Watch Dogs 2 - Nur noch schnell die Welt retten
Die Hipster-Hacker unter uns.
Sagt euch der Name Martin Shkreli noch was? Der ehemalige Chef eines Pharma-Konzerns und CEO eines Heuschrecken-Hedgefonds. Der, der das AIDS-Medikament Daraprim mal eben über Nacht um 5000% verteuert und auf den Sturm der Entrüstung mit einem feisten Grinsen reagiert hat. Freie Marktwirtschaft hin und Kapitalismus her, dem Backpfeifengesicht habe ich die Pest an den Hals gewünscht. Im wirklichen Leben kann ich nichts ausrichten, außer wütende Kommentare in irgendwelchen Foren zu tippen, aber in einer der frühen Nebenmissionen von Watch Dogs 2 kann ich meinen Hipster-Hacker Marcus Holloway auf eine sehr gut erkennbare virtuelle Version Shkrelis ansetzen und ihm das nehmen, was ihm am meisten bedeutet: Geld.
Es ist eine dieser für das Spiel typischen mehrstufigen Missionen, in denen ich mich Schritt für Schritt meinem Ziel nähere. Eine Schnitzeljagd durch die offene Welt von Ubisofts Bay-Area-Interpretation mit Schauplätzen in San Francisco, Oakland und Silicon Valley. Zuerst soll ich den Musiker Bobo Dake ausfindig machen und seine Gespräche abhören. Dake residiert standesgemäß in einer Villa in bester Lage und nach einem Lauschangriff auf sein Telefon erfahre ich, dass er seinen neuesten Hit exklusiv nur dem Pharmabaron Gene Carcani zur Verfügung stellen will. Wer braucht schon zufriedene Fans, nur die Kohle zählt. Jetzt kenne ich den Aufenthaltsort Caracanis, das ist zwar am Ende der Stadt, aber ich kann mir ja einfach jedes Gefährt schnappen, das auf den Straßen unterwegs ist. Sportwagen, LKWs, Motorräder, wegen mir auch einen Löschzug der Feuerwehr oder einen Quad. Der Weg zum nächsten Ziel wird mit blauen Markierungen auf der Fahrbahn angezeigt. Das ist bei der schieren Größe der offenen Welt, die sich als doppelt so groß wie Chicago im Vorgänger erweist, auch sinnvoll.
Und so stehe ich ein paar Minuten später vor den versperrten Türen der Caracani-Behausung. Um den Unsympathen jetzt finanziell zu erleichtern, dringe ich mit meiner Allzweckwaffe, meinem DedSec-optimierten Smartphone, in die Steuerung der Kameraüberwachung ein und hacke Laptop und Telefon. Langer Rede, kurzer Sinn: Caracani überweist unwissentlich 20 Millionen an eine Leukämie-Stiftung und beschwert sich dann lauthals, dass er doch eigentlich ein netter Kerl sei und alles nur für seine Shareholder gemacht habe. Die optionale Mission ist eine frühe Fingerübung, um sich mit den Spielregeln der offenen Welt und den vielfältigen Hackertools vertraut zu machen. Anstatt aber einfach nur sinnfrei den Spieler von Punkt A nach Punkt B zu hetzen, setzten die Entwickler gleich auf interessante Geschichten.
So kann ich zwar einfach ein Auto klauen und selber herausfinden, wie ich während der Fahrt Ampeln manipulieren und Rohre unter der Straße zum Bersten bringen kann, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Ich kann aber auch in einer Mission das Auto aus Holloways Lieblings TV-Serie aus dem Studio klauen und so die Feinheiten der Fahrweise erlernen. Der Vorteil: Mir steht dann auch später der Sportwagen, der nicht von ungefähr an Knight Riders Kitt erinnert, zur Verfügung, ich bekomme auch noch Followers. Ja, in einem hippen Hackerspiel gibt es keine schnöden Punkte, da sammelt man bitteschön Followers. Je mehr mir respektive der Hackergruppe DedSec folgen, desto mehr Fähigkeiten kann ich meiner Spielfigur beibringen. Und die werden in den späteren Missionen auch dringend benötigt.
