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Was die nächste Generation von Earthbound lernen kann

Und wieso die Veröffentlichung auf der Virtual Console ein wichtiges Ereignis ist

Vergangene Woche veröffentlichte Nintendo Earthbound auf der Wii U Virtual Console. Viele von euch wundern sich wahrscheinlich, warum man dieses Ereignis würdigen sollte. Warum ist gerade Earthbound solch ein spezieller Fall, dass man eine simple Veröffentlichung auf ein hohes Podest stellen muss?

Die Antwort auf diese Frage ist mit der Erklärung einiger Hintergründe verbunden, die sich nicht einmal wirklich auf die Qualität des Spiels beziehen. Es geht eher um die Beziehung zwischen Nintendo, Earthbound und seinen Fans. Lasst mich also die Zeit ein wenig zurückdrehen und im Jahr 1989 beginnen, als der Titel Mother in Japan für das Famicom erschien. Nintendo wollte Mother unter dem Namen Earthbound auch in den Westen bringen. Obwohl sogar ein Prototyp mit einer komplett übersetzten Version existierte, stoppte man den Versuch einer westlichen Veröffentlichung, da bereits das SNES in den Startlöchern stand. Außerdem waren japanische Rollenspiele noch immer ein riskantes Genre für Nord Amerika sowie Europa.

Stattdessen wartete Nintendo auf Mother 2, das man erneut Earthbound nannte und dieses Mal mit einer großen Marketing-Kampagne in Nord Amerika auf den Markt brachte. Leider blieben die Verkaufszahlen stark unter den Erwartungen zurück. Gerade einmal 75.000 Exemplare wanderten im ersten Jahr über die Ladentheke, weswegen es Earthbound wohl nie nach Europa schaffte. Auch wenn Werbesprüche wie "This game stinks!" oder "It's like living inside your gym shoes." grauenhafte Ideen waren, lag der Misserfolg sicherlich ebenso am mangelnden Appeal des Spiels. Immerhin begann der richtige JRPG-Boom erst kurze Zeit später. Und selbst wenn das Genre zu dieser Zeit beliebter gewesen wäre, hat Earthbound auf den ersten Blick wenig mit Final Fantasy, Chrono Trigger oder Secret of Mana zu tun, die alle Fantasy-Welten als Setting bieten. In Earthbound wandert ihr dagegen mit normal erscheinenden Kindern durch eine zwar verrückte, aber dennoch an der modernen Realität orientierten Welt.

Earthbound Zero entstand aus dem englischen Mother-Prototypen durch die harte Arbeit eines Fans.

Nintendo hatte sich an dem Titel die Finger verbrannt und wollte keine weiteren Risiken eingehen. Für sie stand nun fest, dass die Serie im Westen keinen Erfolg hat und ihn wohl auch nie haben wird. Exakt diese Engstirnigkeit ist der Grund für den später folgenden Disput zwischen Fans und der japanischen Traditionsfirma. 2003 erschien in Japan ein Bundle für den GBA mit beiden Mother-Teilen. Während dem Release erschien am Ende einer Werbung die Ankündigung zu Mother 3. Ebenfalls für den GBA. Natürlich entbrannte im Internet sofort der Wunsch nach einer Portierung für den Westen. Hauptsächlich auf der Seite starmen.net, die über den Verlauf der nächsten Jahre für große Petitionen verantwortlich war, in der sie Nintendo um eine Veröffentlichung im Westen baten.

Nintendo sorgte durch nicht vorhandene Reaktionen darauf für einen eher einseitigen Dialog, was bei den Fans verständlicherweise für immer stärkeren Frust sorgte. Schlussendlich bildete sich ein Team professioneller Übersetzer, die für Mother 3 eine englische Version erstellten. Man bittet die Spieler auf der offiziellen Seite weiterhin darum, sich ein originales Modul zu importieren. Sie boten Nintendo sogar an, ihre Übersetzung für eine offizielle Version zu verwenden. Doch auch hier blieb der Konzern still. Wenigstens wollen sie das Projekt nicht entfernen, was ihre Schweigsamkeit jedoch nicht wirklich ausgleicht. Es erscheint nach außen daher, als würde sich Nintendo seit Earthbounds katastrophalen Verkäufen die Finger in die Ohren stecken, sobald das Spiel erwähnt wird.

Nintendo hatte sich an dem Titel die Finger verbrannt und wollte keine weiteren Risiken eingehen.

