Wargaming.net: "Unser größter Konkurrent war die Fussball-EM."
Was macht man, wenn man alles erreicht hat? CEO Victor Kislyi über die Zukunft von Panzern, Flugzeugen und Schiffen.
Wer den Erfolg auf seiner Seite hat, muss sich nicht in Bescheidenheit üben. Das spürt man auch jedes Jahr auf der Gamescom, wenn man an den riesigen Stand von Wargaming.net kommt und den Budenzauber bestaunt, den das Unternehmen auf die Beine stellt. Die Zahlen sprechen für sich: Aktuell 35 Millionen registrierter Spieler allein in World of Tanks und das Unternehmen hat kürzlich seinen Engine Entwickler und Plattform-Anbieter BigWorld gekauft, um autark zu werden. Gar nicht mal übel für ein Spiel, das erst im Oktober 2010 in Russland und im April 2011 in Nordamerika und Europa offiziell an den Start ging und mit dessen Erfolg wohl niemand in der Branche gerechnet hatte.
Dementsprechend zuversichtlich geben sich Wargaming.nets CEO Victor Kislyi und Tom Putzki, Director of Communications und Deutschland-Chef, im Gespräch. Vom kommenden Patch 8.0 erwarte man "einen ähnlichen Effekt auf World of Tanks, wie Cataclysm ihn auf World of Warcraft hatte."
Tatsächlich bringt der Patch eine komplett neue Render-Engine, die zum Beispiel auch realistische Wasser-Darstellung erlaubt, sowie verbesserte Beleuchtung und Texturen. Besonders interessant ist das geplante Physik-System. Die Panzer springen, rollen Abhänge herunter, wenn man sie rammt, oder werden von schweren Einschlägen erschüttert.
Aktuell läuft die geschlossene Beta von World of Warplanes mit bislang einer Million angemeldeter Spieler. Demnächst folgt eine zweite Welle von Einladungen, danach startet die offene Beta. Ende nächsten Jahres bis Anfang übernächsten Jahres sollen dann die Kriegsschiffe das Trio komplettieren.
Für die nächsten zwei Jahre werden die Entwickler laut eigener Aussage mit den Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen ausgelastet sein. Doch was kommt danach? Victor Kislyi muss bei dieser Frage nicht lange überlegen:
"Ein Sechsjähriger könnte aufzählen, was wir nach den Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen als Nächstes in Angriff nehmen könnten. U-Boote, Helicopter, Luftkissenboote, moderne Panzer, Flugzeuge und Schiffe oder Raumschiffe, Kampfroboter oder Fantasy-Zeug. Die Ideen sind nicht das Problem, sondern die Umsetzung."
Auf Infanterie verzichten die Macher prinzipiell, so vermeide man Blut, Verletzungen und sichtbare Tote. Was technisch und spielerisch nicht funktionieren würde, seien Crossover-Maps, auf denen zum Beispiel gleichzeitig Panzer herumfahren und Flugzeuge im Einsatz sind. Erstens seien die Karten der Flieger und Schiffe für Panzer viel zu groß. Panzermaps umspannen maximal einen Quadratkilometer. Fliegerkarten sechzehn mal sechzehn Kilometer. Maps für Schiffe sollen aller Voraussicht nach 25 Kilometer Kantenlänge haben. Zweitens sei es auch eine Frage des Balancings. Kein Panzer hätte eine Chance, sobald Fliegerbomben einschlagen oder er von der See aus mit schweren Geschützen bombardiert wird.
Stattdessen wird das Clanwars-System mit den kommenden Teilen erweitert. Aktuell können Clans auf einer Weltkarte im Browser Territorien erobern, besetzen und halten. Jede Stunde bekommen die Clan-Spieler für eigene Provinzen Prämiumwährung für den Cashshop gutgeschrieben und können ihre nächsten Schritte durchführen. Sobald die Flugzeuge und Kriegsschiffe dazu kommen, wird man in den einzelnen Ländern um die Übermacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft streiten. Sobald ein Clan die Lufthoheit oder die Seehoheit an der Küste errungen hat, kann der Panzerkommandant des Clans Luftschläge oder Artillerie-Salven von den Kriegsschiffen anfordern. Diplomatie in Form von Allianzen ist ebenfalls an Bord, sodass ein Clan mit besonders schlagkräftiger Luftstreitmacht einem anderen Clan mit besonders fähigen Panzerfahrern unter die Arme greifen kann.
