Was Crime Boss: Rockay City ist? So richtig sicher bin ich da selbst noch nicht
Auf jeden Fall ist es kein GTA-Klon. Das ist ja schon mal was.
Auf meinen ersten Anspieltermin zu Crime Boss: Rockay City war ich wirklich gespannt. Cover-Artwork, Name und Retro-Miami-Flair erinnern an ein Grand Theft Auto, dazu reichlich halbstarke Gangsterattitüde, die sich am hohen Durchschnittsalter der namhaften Darsteller von Michael Madsen bis Kim Basinger reibt. Wie sich herausstellt, sollte man eher in Richtung Payday denken, wenn man den Namen “Crime Boss” hört, auch wenn es nicht nur Heists geben und der Solo-Modus “Baker’s Battle” das Filetstück des Spiels darstellen soll.
Den konnte ich aber leider nicht anspielen, sondern nur den Koop-Modus Urban Legends, in dem man eine Serie an Missionen zu viert erledigt, die durch kurze Zwischensequenzen zu einer Geschichte verbunden sind. Vorweg: Keiner der Filmchen war besonders aufwendig, fast immer handelte es sich um Dialogszenen in schwer vertrauten Innenräumen, die Schauspieler wirkten bisweilen desinteressiert (insbesondere Basinger) oder kaum erkennbar (Madsen) und Performance-Capture war vermutlich nicht im Einsatz.
Überhaupt: Wie kommt man auf diesen Cast? Chuck Norris ist so lange ein lustiges Meme, bis man seinen rechtskonservativen, christlich-fundamentalistischen Twitter-Kanal entdeckt. Und von Danny Glover bis Vanilla Ice denkt man häufig eher an die Direct-to-Video-Massenware, die man sich nur anschaut, wenn man einen gutgehenden Reaction-Channel auf Youtube betreibt, der davon lebt, dass man solche Stangenware-Streifen möglichst wortgewandt und restlos in der Luft zerreißt. Das hohe Durchschnittsalter der Schauspieler wirft auch die Frage auf, für wen Crime Boss eigentlich sein will: Spielen Leute, die diesen Cast noch kennen, überhaupt Shooter mit großem Koop-Anteil? Aber dass wir die Identitäts- und Richtungsfrage zu Crime Boss vor der Veröffentlichung wohl nicht mehr beantworten werden können, hat wohl schon der Titel dieses Artikels gespoilert.
Das Gute daran: Wenn das Spiel gut ist, ist der Story-Unterbau komplett egal. Schade, um das verschwendete Geld – auch wenn Trash-Fans sich an diesen Szenen vielleicht ergötzen werden –, aber sie sind letztlich so schnell weggedrückt, dass sie sich kaum bemerkbar machen. Was ich jedenfalls spielte, waren gut zwei Stunden von ebendiesem Urban Legends Modus, in dem es diverse Punkt-zu-Punkt-Abschnitte gegen Wellen von Gegnern gab, bei denen man sich Drogen, Geld und andere Dinge unter den Nagel reißen sollte. In Sachen Spielfluss ein Mix aus Payday und Left 4 Dead, wenn ihr so wollt.
In einer Mission stand der Abschuss eines gegnerischen Gangsters auf dem Programm, der sich dank seiner langen Lebensleiste von der ersten Location – einer Strandbar – in eine Fußgängerunterführung und schließlich in den Innenhof eines Wohnkomplexes retten konnte. Ein andermal griffen wir ein Lagerhaus an und sollten Kisten zertrümmern, bis wir alle Drogen der Konkurrenz geborgen hatten, um die Taschen dann zum Fluchtfahrzeug zu schleppen. Die Planung und das taktische Vorgehen beschränken sich dabei auf die Wahl des Verbrechers, den man spielen will – und der dann ein eigenes, festes Waffen-Loadout und individuelle Perks mitbringt. Und natürlich die Frage, wie lange man versuchen will, unentdeckt zu bleiben. Da es eigentlich fast immer auf eine Schießerei am Schluss hinausläuft und nicht jede Figur eine schallgedämpfte Waffe mitführen kann, halte ich die Stealth-Bereitschaft im Koop insbesondere mit Fremden für überschaubar.
