Warum ich einfach nicht Wehrmacht spielen mag
Sie ist von den Nazis nicht zu trennen. So sehr manche Spiele das auch versuchen.
Im Test zu Steel Division: Normandy 44 habe ich in einem winzigen Absatz erwähnt, dass es mir recht übel aufstößt, wenn man in einem Computerspiel die Nazis spielen kann. In den Kommentaren zum gleichen Artikel sah ich mich dann konfrontiert damit, dass einige Leser mir vorwarfen, ihnen doch "politische Erziehung aufdrängen" zu wollen. Harmlosere Kommentare nannten den fraglichen Absatz schlicht einen "Schwachsinnskommentar". Nun habe ich mir zugegeben aus Bequemlichkeit die Teilnahme an dieser Diskussion selbst erspart - nur um jetzt wieder damit konfrontiert zu werden. In Sudden Strike 4 ist die Kampagne der Wehrmacht gleich die erste, mit der euch das Spiel auf den Weg schickt. Ihr steuert stolze deutsche Generäle durch den Zweiten Weltkrieg, in die Feldzüge gegen Polen und Frankreich und stets soll es dabei nur um deren militärische Leistung gehen. "Die Wehrmacht, die frisst sich durch die polnische Armee wie Butter", heißt es im Spiel. Und nach ein paar Missionen stand für mich fest, dass ich für dieses Spiel keinen normalen Test schreiben möchte und auch nicht wirklich kann.
Diesem Artikel sei vorweggenommen, dass ich keinem Entwickler an dieser Stelle etwas Böses unterstellen möchte. Weder die Franzosen, die Steel Division gemacht haben, noch die Ungarn, die Sudden Strike 4 gebastelt haben, wollten damit in irgendeiner Form die Wehrmacht oder die Verbrechen der Nationalsozialisten verherrlichen, da bin ich (ziemlich) sicher. Aber: Manchmal entspricht das Ergebnis einer Arbeit nicht der ursprünglichen Intention. Zumal: Die Debatte um die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ist wahrlich keine neue - siehe Nachrichten dieser Tage. Aber schon mit seiner Wehrmachtsausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944" trat das Hamburger Institut für Sozialforschung ab 1995 eine hitzige Debatte um die Kriegsverbrechen der deutschen Armee zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs los: die Wehrmacht als wichtiges Zahnrad in der Vernichtungs- und Expansionspolitik des Dritten Reiches. Demgegenüber steht eine verharmlosende Darstellung der Wehrmacht als "ganz normale" Armee wie jede andere auch, bestehend aus Soldaten, die mit den Nazis eigentlich genauso wenig zu tun haben wollten, genauso wie grob geschätzt 87,4 Prozent dieses Landes.
Nun wird ebendiese Debatte in Videospielen zwar nicht neu aufgemacht, mit solchen Titeln aber doch immer wieder mal mit Material angefüttert. Denn: Hier erscheint die Wehrmacht eben gerade nicht als verbrecherische Armee, die neben ihren "normalen Armeetätigkeiten" eben auch die Nazis bei der Durchführung des Holocaust und eines ungerechtfertigten Angriffskrieges unterstützt hat, sondern nur als Armee, die gleichberechtigt wie jene der Briten, der Amerikaner oder der Sowjetunion versucht hat, eine andere Armee auf dem Schlachtfeld zu besiegen - wie das in einem solchen Strategiespiel eben ist. "Diese Problematik der Verharmlosung hat es schon häufiger gegeben", sagt Patrick Schuchert M.A., Historiker aus Münster, der an einem Gymnasium Geschichte und Politik unterrichtet. "Allerdings ist inzwischen mehrfach nachgewiesen, dass die Wehrmacht oft in Zusammenarbeit mit SS, SD und Sicherheitspolizei an zahlreichen Kriegsverbrechen direkt und indirekt beteiligt war." Und: "Die Nazis lassen sich von der Wehrmacht nicht trennen, letztere war ab den 23. August 1934 auf Adolf Hitler als Person durch den sogenannten "Führereid" eingeschworen - und hat sich darauf auch nachträglich berufen, um sich von jeder Verantwortung freizusprechen."
