten Endes stolpert Wargame doch über so einige Dinge, die man hätte besser machen können, vielleicht sogar müssen.
Dinge, die man mit einigen Monaten mehr Entwicklungszeit hätte anpacken können. Zum Beispiel fehlende Komfortfunktionen, denn nur weil ein Spiel etwas mehr "Hardcore" ist als die populäreren Vertreter, heißt das ja nicht, dass man auf eine bequeme Bedienung verzichten muss. Das sind dann so simple Dinge wie Formationen, die schlicht und ergreifend nicht vorhanden sind. Etwas, das ein Total War seit Jahren bietet. Man könnte kleine, subtile Kreise beim Markieren einer Einheit einblenden, die die Feuerreichweite zeigen, aber man sieht es nur, wenn man eine gegnerische Einheit direkt ins Visier nimmt - vom übergroßen Zielcursor in dem Fall ganz zu schweigen.
Wie gesagt, es sind im Grunde Kleinigkeiten, sie sich in ihrer Gesamtzahl aber summieren und einen etwas faden Beigeschmack hinterlassen. Wargame könnte mehr sein, könnte schlicht besser sein - mit ein wenig mehr Zeit.
Grundsätzlich ist das Szenario gar nicht mal so uninteressant. Was, wenn der Kalte Krieg plötzlich nicht mehr so kalt ist? Aufgrund eines übergelaufenen DDR-Soldaten, bei dem Deutschland die Auslieferung verweigert, greift man die Bundesrepublik an und ihr müsst sie in der ersten von insgesamt vier Kampagnen aufhalten, bis ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde. Dabei wechselt ihr im Verlaufe der Kampagnen - die dann auch einige Jahre später spielen - munter die Seiten. Erst spielt ihr eben erwähntes Szenario aus der Sicht der NATO, dann kommt eine ebenso lange Kampagne des Warschauer Pakts und schließlich folgen noch zwei kürzere Feldzüge für beide Parteien. Letzten Endes kommt man so auf stolze 22 Missionen, die euch alleine schon mindestens zehn Stunden lang beschäftigen werden.
Das Problem der Kampagnen ist eher, dass alles irgendwie recht distanziert, trocken und emotionslos behandelt wird. Man erklärt euch die Aufgabe, ihr erledigt eure Arbeit, anschließend seht ihr die Einsatzstatistik und weiter geht es mit der nächsten Mission. Über einen Nachrichtenticker wird zwar erwähnt, dass Städte eingenommen oder verwüstet wurden, allzu viel merkt man davon aber leider nicht. So wirkt die ganze Geschichte eher wie ein Alibi, um für ein paar Gefechte auf europäischem Boden zu sorgen, wirklich motivierend ist die Story eher weniger und es fehlen irgendwelche Identifikationsfiguren.
Wer gerne eine große Auswahl hat, ist hier aber genau richtig. Es stehen tonnenweise Einheitentypen zur Verfügung. Die NATO greift auf das Arsenal aus den USA, Frankreich, Deutschland und Großbritannien zurück, auf Seiten des Warschauer Pakts ziehen Einheiten der Sowjetunion, DDR, Polen und Tschechoslowakei ins Feld. Mit dabei ist fast alles, was man sich wünschen kann: Aufklärer, Infanteristen, Panzer, Artillerie und dergleichen. Aber eben nur fast. Abgesehen von Helikoptern gibt es keine weiteren Kampfjets oder gar Bomber, Schiffe sind ebenso wenig Teil des Spielkonzepts.
Genau hier kommt dann das anfangs angesprochene Mikromanagement zum Zuge. Auch Wargame folgt dem üblichen Stein-Schere-Papier-Prinzip, das ihr ganz genau beachten solltet, bietet aber für jede Einheit schon weitaus mehr Details an als in anderen Strategiespielen, etwa zur Reichweite, der Genauigkeit, Feuerrate, der vorhandenen Munition und so weiter. Hier kommt dann ebenfalls die Logistik ins Spiel, denn eure Truppen wollen regelmäßig mit frischen Geschossen und Treibstoff versorgt werden, damit sie nicht mitten auf dem Schlachtfeld liegen bleiben oder die Besatzung ihren Gegner mit Steinen bewerfen muss. Dazu dienen einerseits auf den Karten verteilte Nachschubdepots, andererseits aber auch spezielle Nachschub-LKWs und -Helikopter, die eure Einheiten einsatzbereit halten und reparieren.
