Wasteland 2 - Test
Siebenköpfige Party, Rundenkampf, Dachshoden, Riesenfrösche, Atompilze - nicht viel, was hier fehlt.
Die Zeit hatte Becket eingeholt. Er war noch nicht alt, Mitte dreißig erst, aber schwer erkrankt, und ich nahm es auf die leichte Schulter. Irgendwann tauchte ein rotes Symbol über seinem Charakterporträt auf und ich dachte so: "pfff, wie immer mit Krankheiten in Videospielen, warten, bis der Countdown runter ist, dann geht sie weg wie ein abklingender Zauberspruch in Fantasy-Spielen. Alles paletti."
Aber der Pilz befiel ihn tief drinnen und dies hier ist in erster Linie ein definierender Moment für Wasteland 2. Meine Scheuklappen waren schuld. Weil ich mich nicht um seine Verletzung kümmerte, mutierte die normale zur akuten Sporeninfektion und Becket zu einem schwulstigen Monstrum, das nun seine sechs verbliebenen Ranger-Kollegen angreift.
Er hinterlässt eine Schrotflinte, eine liebevoll gehegte Sammlung Tennisbälle, eine Packung Kippen und ganz viel Schrott, als er in einer Wolke aus Eiter und Blut zerplatzt. Wir, die anderen, haben nichts liegen gelassen.
Ich mag besonders diese Szene sehr, da sie die Endgültigkeit des Handelns super aufzeigt. Ein Mittel gegen eine schwere Sporeninfektion, ich habe keines gefunden. Eines gegen Krebs, das ja, im Hinterzimmer einer von intelligenten Mutanten bevölkerten Einrichtung - aber keines gegen Sporen. Ihr habt eine Truppe aus sieben Endzeitsheriffs und seid zu geizig, mit irgendeinem davon ein paar Punkte in die "Chirurg"-Fertigkeit zu investieren, um eine Krankheit behandeln zu können, während sie noch im Anmarsch ist? Ihr tut das kleine rote Warnsymbol über dem Charakter als Kratzer ab, der eh wieder verschwindet, weil sie in Videospielen immer verschwinden? Habt ihr nun davon!
Als Becket auf Stufe 10 stirbt, kann er nicht mal ins Gras beißen, denn der große atomare Knall hinterließ nur eine Trümmerwüste, wo einst Arizona und Kalifornien waren. Vermutlich sieht es woanders nicht besser aus, aber Wasteland 2 stellt euch diese zwei US-Bundesstaaten als Spielfeld hin. Betretbar sind nicht gleich beide zu Beginn, zunächst muss man in Arizona Gebiete erschließen und beängstigenden Funksignalen nachgehen. Im ersten Moment schmerzt Beckets Tod, und das nicht mal aus Gründen der Sympathie, sondern aus rein praktischen. Er war nur dank seiner Sprachfertigkeiten dabei.
In Dialogen hatte er manchmal spezielle Optionen abseits der offensichtlichen. "Klugscheißer" oder "Zäher Hund" nennt Wasteland 2 diese etwa und meint damit soziales Fingerspitzengefühl, dem man Extrainfos oder eine überraschend gewaltfreie Lösung für die eine oder andere Situation verdankt. Sie sind nur ein kleiner Teil des großen Getriebes, in dem Alles-ein-bisschen-Könner, na ja, überall ein bisschen was auf die Kette kriegen, aber nie richtig in die Tiefe gelangen. Spezialisten sind gefragt.
Insgesamt sieben gleichzeitig steuerbare Ranger gibt euch das Spiel an die Hand, vier davon anfangs erstellbar. Die anderen drei Plätze sind reserviert für klassische Begleiter, die man auf den Reisen durch Eisenbahnlager und Canyons so antrifft. Diese sieben sind bitter nötig. Nicht nur als Packesel mit dem Buckel voller Laserdiscs, Dachshoden, Schnellhefter, Taubenscheiße und all dem Kram, den man aus Erdlöchern buddelt oder in Schränken findet. Sondern besonders in ihrer Rolle als „der, der mich in dieser einen Situation weiterbringen kann".
In mehreren Dutzend Fertigkeiten könnt ihr sie fürs Ödland rüsten, darunter Wahrnehmung zum Entdecken aller möglichen Details in der Umwelt, Heilkunde, der Umgang mit Schlössern, Tresoren, Sprengstofffallen, diverse Nah- und Fernkampfkategorien und noch viele andere Dinge, die euch hoffentlich gerade einfallen, weil ihr an die alten Fallouts und ihre wunderbar freien klassenlosen Systeme denkt.
Man kann und muss jedem Party-Mitglied im Speziellen eine ganz eigene Richtung geben, ohne Defizite im Allgemeinen. Reicht ja, einen Mediziner in Begleitung zu haben, solange er nicht stirbt. Es dauert eine Weile, bis man ein Gefühl für die Welt und die Grundsätze entwickelt, nach denen Fargos InXile-Truppe sie entworfen hat - auch wenn sie angenehm vertraut wirken. Es sind eben ein paar Tage vergangen, seit ein Spiel wie dieses des Weges kam.