Wenn wir also den Zweiten Weltkrieg betrachten und uns darüber bewusst sind, dass unterschiedliche Armeen hier unterschiedliche Rollen hatten, verbietet es sich im Grunde, diese in irgendeiner Form gleichzustellen. Wenn nun Spiele erscheinen, welche die Armeen des Zweiten Weltkriegs gegenüberstellen, ohne deren Rolle im Krieg in den historischen Kontext einzubinden, stimmt etwas nicht. "Die Macher des Spiels entziehen sich einem klaren Urteil, das man im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg eigentlich haben sollte", sagt Schuchert. Denn: Die Wehrmacht war in diesem Krieg der Aggressor, die Bürger der überfallenen Staaten meist ihre Opfer. Im Spiel erscheint das aber nicht so - in Sudden Strike 4 zum Beispiel erfreut sich an den organisatorischen Fähigkeiten der Nazi-Generäle, völlig außer Acht lassend, dass es auch sie waren, die mit den Möglichkeiten der Wehrmacht den Massenmord an den europäischen Juden unterstützt haben.
Und selbst wenn man im Kopf nun das Kunststück fertigbringt, den Zweiten Weltkrieg auf rein militärischer Ebene zu betrachten, bleibt doch ein heftiger Nachgeschmack - denn was nach der Invasion der Wehrmacht in den eroberten Ländern geschah, ist hoffentlich hinlänglich bekannt. "Nach der Wehrmacht kamen die Säuberungstruppen", sagt Schuchert und meint damit die Einheiten von SS, SD und Sicherheitspolizei, die sich im Windschatten der Wehrmacht bewegten und zum Beispiel nach der Eroberung der Ostgebiete - ab 22. Juni 1941 Unternehmen Barbarossa, der Überfall auf die Sowjetunion ohne formale Kriegserklärung - dafür sorgten, dass die ortsansässigen Juden entweder umgehend getötet wurden oder so bald wie möglich ins nächste Ghetto oder Konzentrationslager wanderten. Auch nicht zu vergessen sind die Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Zusammenhang mit dem sogenannten Partisanenkrieg und die dabei durchgeführte Ermordung unschuldiger Zivilisten, auch Frauen und Kinder. Ein bekanntes Beispiel ist das griechische Dorf Lyngiades, das am 3. Oktober 1943 durch deutsche Gebirgsjäger praktisch ausgelöscht wurde. "Ich würde mir wirklich wünschen, es gäbe mehr Spiele, die sich mit diesem Thema kritisch auseinandersetzen würden", so Schuchert.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob es denn negative Auswirkungen hat, wenn Entwickler ihrer historischen Verantwortung diesbezüglich nicht nachkommen. Alexander Waschkau, Psychologe aus Hamburg meint dazu: "Natürlich kann das unkritische Darstellen der deutschen Wehrmacht in Polen ein Zerrbild hervorrufen und eventuell die klare Sicht auf ein Kriegsszenario vernebeln". Grundsätzlich wollten Menschen wohl auf der Seite der Sieger stehen. So könne der Gedanke ins Leben gerufen werden, dass nicht alle Aktivitäten der Wehrmacht schlecht gewesen seien. Oder noch viel schlimmer: Dass der Angriffskrieg der Nazis eine gute Aktion gewesen sei. Noch wirksamer könnte ein solches Spiel für jemanden sein, der bereits einen Hang zum Rechtsextremismus hat: "Für jemanden, der bereits mit rechtsextremen Ansichten liebäugelt, ist ein solches Spieleszenario ein gefundenes Fressen und bestärkt die positive Sicht auf das Dritte Reich."
