We Happy Few: Wenn ein fantastischer Prolog in ein sperriges Spiel mündet
Gutes Konzept, gute Ideen, aber an der Umsetzung mangelt es noch.
We Happy Few hat einen der interessantesten Einstiege seit Langem. Wann ist man in der eröffnenden Spielszene schon mal als Zensor damit beschäftigt, Jahre und teils Jahrzehnte zurückliegende Zeitungsartikel zu schwärzen oder durchzuwinken? Und wann durchlebt man erste zehn Minuten, die anmuten, als sei eine Valve-Truppe nach mehreren Kästen Bier, einem Kubrick-Filmabend und mit einem Mordsschädel zu Clockwork Orange eingenickt, bevor sie die vorbeirieselnden Szenen zu einem Spiel umarbeiteten? So schnell sicher nicht noch mal, aber hier sind wir, Arthur Hastings, am Schreibtisch einer staatlichen Zensurbehörde. Ein Scheißjob, besonders als ihm ein Artikel über seine eigene unterdrückte Kindheit und seinen Bruder Percival unterkommt.
Dann das Aufstehen vom Arbeitsplatz. Hier findet eine Menge von der Umgebung herrührendes Geschichtenerzählen statt. Die Fotowand und verfaultes Obst im Büro der Kollegin Prudence, die "einfach nicht wiederkam", die für sie hergerichtete und langsam auseinanderfallende Willkommen-zurück-Girlande, die grellfarbige Inneneinrichtung oder die Piñata am Ende, aus der man alles andere als Süßigkeiten herausklopft. Die ins Absurde driftende Übersteigerung einer Welt der Bürokratie, schrill, täuschend, falsch und unbehaglich wie die Leute in ihren weißen Happy-Face-Masken.
Von derlei Sinnestäuschungen wie der in Wirklichkeit gar nicht so pappig-süßbunten Piñata kriegt außer des Hauptcharakters Hastings keiner viel mit, weil er als Einziger "Joy" nicht eingeworfen hat. "Joy" ist der ultimative Gleichmacher in einer englischen 60er-Gesellschaft alternativer Geschichtsschreibung, "Freude" in Pillenform, die man in Telefonzellen in den Sorten Vanille, Schokolade und Erdbeere zapfen kann. Unter anderem.
Regierungsseitige Verordnung ist es, diese Pillen schlucken zu müssen, um sich nicht an die schreckliche Vergangenheit erinnern zu können, denn "Happy is the country with no past". Ein freudig übersteigertes Ausblenden jeglichen Frühers und Unwissenheit als Glücklichmacher. All das erfährt man im Gebäude während des Einstiegs, der auch nicht verlegen ist um nett geskriptete Ereignisse in Nebenräumen. Als hätte Valve in City 17 einen Häuserblock unterschlagen, der nun wieder auftaucht. Arthur Hastings nimmt die Pillen trotzdem nicht. Und wird fortan als "Downer" gejagt.
In einem Safehouse im Untergrund findet er Unterschlupf und macht sich daran, aus dem englischen Städtchen Wellington Wells zu entkommen. Wer von den Leuten das Glück griffbereiter "Joy"-Pillen hat, spürt nicht viel vom desolaten Zustand, in dem die Umgebung verharrt. Es ist ohnehin ein stichiger Kontrast zwischen aufblühender Natur in Form von pflückbaren Pflanzen aller Couleur, dem warm zwischen den Baumkronen blinzelnden Sonnenlicht und dem im Begleitschritt vonstattengehenden Verfall von Architektur und Bewohnern.
We Happy Few ist ein durch Ladezonen unterbrochenes Quasi-Open-World-Spiel zum einen, mit NPCs, ihren kleinen Problemchen, Neben- und Hauptaufgaben. Ihr habt ein Tagebuch mit daneben abgebildeter Karte und ihren Markern, von denen man leider keinen selbst setzen darf. Ihr habt Stichpunkte und knappgehaltene Beschreibungen zu dem, was eigentlich euer Ziel in dieser Welt ist. Und ihr habt die Freiheit, Gebäude ebenso wie umliegende Gärten und Grünflächen zu erkunden.
Zum anderen ist We Happy Few ein Survival-Spiel. Eines mit Bauplänen, zufälliger Verteilung von Handwerksmaterialien in Mülleimern und Holzkisten für Bandagen, Dietriche und Fackeln, körperlichen Bedürfnissen von Hunger bis Müdigkeit, Tag-Nacht-Wechsel, einem schlaffen Skyrim-ähnlichen Nahkampfsystem und auf Wunsch sogar Permadeath. Letzteres ist aufgrund der auf Konfrontation gepolten Welt und ihrer Bewohner nichts, was ich für die ersten Versuche empfehlen würde.