Von wie vielen Leuten kann man schon erwarten, dass sie die Füße stillhalten, während der Spieler, der den Gangster Tulip mit seiner Silenced 9mm spielt, den Weg für sie freiräumt. Es gibt zwar auch Wurfmesser, die man als Gadget wählen kann, aber auch die stehen nach allem, was ich gesehen habe, nicht jeder Figur frei – und wie viel sie nützen, wenn am Schluss das schwer gepanzerte Gesetz anrollt, ist mehr als fraglich. Spätestens hier wünscht man sich dann, Granaten mitgenommen zu haben. Gut möglich, dass mich das finale Spiel Lügen straft, aber zumindest in den Urban Legends schien mir der Gestaltungsspielraum beim Vorgehen eher beschränkt.
Was – wiederum – nichts macht, wenn man denn Spaß beim eigentlichen Koop-Ballern hat. Und ja, wenn man gut harmoniert, seinen Kollegen aufhilft, wenn sie niedergestreckt wurden und man das Gefühl hat, eine gute Aufgabenteilung hinzubekommen – Säcke tragen, Feuerschutz, flankieren –, funktioniert das schon ganz gut. Ich kam zwar mit dem Gunplay und Movement nicht so besonders gut klar (ist da Mausbeschleunigung auf dem Cursor, die ich nicht abstellen kann, oder ist das nur eine Kuriosität in der Art, wie die Kamera sich bewegt, um den Eindruck körperlicher Bewegung zu erwecken?). Sich hinter Deckung zurückzuziehen und daraus hervorzuschauen, gelang mir nie flink genug, aber die regenerierende Gesundheit war da zum Glück nachgiebig. Auch schluckten Umgebungsobjekte häufig Kugeln von mir, die ihr Ziel eigentlich hätten treffen müssen. Das war bisweilen unbefriedigend.
Wie immer gilt also: Zusammen macht alles mehr Spaß und das Design der Missionen, bei dem am Ende immer die Flucht in einem entfernt geparkten Fahrzeug anstand, gefiel optisch durchaus. Nicht unbedingt, weil es technisch brillant wäre, da schien das Spiel noch etwas unrund und grob. Aber ich mochte es, mich durch dieses das 90er Jahre Echtweltszenario von A nach B zu schießen. Ich bin nicht sicher, inwieweit es motiviert, diese Geschichten häufiger zu spielen. Und in den Missionen war ich mir selten akuter Risiko-Nutzen-Abwägungen bewusst, wenn es darum ging, wie gründlich ich bei den Raubzügen vorgehen soll. Zumal am Ende nur Sterne und Punkte (in Form von Dollar) locken, mit denen man sein Arsenal und Personal erweitert. Aber auf grundlegender Ebene hat das schon funktioniert.
Trotzdem muss ich sagen, ich habe ich schon Besseres und vor allem Griffigeres gespielt und die Antwort auf die Frage, wie das im Solo-Modus besser werden soll, blieb der Termin mit einer lediglich losen Beschreibung schuldig. Klar ist, in Baker’s Battle wird es mehr Zwischensequenzen geben, während derer man hoffentlich kein Schämkissen griffbereit halten muss – sehr gut möglich, dass dieser Modus von den Autoren mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt bekam – kommt hier auch eine Planungs- und Management-Komponente ins Spiel. Den Entwicklern zufolge soll dieser Modus eine hohe Wiederspielbarkeit aufweisen.