Was denkt Kislyi eigentlich über die Konkurrenz? Machen Wargaming.net die zahlreichen Titel zu schaffen, die jüngst auf Free-to-play gewechselt haben?
"Ich glaube nicht, dass wir im Augenblick ernsthaft Konkurrenten haben. Unser größter Konkurrent war neulich die Fußball-EM. Während Deutschland spielte, waren plötzlich die Hälfte aller deutschen Nutzer weg."
Aber auch der Entwicklungsaufwand für ein gutes Free-to-play-Spiel sei Grund genug, weshalb es die Konkurrenten schwer hätten, so der CEO weiter.
"Um etwas wie World of Tanks am Reißbrett zu erschaffen, müsste eine Firma wahrscheinlich 100 bis 150 hervorragende Entwickler zusammenbringen, 20 bis 40 Millionen reinstecken und sie drei Jahre daran arbeiten lassen. Und danach müssten sie erst eine Publishing-Infrastruktur aufbauen. Manche Studios ziehen ihre Entwickler zugunsten neuer Projekte ab, sobald ein Spiel auf dem Markt ist. Das ist der falsche Weg. Man muss Leute einstellen, nicht feuern, denn mit dem Release beginnt erst die Arbeit. Bei uns sind derzeit ungefähr 1000 Leute beschäftigt, davon 400 in der Entwicklung und 600 im Service. Wir haben weltweit Abteilungen aufgebaut, darunter in Paris, Berlin, San Francisco, Soul, Singapur, London oder Sidney. Kurz gesagt: Wir haben die Ressourcen."
Ist es also nur eine Frage des Kapitals, ein erfolgreiches Free-to-play zu erschaffen? Was ist das Geheimrezept von Wargaming.net?
"Es gibt natürlich immer Ausnahmen und im Free-to-play-Bereich herrscht immer noch eine Stimmung wie im Wilden Westen. Da können fünf Studenten mit dem nächsten großen Zombie-Survival-MMO oder Angry Birds auf der Bildfläche erscheinen. Aber wir als Firma glauben, dass es beinahe unmöglich ist, ein Boxed-Game in ein echtes Free-to-play-Spiel umzuwandeln. Manche Studios denken, sie könnten erst ein Spiel entwerfen und dann ein Geschäftsmodell überstülpen. So funktioniert das nicht. Das Geschäftsmodell ist Teil des Spielkonzepts. Entwicklung und Publishing sind keine unabhängigen Bereiche, sondern müssen Hand in Hand gehen. Den Kunden interessieren diese Zusammenhänge nicht. Die Spieler wollen diesen Tank auf dieser Karte, und zwar sofort. Das umzusetzen, ist das Problem der Macher."
Die Aussage ist interessant, immerhin kann ich in World of Tanks die Karten oder Spielmodi nicht selbst bestimmen. Es gibt nicht einmal Bots, gegen die ich antreten könnte, um mal einen stressfreien Testlauf mit meinem Panzer zu starten. In World of Warplanes gibt es immerhin Kämpfe gegen Bots. Aber wie passt das zu Spielern, die "diesen Tank sofort auf dieser Karte" haben wollen?
"Nicht vergessen: Wir sind in Russland gestartet *lacht*. Die Russen brauchten keine blöden Bots, denen machte es einfach Spaß, einander zu schlachten. Dafür brauchen sie auch keine Tutorials. Anderswo erwartet man hingegen klug agierende Bots. In Amerika wünscht man sich zudem Tutorials und PvE. Und Asien ist wieder ein anderes Feld. Wir hatten über all diese Features nachgedacht, sie aber nicht umgesetzt. Jetzt allerdings sind wir gezwungen, uns anzupassen. Zum Beispiel wird das neue Tutorial bald erscheinen. Und die beiden neuen Mehrspieler-Modi Angriff und Begegnungsgefecht hatten wir kürzlich ohne die Möglichkeit eingeführt, zwischen den Modi zu wählen. Das war ein Fehler, den wir mit dem Update 8.0 korrigieren. Aber World of Tanks ist und bleibt ein PvP-Spiel," so Kislyi.