Allerdings nicht in uneingeschränktem Maße, auch die Depots und Nachschubeinheiten verfügen über ein Limit, bis sie trocken sind. Obendrein könnt ihr nicht unendlich viele davon über eure verdienten Befehlspunkte anfordern - die bekommt ihr regelmäßig durch die Eroberung von Sektoren. Irgendwann ist einfach Schluss und im Notfall müsst ihr dann schauen, wie ihr weiter klarkommt. Das sorgt dafür, dass ihr mehr auf eure Truppen acht gebt und sie nicht sinnlos als Kanonenfutter nach vorne preschen lasst. Dieses Limit gilt nämlich auch für andere Einheitentypen. Irgendwann gehen euch eben die Panzer oder was auch immer aus, selbst wenn ihr genügend "Ressourcen" für mehr hättet.
Dabei solltet ihr außerdem auf eine ausgewogene Zusammenstellung eurer Armee achten. Eine überlegene Anzahl Panzer mag euch vielleicht mal dabei helfen, eine Stellung zu überrollen, aber trefft ihr dann auf eine Gruppe Kampfhubschrauber, könnt ihr schon bald das Altmetall vom Feld aufsammeln. Das gilt wie gesagt für alle Einheiten im Spiel. Helikopter sind wiederum anfällig für Flugabwehr, die aber gegen Bodenfahrzeuge wenig ausrichten kann. Ihr kennt das Spielchen ja und hier geht man noch ein paar Schritte weiter. Während in vielen anderen Strategiespielen die meisten Schüsse praktisch immer ins Ziel treffen - Artillerie mal ausgenommen - geht hier oftmals auch was daneben. Gut, bei Soldatengruppen muss man jetzt nicht punktgenau zielen, aber nicht jeder Schuss bedeutet hier eben auch automatisch einen Treffer.
Was aber keineswegs heißt, dass diese nichts bringen. Bei starkem Beschuss können Einheiten schon mal "stunned" werden, bewegen sich also nicht mehr weiter, oder geraten bei zu starker Beschädigung kurzerhand in Panik und treten selbstständig den Rückzug an. Über diese Flüchtenden habt ihr dann keine Kontrolle mehr, bis sie sich wieder beruhigt haben. Obendrein kommt es vor, dass Treffer den Zielcomputer beschädigen, eine Einheit also kurzzeitig nicht zurückfeuern kann, je nach Untergrund springt schon mal eine Kette raus oder man kommt im Sumpf langsamer voran. Das alles wird direkt über der Einheit in einem kleinen Pop-up-Fenster angezeigt, inklusive der verbleibenden Dauer dieses Nachteils.
Leider agiert die KI nicht immer besonders clever. Regelmäßig wieder schickt sie vereinzelte Truppen los, die gegen eure gut befestigten Stellungen im Normalfall wenig ausrichten können. Es sei denn, ihr müsst einen bestimmten Punkt eine Zeit lang halten und seht euch sowieso mit einer gewaltigen Überzahl konfrontiert. Jedenfalls könnte der Computer cleverer agieren, als zum Beispiel immer und immer wieder zwei Helikopter zur selben Stellung zu schicken, die dann von der dortigen Flugabwehr mühelos vom Himmel geholt werden - als ob es keine anderen Möglichkeiten geben würde. Echte taktische Manöver sind überwiegend nicht zu beobachten. In den meisten Missionen wird Wargame so nur zur echten Herausforderung, wenn ihr euch wirklich dämlich anstellt und unüberlegt vorgeht.
Das Spiel verlangt dadurch aber dennoch eine gewisse taktische Finesse von euch, aufgrund der zahlreichen kleinen Details und des Mikromanagements noch mehr, als das in anderen Strategiespielen der Fall ist. Denkt nach, bevor ihr eure Truppen blind nach vorne schickt. Das gilt auch deswegen, weil sie Erfahrung sammeln, besser werden und euch in dieser verbesserten Form dann auch in Folgeeinsätzen zur Verfügung stehen können. Und irgendwann ist eben - wie bereits erwähnt - Schluss mit Nachschub, ihr könnt nicht unbegrenzt Truppen nachproduzieren, obwohl ihr die nötigen Ressourcen habt.