Warum? Nun, auf einer Stadtkarte von Rockay City soll man sich zum Crime Boss hochräubern und kommt dabei mit anderen Gangs um die einzelnen Bezirke in Konflikt, aber welcher das als Nächstes ist, entscheidet zum Teil wohl ihr. Unterdessen werden wohl die Missionsziele und die Natur des Beefs mit den anderen Kartellen variieren und je mehr Spuren man hinterlässt, umso dichter sitzt einem das Gesetz in Form von Chuck Norris im Nacken. Wie genau das mit dem “keine Spuren hinterlassen” in einem derart Action-reichen Titel klappen soll, lässt sich bisher nicht sagen, aber ich bin gespannt. Außerdem habt ihr immer andere Komplizen, die ebenfalls eigene Hintergrundgeschichten haben, die ihr zum Teil in linearen, typischeren Shooter-Leveln erlebt. Übersteht eine Figur diesen Level nicht – so habe ich die Beschreibung zumindest verstanden – kann sie auch nicht zur Crew hinzustoßen. Das ist potenziell eine interessante Mechanik, auch wenn sich Crime Boss’ Mechaniken in einem geradlinigen Baller-Umfeld noch beweisen müssen.
So oder so: Am Ende entscheidet ihr wohl, ob ihr einen Einsatz allein angeht, oder dafür Komplizen anheuert. Je nachdem fällt die Mission schwieriger und die Belohnung womöglich höher aus. Die Zahl der Leben von Baker und seinen Leuten ist aber begrenzt ist – sind alle aufgebraucht, stehen sie für diesen Durchlauf durch die Story nicht mehr zur Verfügung, ist Baker hinüber, fangt ihr noch mal von vorn an. Unklarheit herrscht auch darüber, ob die Bots, die euch dabei begleiten sollen, gut genug funktionieren, dass man sich nicht ständig nach Koop-Partnern sehnt. Wir werden sehen, jedenfalls soll Baker’s Battle dann mit jedem Versuch, zum Crime Boss aufzusteigen, ein bisschen anders sein. Sagt Roguelite dazu, oder lasst es. Es gab schon vor Spelunky und Rogue Legacy Spiele, die man mehrfach und auf dezent andere Arten zocken konnte. Das waren nur selten Action-Titel.
Ach, und über den dritten Modus, Crime Time, müssen wir erst mal nicht reden, denn das ist gewissermaßen die Kurzversion der Urban Legends.
Worüber wir aber reden müssen, ist erneut die Frage, wohin sich das alles entwickeln soll? Das Messaging des Spiels weckt Eindrücke, die entweder am Spiel vorbeigehen – “GTA mit Schauspielern?” – oder nicht gerade schmeichelhaft sind. Den einer B-Produktion zum Beispiel, die mit bekannten Gesichtern zu Impulskäufen verleiten soll – und Ende 2023 in “So schlecht, dass es schon wieder gut ist”-Listen auftauchen könnte. Das bedeutet nicht, dass am Ende in Crime Boss: Rockay City nicht doch ein vollkommen valider, spaßiger Koop-Titel steckt – im Gegenteil, Spaß hatte ich hier auch, zumindest die zwei Stunden lang –, aber ich weiß nicht, ob er es so einfach haben wird, seine Zielgruppe zu finden.
Er existiert ja auch nicht im Vakuum: Im Koop geht Payday, dessen dritter Teil noch dieses Jahr kommen soll, mehr in die Vollen. Im Solo-Modus haben andere Spiele solidere Shooter-Mechaniken, einen Cast, der sich in Games wohler fühlt – und auf Bots sind die meisten auch nicht angewiesen. Immerhin: Das Spiel verspricht Planung, durch die man sich die Polizei vom Leib hält, und das macht neugierig. Kurzum: Ich kam schon mit einem klareren Bild aus einem Event als hier, kann dem Titel eine gewisse Faszination nicht absprechen. Crime Boss macht es auf jeden Fall spannend.
Entwickler: Ingame Studios – Publisher: 505 Games – Plattformen: PC (Epic), PlayStation 5, Xbox Series S/X – Release: 28. März 2023 – Genre: Shooter