"Für große MMO-Entwickler ist es verführerisch, zu gescripteten Szenen und PvE zu greifen, aber das erfordert ein völlig anderes Konzept. Vielleicht passt das zu einem Spiel mit Abo-Modell, wenn man viel Zeit hat und stundenlang eine riesige Welt mit Hunderten Charakteren erforschen kann. Aber bei World of Tanks? Wir sehen einfach, dass hier PvP funktioniert. Und wir haben für uns das richtige Verhältnis zwischen kostenlos und kostenpflichtig gefunden. Sobald jemand die Spieler ausquetschen will, verlassen sie in Schaaren sein Spiel. Gibt man ihnen hingegen alles gratis, geht man bankrott. Man muss ihnen die richtigen Anreize bieten, ab und zu etwas Geld auszugeben und muss gleichzeitig das Spiel komplett gratis halten. Wir wissen, wie man das für Spiele wie World of Tanks, World of Warplanes und World of Warships hinbekommt. Was man bei Star Wars oder Hello Kitty anders machen müsste, wissen wir nicht. Danach haben wir auch nicht geforscht."
Wie sieht es mit dem Konsolen-Markt aus? Wäre es nicht verführerisch, die Reihe für aktuelle oder nächste Konsolengeneration umzusetzen? Kislyi gibt hier etwas Interessantes zu bedenken: Letztlich sei es weniger eine Frage des Mediums sondern eher eine Kosten-Nutzen-Rechnung.
"In Amerika, Kanada und England sind Konsolen das zentrale Spielmedium, daher behalten wir den Sektor genau im Auge und würden niemals etwas ausschließen. Technologisch stehen wir der Xbox dabei etwas näher. Ich sehe nicht, weshalb ein Free-to-Play-Panzer-MMO auf Xbox Live oder dem Playstation Network keinen Erfolg haben sollte. Aber ironischerweise sind die Nutzerzahlen, die man aus einer speziellen Version für Konsolen herausholen könnte, kaum höher als die Zahlen, die man durch Anpassungen und Marketing aus dem chinesischen Markt schöpfen kann."
Hätte das Spiel eigentlich mit einem anderen Grundthema genauso großen Erfolg gehabt? Zum Beispiel futuristische Panzer? Wie wichtig ist das historische Setting?
"Wir haben uns lange vor dem eigentlichen Release den Enthusiasmus der Geschichts- und Weltkriegswaffen-Fans zunutze gemacht. Die haben wir direkt in den Foren angesprochen und wir haben auch engen Kontakt zu Museen, Panzer-Liebhabern und Herstellern. Dadurch hatten wir schon einige Mundpropaganda in den richtigen Kreisen. Außerdem halfen uns solche Hardcore-Fans, indem sie uns auf alle möglichen Details an den Panzermodellen und Mechanismen aufmerksam machten."
Was fasziniert diese Leute derart an Panzern? Funktionieren Tanks als Spielzeug überall gleich gut, oder gibt es Märkte, in denen sich Wargaming.net schwer tut mit ihrem Konzept?
"Die Antwort ist einfach: Ja, es funktioniert überall. Und von wegen potenziell schwieriger Märkte: Deutschland ist unser erfolgreichster Markt außerhalb Russlands. Das sagt eigentlich schon alles."
Doch Kislyi belässt es nicht dabei. Um seine Aussage zu unterstreichen, zieht er plötzlich sein Smartphone hervor und zeigt mir stolz eine Video, wie er selbst in einem leibhaftigen 700 PS Tiger-Panzer herumkurvt und wie dann der Fahrer mit dem Ungetüm ein extrem haariges Einpark-Manöver hinlegt, das ich nicht mal mit einem Kleinwagen versuchen würde. Der CEO grinst:
"Egal wie alt wir Männer sind, welchen Beruf wir haben oder wie viel Geld wir besitzen: Im Inneren bleiben wir Jungs, die fasziniert in einem Spielzeugladen herumlaufen und die ganzen Plastik-Modelle bewundern. Die selbst Panzer, Flugzeuge und Schiffe basteln, bemalen und dann damit spielen. Wir geben den Leuten einfach nur eine virtuelle Umgebung, in der sie Panzer, Flugzeuge und Schiffe sammeln, an ihnen herumschrauben und sich noch tollere Modelle im Spiel verdienen können. Ich selbst hab 9000 Kämpfe in World of Tanks hinter mir und habe so ziemlich alle Panzer erspielt. Würde mir jemand 100.000 Euro für meinen Account geben, würde ich trotzdem ablehnen, denn diese Panzer hab ich mir erarbeitet und sie gehören mittlerweile quasi zur Familie."