Wargame: European Escalation - Vorschau
Kalter Krieg war gestern
Der Verlauf dieses einleitenden Geplänkels verdeutlicht: Anstatt ein simples Stein-Schere-Papier-System anzuwenden, simuliert Eugen Systems unterschiedliche Panzerungswerte für vorne, hinten und die Seiten der Einheiten und wirft zudem ein Moralsystem in die Gleichung. Wird der Stresslevel der Einheiten zu groß, suchen diese ihr Heil in einem kopflosen Rückzug und entziehen sich dabei jeglicher Kontrolle ihres Kommandeurs. Sie hören einfach nicht mehr auf euch. Auch, wenn ihr eine Feindestruppe also vielleicht nicht zerstören könnt, so könnt ihr sie doch immerhin mit einem gut ausbaldowerten Überraschungsangriff mit dem richtigen Kaliber durchaus von ihrer Position zurückdrängen. So zumindest die Theorie.
Dies Erobern, Verteidigen und Zurückdrängen wird wiederum durch die Einteilung jeder Karte in Sektoren wichtig. Kontrolliert ihr eines dieser Gebiete, beschert euch das Punkte. Mit diesen bestellt ihr euch je nach Gefechtssituation neue Truppen und - dringender noch - Verbrauchsgüter wie Sprit und Munition. Ein gestrandeter Panzer ist schließlich ein gefundenes Fressen für den Feind. Derartige Situationen sollte man auf jeden Fall zu verhindern suchen. Schließlich sammeln eure Einheiten im Gefecht Erfahrung und steigen auch nach und nach im Rang auf. Ihr könnt sie sogar von einer Mission mit in die nächste nehmen, wo sie euch vom Start weg mit höherer Zielgenauigkeit und Reaktionsschnelle unter die Arme greifen und sogar die Moral der weniger erfahrenen Einheiten in ihrem Verbund stärken. Hier dürfte man schnell eine Bindung mit seinen besten Einheiten aufbauen, was im Kampf dazu führt, dass ich euch zweimal überlegt, ob ihr euren besten Mann nicht doch besser aus einer brenzligen Situation zurückzieht.
Während ihr also zugleich Mikro- und Makro-Management sowie die globale Strategie im Auge behalten müsst, eröffnen sich durch die eingerichteten Nachschublinien jeder der beiden jeweils aus vier Ländern mit eigenen Truppentypen bestehenden Fraktionen weitere Optionen in der Schlacht. Eine scheinbar uneinnehmbare Befestigung bleibt nur so lange uneinnehmbar, wie sie auf euch schießen kann. Wer herausfindet, von wo der Nachschub heranrollt, kann die Munitionsvorräte des Feindes mit einer schnellen Eingreiftruppe zum Versiegen bringen.
"Als eine seiner Einheiten gestresst hereinfunkt, "where the hell did that come from?", kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen."
Packend gestaltete sich vor allem auch das Spiel mit den Sichtlinien, durch das ich in der einleitenden Beispielsituation so schnell Oberwasser bekam. Alexis Le Dressay, Studiogründer und Creative Director von Eugen Systems, demonstrierte im Rahmen seiner Präsentation das Spiel mit dem Sehen und Gesehenwerden sehr anschaulich, als er sich im Schutze eines schmalen Baumstreifens in Deckung begab, um auf einen etwa 300 Meter entfernt postierten Feind anzulegen. Kurz nachdem er das Feuer eröffnete, ratterten unvermittelt schwere MGs aus einem anderen Wald links auf seinen Trupp ein und begannen, vielleicht nicht unbedingt deren Gesundheit, wohl aber ihre Moral zu beeinträchtigen. Als eine seiner Einheiten gestresst hereinfunkt, "where the hell did that come from?", kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Versteckspiel geht also tatsächlich in beide Richtungen. Hier sollte nur noch etwas an dem Feedback und der Logik gearbeitet werden. Aktuell wird man selbst für Gegner, die auf der anderen Seite eines Waldes postiert sind, erst unsichtbar, wenn man komplett in den Grünstreifen dazwischen hineingefahren ist. Was mir nicht immer logisch erschien.
Wenn es um PR-Muskelspiele mit gewaltigen Einheiten- und Fraktions-Anzahlen geht, wird man immer schnell ein wenig misstrauisch. Eugen Systems will allerdings sicherstellen, dass die acht Nationen, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges mit insgesamt über 350 Einheitentypen protzen, nicht nur zur Breite, sondern auch zur Tiefe des Spieles beitragen. Selbst die vermeintlich schwachen Infanteristen, in vielen anderen RTS das schwächste Glied der Armee, sollen in diesem Krieg eine große Rolle spielen. In Häusern oder Waldstücken verschanzt, stellen sie selbst für Panzer eine große Bedrohung dar, sofern sie die passende Ausrüstung mitführen. Eine Artillerie kann hingegen aus der Ferne schon die Moral aufweichen, ganze Städte mit dem sich authentisch ausbreitenden Feuer vernichten, deren Rauch ebenso die Sicht behindert wie das dynamisch wechselnde Wettersysten.
Gerade online dürften unter diesen Vorzeichen ungezählte packende und unberechenbare Schlachten entbrennen. Was hier an Variablen und Mechanismen ineinander greift, spricht für eine Lernkurve, deren Ende man nicht so schnell zu Gesicht bekommen dürfte. Zudem will euch Eugen Systems mit einigen interessanten Ideen dauerhaft an das Spiel binden. Nach und nach steigt man zum Beispiel im Rang auf, was nicht nur das Ego streichelt, sondern es auch einfacher macht, im Netz einen geeigneten Gegner zu finden. Zusätzlich legt ein jeder Kriegsspieler eigene Einheiten-Decks an. Wie in einem Karten-Strategiespiel - man denke an Magic: The Gathering - schaltet man im Verlauf gezielt bessere Truppen frei und stellt sich ein Heer zusammen, mit dem man dann an die Front zieht. Hier könnte ein nicht zu unterschätzender Suchteffekt nach der optimal aufgestellten Armee entstehen.
Das nenne ich mal eine Überraschung. So wenig ich Wargame: European Escalation vor meiner Reise zum Event im beschaulichen Agathenburg auf dem Zettel hatte, so sehr machte mich doch mein Erstkontakt neugierig auf das fertige Produkt. Der Titel vereint offenbar elegant wie wenige andere globale Strategie mit packender Taktiererei im wirklich Allerkleinsten und sieht dabei noch richtig gut aus. Das Szenario ist ebenso unverbraucht wie bedrückend und der Zoom, aus mehreren tausend Metern Höhe bis an die Kotflügel der Kriegsmaschinerie heran, wird niemals alt. Mittlerweile gefällt mir sogar der Titel, der sich auf den ersten Blick noch so plakativ ausnahm. Wo es doch heißt, im Krieg sterbe als erstes immer die Wahrheit, klingt dieser Name gleich in mehrfacher Hinsicht erfrischend ehrlich.
Wargame: European Escalation erscheint im Februar.