Ich möchte hier keine neue Killerspiel-Debatte aufmachen oder behaupten, solche Spiele seien dazu geeignet, uns als Gesellschaft in den Abgrund zu stürzen. Auch möchte ich nicht dafür plädieren, dass Videospiele mit solchen Inhalten verboten werden sollten. Allerdings stünde es Entwicklern gut zu Gesicht, sich ein wenig mehr mit jenen Szenarien auseinanderzusetzen, die sie für ihre Spiele benutzen. Ein Computerspiel allein reicht sicherlich nicht aus, um jemanden dazu zu bringen, den Zweiten Weltkrieg positiv zu bewerten", sagt Waschkau. "Aber es könnte ein Samen für ein falsches oder verzerrtes Bild sähen." Gerade das Nachstellen von realen Schlachten, bei denen der Spieler Bonusziele erreichen könne, wirke doch recht makaber, wenn man sich die entsprechenden Informationen und Todeszahlen zu diesen Gefechten vor Augen führt.
Also, was bleibt mir über Sudden Strike 4 zu sagen? Das Spiel ist schwer, ihr müsst die üblichen WW2-Geschichten erledigen, Brücken sprengen und so. Es gibt zahlreiche Einheiten, die alle eigene Eigenschaften haben, bestimmte herausragende Taktiken werden belohnt, Mikromanagement ist wichtiger als Makromanagement: Ihr müsst Verwundete heilen, eure Panzer nachtanken und am Ende erhaltet ihr eine Bewertung von euren Generälen, die wiederum dafür sorgt, dass ihr in den nächsten Missionen mehr Material zur Verfügung habt - beispielsweise mehr Handgranaten. Insgesamt wirkt das Spiel manchmal schon arg kleinteilig, zumal die KI und ihre schwachen Wegfindungsroutinen dabei auch nur wenig helfen.
Indem ich mich selbst der Illusion hingebe, das Szenario von Sudden Strike 4, der Krieg zwischen den Alliierten und den Achsenmächten, sei auch nichts anderes als der Kampf zwischen GDI und NOD oder zwischen Horde und Allianz, begehe ich den gleichen Fehler wie die Entwickler. Sie ordnen militärisch möglicherweise interessante Schlachten eben nicht in einen historischen und politischen Kontext ein. Ich bin nicht in der Position, das zu verlangen, aber ich kann wohl sagen, dass mir unwohl dabei ist, wenn es geschieht. Und beim besten Willen, ich möchte niemandem den Spaß an Spielen wie diesem verderben, noch würde ich irgendwem einen Vorwurf machen, der diese Spiele gern konsumiert. Ich möchte hier nur einmal in aller Ausführlichkeit erklärt haben, warum solche Spiele bei mir nahezu körperliches Unwohlsein auslösen.
Was bleibt: Möglicherweise die allzu unangenehme, aber umso wichtigere Erkenntnis, dass die Darstellung der Nazi-Armee im Zweiten Weltkrieg für mich absolut nie zu einem befriedigenden Erlebnis führen kann. Ein Spiel, das den Zweiten Weltkrieg beinhaltet, ihn aber von seiner politischen Dimension und von sämtlichen Aspekten des Nazi-Vernichtungskriegs befreit, mag zwar, rein aufs Gameplay reduziert, ein Gutes sein, es macht sich aber dennoch schuldig. Der Zweite Weltkrieg ist mit Kriegsverbrechen und Holocaust historisch untrennbar verknüpft. Und wer voller Detailverliebtheit für Panzer und Artilleriegeschütze vom Krieg redet, die Vernichtungspolitik aber ausblendet, der riskiert langfristig, dass letztere in Vergessenheit geraten. Ich finde, das sollte nicht passieren.
Und wer einfach nur den "Totalen Krieg" möchte: Es gibt eine moralisch unbedenkliche und rein vom taktischen Gameplay nicht minder hochwertige Alternative, schaut doch heute mal ab 16:00 Uhr hier vorbei.