Kurz: Ihr Grad an Interaktivität ist nah an den alten Fallouts dran. Gut, ich vermisse Taschendiebstahl mit einer Sprengladung, die ganz zufällig in die Tasche des Gegenübers rutscht, aber was soll's. Wasteland 2 hat kreative Lösungswege, die meiste Zeit über allerdings entschärft man alarmgesicherte Zäune oder manipuliert Computerterminals aus dem Grund, der ihnen offensichtlich in dieser Welt zusteht.
"Wasteland 2 ist kein Spiel, das es in irgendeiner Hinsicht eilig hätte."
Es ist kein Spiel, das es in irgendeiner Hinsicht eilig hätte, fast so, als würde man einen Klassiker von damals ausgraben, soweit genießbar. Alles bleibt gemäch- und betulich. Das ruhige Stöbern im Inventar, das Aufteilen der Munition nach dem Plündern, das Herumklicken in der Gegend mit all den schriftlich festgehaltenen Details über die Umwelt und das, was man in ihr entdeckt. Bücherregale, aus denen man die „Richard-Grieco-Story" oder den „Reiseführer: Campingspaß für Pfadfinder" fischt (und nein, popkulturell platzt das Teil nicht ganz so sehr aus den Nähten wie Fallout 2). Betten, unter denen man mit genug Wahrnehmung einen Koffer vorzieht, oder eine in allen Einzelheiten beschriebene Atombombe, die man tatsächlich scharfmachen kann. Ups.
Wasteland 2 ist in seiner Iso-Perspektive weiter von diesen Dingen entfernt als etwa Bethesdas Fallout 3, aber wiederum viel näher dran in seiner detailfreudigen textlichen Ausarbeitung, die zu erfahren mit genug Zeit eine Wonne ist. So mache Stunde verbrachte ich mit dem Lesen von Item-Texten oder dem Abklopfen der Umwelt nach Beschreibungen, bei denen die Autorentruppe offenkundig wahnsinnigen Spaß hatte. Es gibt so viele Kleinigkeiten: etwa wenn General Vargas bemerkt, dass ein bestimmter Ort auf eurer Karte bereits eingezeichnet ist und er doch eigentlich die Handschrift seines Kollegen hätte erkennen müssen. Das Spiel ist voll davon.
Wenn man nicht gerade die deutsche Übersetzung genießt. Da wird ein Brief im Inventar schnell als „Buchstabe" abgelegt, Kommasetzung ist offensichtlich eine freiwillige und die Benutzung der Fälle eine sehr biegsame Angelegenheit. Wortspiele verpuffen. Als ich im Agrarzentrum unter stillstehenden Ventilatoren hindurchrenne, sagt der zerzauste Penner Scotchmo so was wie: „Ich bin dein größter Fan, höhö, verstehst du? Größter Fan...". Das funktioniert im Deutschen einfach nicht. Gebt euch die englischen Texte, wenn nichts dagegen spricht. Schade, dass die drei Millionen Kickstarter-Dollar nicht für eine brauchbare Lokalisierung gereicht haben.
Wofür sie gereicht haben, das sind viele vom großen Ganzen losgelöste Gebiete entlang des Weges, mit der Ranger-Zitadelle als Mittelpunkt für die Erkundung der wilden Lande. Jeder fegt nur vor seiner eigenen Haustür, meist ohne den gesamtpolitischen Blick fürs Ödland. Es hat fast kolonialistische Züge, dieses lückenhaft umrissene „Weit draußen" zu erforschen, das euch Wasteland 2 und seine handelnden Figuren nach dem Intro vorsetzen. Ihr zieht über die Weltkarte, macht vor Strahlenwarnzeichen kehrt, entdeckt Siedlungen und Oasen zum Vorbeugen der Dehydrierung, rüstet langsam die Strahlenanzüge auf, trefft gierige Händler und brutale Banditen.
"Ihr zieht über die Weltkarte, macht vor Strahlenwarnzeichen kehrt, entdeckt Siedlungen und Oasen zum Vorbeugen der Dehydrierung, rüstet langsam die Strahlenanzüge auf."
Per Funk kommt ständig etwas rein, vieles davon nicht einmal relevant, aber es entsteht der Eindruck eines bewegten Ödlandes. Man hört von Wonkerbots, den Texas-Klapperschlangen und Gleisnomaden, fühlt sich mittendrin in einem schreckhaft nach Tag 0 erwachten Amerika. Wo Fallout seine Kulte und Mutanten hatte, tummeln sich in Wasteland 2, tjoa, Kulte und Mutanten, sogar ein Meister und irgendwo da draußen Suizidmönche, die Reisenden gegen eine Gebühr Schutz versprechen, drumherum entartete Rieseninsekten, Killerkaninchen und Banditen. Unter anderem.