Wenn ihr jetzt noch nicht allzu viel mit Watch Dogs zu tun hattet, ein ganz kurzer Abriss der Geschichte: Der Protagonist Marcus Holloway, ein junger Hacker mit dem Hang zu stylischen Klamotten, schließt sich der anarchistischen Gruppierung DedSec an und kämpft gegen den totalitären Überwachungsstaat. Genauer gesagt: Gegen den mysteriösen Blume, Erfinder des ctOS (Central Operating System), der mit seiner Firma, angeblich zum Wohle der Allgemeinheit, die perfekte Datenkrake installiert hat. Riesige Terminals vernetzten alles mit allem und wenn ein Mensch in die Fänge des Apparats gerät, gibt es kein Entkommen. Das erfährt Holloway am eigenen Leibe, als er fälschlich eines Verbrechens beschuldigt wird und in der globalen Datenbank als Freiwild geführt wird. Also nieder mit dem System und Freiheit für das Volk. Wie ich das jetzt anstelle, bleibt mir überlassen.
Grundsätzlich gibt es drei Ansätze vorzugehen, Stealth, Trickster oder Aggressor. Die Methode, mit brachialer Waffengewalt vorzugehen, scheiterte bei mir an der schieren Anzahl schwer bewaffneter Wachleute, die schnell Verstärkung herbeirufen und mir zügig einen Pixeltod bescherten. Also nehme ich den unblutigen Weg und nutze meine Hacker-Skills und vielfältigen Tools, die mir zur Verfügung stehen. Erst einmal mit der Net-Hack-Ansicht, einer Art Röntgenblick, Wachen, Kameras und Computer, auch durch Wände hindurch, sichtbar machen. Dann von Kamera zu Kamera springen, um Schalttafeln zu Stromfallen umzuwandeln, Türen zu öffnen oder Datenbanken zu hacken.
Ist ein Objekt der Begierde meinem direkten Net-Blick verschlossen, nutze ich eben einen Quadcopter oder den Jumper, ein ferngesteuertes Auto, dass mich näher an das Ziel heranbringt. Hacken kann ich auch über meine Spielzeuge, das hat den Vorteil, dass mein verletzlicher Körper aus dem Schussfeld bleibt. Beispielsweise soll ich einige Geheimnisse aus einem Haus stehlen, in dem einige Roboter patrouillieren, die an die Dalek aus Dr. Who erinnern. Nahkampf kommt nicht in Frage, ein paar Stromstösse oder gleich das Deaktivieren über eine Schalttafel machen da mehr Sinn. Gerade das Stöbern nach einem alternativen Weg ist es übrigens, was mir am meisten Spaß gemacht hat. Einfach durch den Haupteingang zu spazieren, scheitert meist kläglich. Aber per Smartphone einen riesigen Kran zu steuern und sich auf einem Hausdach absetzen zu lassen, das hat doch was.
Gut vier Stunden habe ich gespielt, bin aber meinen Hauptziel kein Stück näher gekommen. Überall gibt es was zu entdecken, das Scannen von Passanten eröffnet neue Nebenmissionen, denen ich einfach folgen muss, weil die Prämisse spannend klingt und sich meist auch als spannend erweist. Ich vertreibe mir die Zeit in Klamottenläden und verpasse mir neue Outfits, fahre einfach durch die schicke Landschaft und genieße einen Sonnenuntergang auf der Golden Gate Bridge, während Dreadlock Holiday aus dem Autoradio schallt. Es gibt einfach derart viel zu tun und zu entdecken, dass ich mich einfach treiben lasse. Kein schlechtes Zeichen für ein Spiel. Wie sich das nach zehn oder zwanzig Stunden erweist, werde ich dann noch genauer überprüfen, der Einstieg in die offene Welt ist aber meiner Meinung nach gelungen.
Ich könnte jetzt noch ein Dutzend spaßige Beschäftigungen zum Zeitvertrieb aufzählen. Davon erzählen, wie ich harmlose Passanten oder nervige Wachen per Knopfdruck einen Datenbankeintrag als Terrorist verschaffe und mit Schadenfreude zusehe, wie die Polizei mit eingeschalteten Sirenen vorfährt. An einem 3D-Drucker im DedSec Hauptquartier neue Waffen und Tools herstelle oder einfach mit einem anderen Online-Spieler kooperative Missionen erfülle. Davon gibt es reichlich und ich muss nicht mehr machen, als nach einem lila markierten Eintrag auf der Übersichtskarte zu suchen. Den PvP-Modus Hacking Invasion aus dem ersten Teil gibt es auch wieder, dazu noch einen Kopfgeldjäger-Modus, in dem ihr Hacker-Kollegen, die einfach zu viel Chaos angestellt haben und jetzt von der Polizei gesucht werden, zur Strecke bringen könnt. Schön: Wer auf den Online-Part verzichten kann, stellt die entsprechenden Optionen einfach ab und kann ungestört allein agieren.