Zieht ihr eine Waffe, merken das umstehende Leute und greifen an. Klaut ihr aus ihren Häusern - ebenfalls. Schlaft ihr in ihren Betten - dann sowieso. Hier herrscht durchaus eine Wahrnehmung für spielergesteuerte Geschehnisse, wenn auch weniger komplex als in "großen" Rollenspielen. Schlimmer im Sinne des Permadeath-Erlebnisses sind die Bedürfnisse. Hunger, Durst und anderes setzen viel zu schnell ein, noch schneller, schiebt man sich aus Verzweiflung eine verdorbene Karotte zwischen die Backen. Mit Pech und zu viel Ekelbrei gewordenem Essen erleidet man eine Vergiftung und kotzt in die nächstbeste Telefonzelle, verliert Flüssigkeit und Nahrung, kriegt sofort wieder Hunger und Durst.
Auch der Tag-Nacht-Wechsel und der Drang nach Ruhepausen sind eine Spur zu rasant unterwegs. Gefühlt muss man sich alle fünf Minuten hinhauen und eine Mütze Schlaf tanken, bevor der Magen wieder knurrt, der Hals staubt. Die Pre-Alpha-Version auf der Xbox One ist natürlich genau das, eine weithin unfertige Fassung, daher bin ich guter Dinge, dass die Entwickler Compulsion Games an den richtigen Stellschrauben drehen. Ebenso wie sie uns noch die restlichen 50 Prozent der Inhalte und die Geschichten der spielbaren Charaktere schuldig sind, denn bis auf den fabelhaften Einstieg, in Briefkästen gestopfte Schriftstücke und den einen oder anderen schrullig Stimmung machenden NPC in der Welt ist es mit dem Erzählen bislang nicht weit her.
Neben dem Aufrechterhalten des Flüssigkeits- und Nahrungshaushalts mithilfe von Wasserpumpen und Essenshäppchen dreht sich der Spielrhythmus in den ersten Stunden verbissen ums Sammeln und Glückhaben. Für den Gang in den östlich gelegenen Distrikt und damit die Torwache das Gitter anhebt, braucht man Bienenhonig. Für die Bienen einen speziellen Schutzanzug. Für den Anzug Stoffe, Leinen und Nähetui. Und für Stoffe, Leinen und Nähetui einen ausgeprägten Drang, in jede Truhe, unter jeden Stein zu sehen in der Hoffnung, irgendwann die Teile in der Hand zu halten.
Bei den ersten dieser Unternehmungen ist das noch ganz witzig, da man die Welt um sich herum unmittelbar erlebt, die im Wahn faselnden Bewohner, den Verfall der "Englischheit", herrlich schlaksige, diabolisch grinsende Bobbys. Sehr selten findet man Bücher wie "The Importance of not being seen", das Schleichen etwas einfacher macht, oder "Long Distance Runner" mit einem fünfprozentigen Ausdauerbonus. Es kann durchaus lohnend sein, ein Werkzeug zum Fallenentschärfen dabei zu haben oder sich des Nachts langen Fingers in fremden Häusern herumzudrücken, aber irgendwann ist das Anhäufen und Horten müßig.
Ein Grund ist das Kampfsystem. Ihr habt eine Taste zum Blocken, eine zum Schlagen und eine Ausdauerleiste. Wie ein Blöder haut man drauf, bis die Waffe bricht, darf ein wenig vor und zurück. Das war es. Nichts, was das Spiel in irgendeiner Form bereicherte, außer dass es eben möglich ist. Und das bei einer sich gern an Hindernissen festrennenden, wie ein Knäuel aus Gliedmaßen durch Wände ragenden KI. Gebäudeinfiltration kann so furchtbar sein.
Davon abgesehen bleiben Pre-Alpha-Vorbehalte gegenüber etwas, das mich manchmal an ein fiktives Szenario erinnert, in dem die Zeno-Clash-Entwickler keinen Bock auf ein richtiges Kampfsystem hatten. Manchmal an den Versuch, den Orwell'schen "Einen gegen das System" in einem Paradiesvogel von einem Spiel greifbar zu machen. Aber so, wie der Hauptcharakter sich eine "Joy"-Pille reinpfeffert und unter Regenbögen schlendernd die Welt umarmt, kann auch sie selbst zum "Downer" werden. Vielleicht hilft ein strafferer Erzählbogen. Mit Uncle Jack, dem Gesicht des Regimes, hat We Happy Few eine gute Grundlage, und es wäre schade, würde es darauf nicht aufbauen.