Es ist die volle, verstrahlte, knallige und bis obenhin mit Mutantenfröschen verunstaltete Endzeit, in die man euch schickt. Auch wenn die Hauptgeschichte nicht immer die interessanten Töne trifft, ist es ihr Drumherum mit den vielen Gruppierungen. Wasteland 2 versetzt euch in die Rolle des Beobachters, gewährt eine eigene Perspektive auf die Geschehnisse und ein Stück weit die Einordnung, wo Gut und Böse in besagter Konstellation stehen. Es macht diesen Job nicht ganz so klasse wie etwa Obsidians Fallout: New Vegas, aber verdammt gut und ich hatte einen riesigen Spaß dabei, meinen Platz darin zu finden.
Es ist ein altmodisches Spiel mit einem Tagebuch als Gedankenstütze und sonst nicht viel mehr. Block und Bleistift sind keine schlechte Gesellschaft, wenn man sich zu viel Rennerei ersparen möchte. Wo war noch mal der eine Typ aus diesem einen Lager und in welchem Inventar liegt der Quest-Gegenstand? Letzteres kann eine überaus wichtige Frage sein, und zwar immer dann, wenn man jemanden mit genau dem Charakter ansprechen muss, der das für die Situation nötige Item bei sich trägt. Ist aber nicht jedes Mal so. Trotzdem, Wasteland 2 hat zum Glück keine Hilfestellung, die sich nicht direkt aus dem Spiel heraus ergibt, keine Pfeilmarkierungen oder ähnliches. Man kann schon mal eine Stunde damit vertrödeln, einen NPC zu suchen, und das ist auf eine schräge Art ein Lob.
"Wasteland 2 ist ein altmodisches Spiel mit einem Tagebuch als Gedankenstütze und sonst nicht viel mehr."
Wo euch entschärfte Alarmanlagen, Mechanik- und Naturkundekenntnisse nicht weiterbringen, müssen Laserpistolen, Revolver, Macheten und Rohre sprechen. Die Kämpfe folgen einem Rundensystem, und das ist insoweit eine gute Sache, als dass es wunderbar zur sonstigen Gemütlichkeit passt. In aller Ruhe könnt ihr Züge überdenken, seht, wie weit man sich bewegen darf, damit im selben Zug noch ein Schuss möglich ist, schlagt euch mit Ladehemmungen, biestigem Friendly Fire und durchdrehenden Party-Mitgliedern herum.
Die Gegner sind nicht die cleversten, obwohl ich durchaus ein paar Mal das Gefühl hatte, dass sie sich hinter Deckungen verschanzten, nachdem ihre kopflos vorauseilenden Kollegen auf einmal tatsächlich kopflos waren. Gestaltet sich der Start mit heruntergekommenen Waffen noch etwas rumpelig, wird es nach einigen Stunden spürbar leichter, solange irgendwer Waffenschmieden beherrscht und bessere Visiere, Magazine und was nicht alles anbringen kann. Der mittlere Schwierigkeitsgrad wird hier sogar recht einfach, besonders mit Granaten in der Hinterhand. Die kleinen Teile können einen verloren geglaubten Kampf rasch umschwingen lassen. Diese sechs Riesendachse haben nicht schlecht geguckt, hehe. Wer eine Herausforderung wünscht, kann jederzeit die Schwierigkeit anheben.
Im Vergleich mit Divinity: Original Sin bin außerdem überglücklich, dass Bewegen und Schießen auf unterschiedlichen Tasten liegen. Wo ich in Rivellon dem Gegner nach einem millimeterscharfen Fehlklick öfter in die Arme gelaufen bin, statt den Bogen abzufeuern, ist das im Ödland kein Problem. Schade nur, dass sich feindliche Körperregionen nicht gesondert anvisieren lassen. Becket war das immer egal. Er brauchte nur seine Schrotflinte und eine Kippe im Mundwinkel. Ziehen, durchladen, abdrücken. Viel blieb selten übrig.
So schließt sich der Kreis zu den persönlichen Entbehrungen, die jeder irgendwann mal in Wasteland 2 erdulden muss, einem Spiel, das seine Herkunft stolz vor sich herträgt wie eine Trophäe. Es erinnert mal an Fallout, mal an Arcanum, und dann wieder daran, wie besonders seine Art heute geworden ist. Es macht nicht alles so gut, wie es vielleicht möglich gewesen wäre, und erzählt im großen Ganzen weniger spannend als im Kleinen. Doch Fargos InXile-Truppe hat nicht viel vergessen und liefert ein gemütliches, umfangreiches, an den richtigen Stellen in die Tiefe gehendes Endzeitabenteuer.
Keine Ahnung, wie es euch dabei geht, aber ich habe das Bedürfnis, ihnen dafür ein herzliches Dankeschön auszusprechen.