Woops!

In den frühen Tagen der Virtual Console entstand ein ähnlicher Zwiespalt. Fans schrien nach einer Portierung, während Nintendo den Wunsch ablehnte. Anscheinend gäbe es rechtliche Probleme wegen Musiklizenzen, da viele Lieder im Spiel stark an bekannte Songs angelehnt seien. Doch selbst in Japan erschien es nicht auf dem Service, obwohl man das Spiel weiterhin auf dem GBA zusammen mit dem ersten Mother vertrieb.

Zum Thema existieren wesentlich mehr Informationen, falls ihr euch dafür interessiert. Die kurze Zusammenfassung ist bloß ein grober Umriss der Geschichte, wegen der die plötzliche Veröffentlichung von Earthbound auf der Wii U Virtual Console so verdammt wichtig ist. Auch wenn Serienschöpfer Shigesato Itoi keinen vierten Teil entwickeln möchte, existieren noch immer zwei im Westen unveröffentlichte Spiele der Serie. Möchte Nintendo also endlich einen zweiten Anlauf starten und schauen, ob nun, 20 Jahre später, ein größerer Markt existiert? Zumindest erweckt es neue Hoffnungen auf ein ähnliches Schicksal für Mother 3.

Faszination für eine neue Generation

Aber es bleibt für Personen, die bisher keinen Kontakt mit Earthbound hatten, schwer nachvollziehbar, warum die Serie einen so hohen Stellenwert bei Fans hat. Genau hier ist der Vergleich mit der aktuellen Generation von Spielen bedeutsam, um den Charme zu verdeutlichen. Denn auch heute bleibt Earthbound ein für sich einzigartiges Spiel, mit dem sich nur wenige Titel in kleinen Ansätzen vergleichen lassen. Dadurch wirken sogar jetzt viele Aspekte von Earhbound frisch und unverbraucht.

Auch heute bleibt Earthbound ein für sich einzigartiges Spiel, mit dem sich nur wenige Titel in kleinen Ansätzen vergleichen lassen.

Wunderschön und dennoch verständlich, falls euch der Stil nicht gefällt.

Da wäre direkt zu Beginn das Setting des Spiels. Ein Rollenspiel, in dem ihr eine Truppe aus Kindern steuert. Und damit meine ich nicht Teenager wie in Persona. Nein, es handelt sich um kleine Strolche, die zur Rettung der Welt auserwählt wurden. Zwar besitzen drei der insgesamt vier Recken psychische Kräfte, doch sind es weiterhin Kinder, was das Spiel in seinen Mechaniken reflektiert.

So benutzen sie abseits ihrer mentalen Fähigkeiten alltägliche Gegenstände als Waffen. Ein Baseballschläger, Yo-Yos oder eine Bratpfanne, die ihr ganz normal im Laden kauft. Zudem erleiden sie Statusveränderungen, die mehr an reale Erscheinungen gebunden sind. Beispielsweise kann Protagonist Ness Heimweh bekommen, zu dessen Heilung er seine Mutter zu Hause anruft. Solche Dinge lassen die Figuren und die Welt realer wirken und geben ihr eine Bedeutung, die selbst eine lebensechte Optik nicht erreicht. Es ergibt Sinn, dass ein kleiner Junge Heimweh bekommt, wenn er das erste Mal ohne Eltern seinen Heimatort verlässt.

Dieser Ansatz von Realitätsbindung zieht sich durch das gesamte Spiel. Anstatt normaler Heiltränke nehmt ihr verschiedene Speisen zu euch. Ihr könnt sie sogar mit unterschiedlichen Gewürzen oder Saucen kombinieren, um zusätzliche Effekte auszulösen. Geld nach Kämpfen erhaltet ihr nicht direkt. Ihr müsst zunächst an einen Bankautomaten, um an euer Konto zu gelangen. Hierauf überweist euer Vater Taschengeld als Belohnung für erfolgreiche Gefechte. Solche Ideen sieht man heute fast gar nicht. Eine Weiterführung oder gar Entwicklung davon fehlt komplett.

Es ergibt Sinn, dass ein kleiner Junge Heimweh bekommt, wenn er das erste Mal ohne Eltern seinen Heimatort verlässt.

Shigesato Itoi. Danke für dieses Spiel.