Dank der schon bei R.U.S.E. verwendeten Engine könnt ihr hier entweder sehr weit rauszoomen - seht das gesamte Schlachtfeld und die Sektoren - oder direkt bis runter auf den Boden. Ob man letzteres tun möchte, ist wiederum eine andere Frage. Fahrzeuge sind zwar schick detailliert, die Soldaten dafür umso weniger. Auch beim Flugverhalten der Helikopter stellt man sich in manchen Situationen die Frage, ob der Pilot möglicherweise betrunken ist. Viele Hügel haben schlicht Ecken, bei denen es dann kurz schräg nach unten bis zur nächsten Ebene geht, anstatt nahtlos und natürlich auszusehen. Die Sichtlinien funktionieren derweil manchmal korrekt (man sieht nicht durch Hindernisse hindurch), manchmal aber wiederum auch nicht.
Im Allgemeinen gilt: Durchaus nett anzusehen, aber nicht überragend. Es gibt reihenweise Clippingfehler und schickt man etwa Soldaten in ein Haus in Deckung, sieht man diese einfach nur an der Position des Hauses stehen, manche sogar noch außerhalb, obwohl sie eigentlich doch als in Deckung gelten. Die Explosionen hat man vor Jahren schon besser gesehen, ebenso manche Skyboxen. Außerdem kann man zwar die Wolken aktivieren, was sich nur aus sehr hoher Perspektive bemerkbar macht und auch eher ein kosmetisches Detail ist, ansonsten gibt es aber keine echten Wettereinflüsse. Was wiederum schade und verschenktes Potential ist, matschige Untergründe, schneller sinkende Moral und eingeschränkte Sichtweiten bei Regen hätten dem Spiel nochmal eine weitere taktische Komponente beschert.
Schlussendlich gibt es noch Botmatches, in denen ihr aber nur im 1vs1 gegen einen KI-Gegner antreten könnt. Online dürfen bis zu acht Spieler - vier Stück pro Team - auf die elf verfügbaren Schlachtfelder. Was die Siegbedingungen anbelangt, geht es entweder nach einem Zeitlimit oder dem Erreichen einer bestimmten Punktzahl. Diese Zähler gibt es für zerstörte Feinde, also ist auch im Mehrspielermodus Taktik gefragt. Unüberlegtes Vorgehen führt zur Vernichtung eurer Armee und vielen Punkten für den Feind. Das macht die Partien spannend und taktisch, hier liegt die wahre Stärke von Wargame. Zusätzlich habt ihr die Möglichkeit, abseits der Starterdecks eigene Armeezusammenstellungen für die Online-Schlachten festzulegen - die Auswahl ist schlicht und ergreifend riesig. Die dafür nötigen Sterne zur Freischaltung neuer Einheiten verdient ihr euch nicht nur durch Erfolge oder das Erfüllen bestimmter Aufgaben in der Kampagne, sondern ebenso in Multiplayer-Partien, etwa durch Levelaufstiege, eure Spielzeit und mehrere gewonnene Matches in Folge.
Wargame: European Escalation ist kein Strategiespiel, das man mal eben so zwischendurch spielt. Es erfordert Zeit zur Einarbeitung wie auch Zeit zur Umsetzung, Taktik und eine gute Planung, um nicht nur erfolgreich zu sein, sondern auch möglichst wenig Verluste zu erleiden. Das Stein-Schere-Papier-Prinzip funktioniert hier sehr gut und auch das Mikromanagement wurde ansprechend umgesetzt, allerdings mangelt es hier und da an Komfortfunktionen wie Formationen, die man mit mehr Zeit hätte integrieren können. Ebenso hätte mehr grafischer Feinschliff nicht geschadet und die Kampagne könnte etwas mehr Emotionen vertragen, anstatt das Ganze steril und trocken zu präsentieren. Im Gegensatz dazu präsentiert sich der Multiplayer-Part mit seinen taktischen und spannenden Gefechten als wahrer Star des Spiels. Wenn euch eine Solo-Kampagne also weniger interessiert, für euch allen voran das Gameplay im Vordergrund steht, ihr gerne online gegen andere spielt und über einige Makel hinwegsehen könnt, ist das sehr taktisch angehauchte Wargame dennoch eine Empfehlung.