West of Loathing - Test
Der Wilde Westen - als Strichmännchen-Geschichte.
Goblins! Geister! Magische Hüte! Alien-Artefakte! Klingt das für euch nach wildem Westen? Nicht? Dann habt ihr euch vermutlich nicht gut informiert. Das meint zumindest das Entwickler-Team Asymmetric, das mit West of Loathing eines der komischsten Wild-West-Spiele der letzten Jahre veröffentlicht hat. Das Spiel ist eine Art Fortsetzung des Browser-Games Kingdom of Loathing, ein Abenteuer rund um magisch begabte Strichmännchen. Magisch begabt seid ihr auch in West of Loathing, auch wenn das nicht das Wichtigste am Spiel ist. Ihr spielt Johnny Johnson, einen Verbrecher, der sein Heimatdorf verlassen muss, um einen Totenbeschwörer zur Strecke zu bringen, der dafür gesorgt hat, dass auf allen Friedhöfen des Westens die Skelette wieder aus ihren Gräbern kriechen. Zumindest habe ich die Geschichte so verstanden - ehrlich gesagt: Die Dialoge des Spiels sind eine einzige Aneinanderreihung dadaistisch anmutender Witze, die am Ende jede Menge Interpretationsspielraum lassen.
Es ist gar nicht so einfach, zu beschreiben, worum es in diesem Spiel grundsätzlich geht. Aber ich versuch' es mal: Ihr bewegt euch mit Begleitern über die Karte, lauft von Ort zu Ort und kuckt, was es dort zu finden gibt. Teilweise sind das Feinde, die besiegt ihr dann in rundenbasierten Kämpfen, die etwa dem entsprechen, was Final Fantasy früher gemacht hat: Eure Figuren kommen der Reihe nach dran, dürfen angreifen, Magie wirken oder einen Gegenstand einsetzen. Dann kommt der Gegner. Das dürft ihr euch jetzt allerdings nicht in Pixel-Optik vorstellen, sondern etwa so als hätte es mein achtjähriges Ich gezeichnet. Das komplette Spiel sieht aus wie eine Strichmännchen-Kritzelei. Eine schöne zwar, aber eben doch eine Strichmännchen-Kritzelei. Gebrochen wird dieser Stil fast nie. Das Spiel besteht aus schwarzen Strichen auf weißem Grund. Manchmal sind diese Striche transparent oder ausgegraut - das bedeutet dann, dass es sich hierbei um Geister-Objekte handelt.
Überhaupt, die Geister. Die sind in diesem Spiel so präsent wie Cowboy-Hüte und Pistolen. Und Skelette. Hin und wieder findet ihr auch Portale in eine fremde Alien-Welt. Alles nichts, worüber sich Johnny Johnson groß wundern würde. West of Loathing präsentiert euch eine Art alternative Fantasy-Realität, in der es im Übrigen auch normal ist, in jedem Heuhaufen zuverlässig eine Nadel zu finden, mit der sich ebenso zuverlässig ein Schloss knacken lässt, entsprechender Skill vorausgesetzt. Und es bietet eine eigene Option dafür, Johnny Johnson lustig laufen zu lassen. Dann setzt er nicht ein Bein vor das andere, sondern kriecht beispielsweise über den Boden oder macht diverse Purzelbäume um ans Ziel zu gelangen. Spielerisch ergibt das so wenig Sinn wie die Wasserfälle, aus denen Schlangen kommen, oder das psychisch kranke Pferd, das ich mir gekauft habe, aber es geht eben. Euer Pferd dürft ihr übrigens frei benennen. Meins heißt Megatron.
Überraschend unproblematisch ist die Tatsache, dass das Spiel kein automatisches Quest-Tagebuch führt. Eigentlich bekommt ihr vielerorts irgendwelche Aufgaben und die lassen sich recht schnell wieder vergessen - zumindest ging's mir so. Teilweise lassen sich selbst die Auftraggeber nicht einmal mehr auf das gleiche Thema ansprechen, weshalb ihr dann manchmal wirklich nicht mehr wisst, was ihr tun solltet. Im Zweifel löst sich aber so gut wie jedes Problem, indem ihr einfach ziellos über die Karte marschiert und einen Ort nach dem anderen abklappert. Wiederholt das Ganze und ihr werdet mit ziemlicher Sicherheit Questgeber finden, von denen ihr gar nicht mehr wisst, dass sie mal Questgeber waren.
Habe ich erwähnt, dass es Portale zur Hölle gibt? Sicher nicht. Die tauchen immer mal wieder in der Spielwelt auf und manchmal bringen sie auch besonders starke und bösartige Dämonen-Kühe hervor. Die müsst ihr dann besiegen, was mit einem netten Begleiter ganz gut funktioniert, aber auch nahezu unmöglich sein kann, wenn ihr auf Verängstigungsmagie gesetzt habt. Denn Geisterkühe lassen sich nicht verängstigen! Zugegeben: Solche Szenen wiederholen sich im Spiel immer mal wieder und auch die Hintergründe wirken manchmal recht repetitiv. Aber aus irgendeinem Grund hat mich das nie gestört - ich vermute, es liegt daran, dass Johnny so schnell aufsteigt.
Und trotz all dieser blödsinnigen Inhalte hat West of Loathing eine Meta-Ebene. Es geht um die Eroberung von Nordamerika, um die Reise der Kolonisten von Osten nach Westen. Deshalb schlagt ihr Tunnel durch Berge und baut Brücken über Flüsse. Und ihr lauft von einem Fort zu anderen, um dort festzustellen, dass sich sämtliche Soldaten in den letzten Tagen mit nichts anderem auseinandergesetzt haben als einem Tabletop-Strategiespiel. Natürlich dürft ihr dann auch selbst mitspielen. Wenn ihr gewinnt, ist euch der Totengräber freundlich gesinnt, den ihr wiederum einsetzen könnt, um in der örtlichen Stadt den Bürgermeister glücklich zu machen. Wirklich: Ich habe noch nie ein Spiel erlebt, bei dem ich so oft rein zufällig irgendwelche Quests erfüllt habe wie bei diesem. West of Loathing ist zu allem Überfluss auch noch sehr entspannt - ihr könnt es prinzipiell nur mit der Maus spielen.
Letzten Endes macht West of Loathing einfach Spaß. Ob ihr nun im Kopf habt, welche Quests gerade relevant sind oder nicht - im Grunde könnt ihr euch von Ort zu Ort klicken und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlebt ihr überall etwas Neues. Gerade für die 10,99 Euro, die dieses Spiel nur kostet, halte ich es für ein Muss für Rollenspielfreunde, insbesondere für solche, die das letzte South-Park-RPG mochten. West of Loathing ist albern, teils bizarr und manchmal gar nicht so leicht zu verstehen. Alles in allem aber eben ein richtig gutes Rollenspiel. Ausprobieren!
Entwickler/Publisher: Asymmetric/Asymmetric - Erscheint für: PC, Mac - Preis: 10,99 Euro - Erscheint: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: Englisch - Mikrotransaktionen: Nein