Gleiches gilt für das Kampfsystem, aus dem nur wenige Elemente beispielsweise in der Persona-Serie übernommen wurden. Nur der Wegfall von zufälligen Kämpfen auf der Oberwelt sickerte über die Jahre im Genre durch. Doch Earthbound ging noch einen Schritt weiter. So rennen Feinde vor euch weg, falls ihr einen zu hohen Level erreicht habt. Solltet ihr sie trotzdem berühren, gewinnt ihr den Kampf automatisch und dürft weitergehen. In den Auseinandersetzungen selbst zeigt ein rundes Odometer eure Statuswerte an. Kassiert ihr einen Treffer, rollen eure HP sprichwörtlich zurück. Währenddessen geht der Kampf weiter und ihr könnt den Fall eurer Lebenspunkte sogar durch rechtzeitiges Heilen aufhalten. Durch diese Technik lässt sich bei späteren Bossen der ansonsten sichere Tod für einen Charakter umgehen. Warum wird an solchen Mechaniken nicht mehr gearbeitet? Es kann doch nicht sein, dass innerhalb von 20 Jahren niemand ähnliche Ideen in sein Spiel einbauen konnte.

Lachgefahr

Das ganze System trifft auf eine ziemlich verrückte Welt, die ihre wahnwitzige Wirkung gerade wegen des realistischen Ansatzes erreicht und darin brilliert. Earthbound hebt durch den Kontrast seine Umgebung, Charaktere und Feinde noch stärker hervor, ohne euch dabei ständig daran erinnern zu wollen, wie bekloppt es ist. Ein modernes Spiel, das davon stark profitieren würde, ist Borderlands 2. Der Titel ging mir nach einiger Zeit auf die Nerven, weil es zwingend lustig sein will, vor unnötigen Referenzen fast explodiert und seine wirklich großartigen Momente dadurch im restlichen Dialogbrei absenkt.

Das ganze System trifft auf eine ziemlich verrückte Welt, die ihre wahnwitzige Wirkung gerade wegen des realistischen Ansatzes erreicht und darin brilliert.

Ihr startet das Spiel alleine mit Ness und sammelt eure Mitstreiter in den späteren Gebieten.

Der wahre Humor entsteht, wenn wir übertriebene Szenarien in eine reale Umwelt packen und zwischendurch Pausen einbauen. Eine Weisheit, die Earthbound nicht besser demonstrieren könnte. Und auch heute sind die besprochenen Themen relevant. Startet Borderlands 2 in ein paar Jahren erneut und seht dann, wie gut die Anspielung noch funktionieren. Gleiches gilt für viele moderne Spiele, die meinen, mit ihren "LOL, so random"-Momenten unglaublich lustig zu sein. Zumal Earthbound neben seinen aberwitzigen Situation vollgepackt ist mit ernsten Konversationen, die man in dieser Qualität eher selten zu Gesicht bekommt. Ein unglaublicher Balanceakt.

All diese Eigenschaften machen Earthbound zu einem großartigen Erlebnis, das in diesem Fall seinen Status und die aufopfernde Fanbasis verdient hat. Und viel mehr Entwickler sollten es sich als Vorlage nehmen und näher betrachten. Die Art und Weise in der Shigesato Itoi seine Welt erschuf, bleibt einmalig in ihrer Darbietung. Es gibt keine Garantie dafür, dass euch Earthbound gefallen muss. Vielleicht ist es gerade das reale Setting, das euch stört. Oder eine andere Kleinigkeit, die ich unmöglich vorhersagen kann.

Trotzdem sollte jeder, bei dem ich auch nur einen Hauch Interesse wecken konnte, Earthbound ausprobieren. Und bitte kommt mir jetzt nicht an und sagt, dass euch zehn Euro zu teuer seien. Ja, es liegt zwei Euro über dem normalen Preis von SNES-Spielen auf der Virtual Console. Dafür erhaltet ihr aber den offiziellen Spieleberater als Download dazu, der durch seinen Aufbau als Reiseführer perfekt zum ungewöhnlichen Earthbound passt. Und für ungefähr 30 Stunden Spielzeit kann ich mich nicht wirklich beklagen, auch wenn Nintendo generell alle Titel wesentlich günstiger anbieten könnte. Doch daran sollte euer Erstkontakt mit Earthbound nicht scheitern. Spielt es und ihr erkennt, wieso sich die kommende Generation daran erinnern sollte.

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