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White Knight Chronicles

Schnelle Lerner kämpfen länger

Es ist erstaunlich, wie schnell man lernt, wenn das eigene Leben davon abhängt, und sei es nur das virtuelle. Meine ersten Stunden jenseits der Sprachhürde verbrachte ich in der Welt von White Knight Chronicles sehr entspannt. Ein wenig herumwandern, hier ein Kämpfchen mit Buttonsmashing gewinnen, da einen Speicherpunkt nutzen, überall die hübsche Welt bewundern, in den Tag hineinquesten. Als ich dann aber plötzlich aus unerfindlichen, weil japanischen, Gründen, vor dem Boss stand und die Lebensenergie schwand wie Tau auf den Gräsern in der Morgensonne, fiel mir sehr schmerzhaft auf, dass ich leider bisher nicht danach suchte, wo man denn eigentlich die Tränke findet oder den Heilzauber auslöst.

Mehr als zwei Dekaden Erfahrung mit Japanrollis retteten mich über die Runden. Irgendwann weiß man halt, wie so ein Menü aufgebaut ist, wo man im Rucksack kramen kann und welches Symbol vielleicht für Heilung stehen könnte. Und so lernte ich innerhalb eines fünfminütigen Kampfes beinahe mehr in White Knight Chronicles als in den zwei Stunden zuvor. Zum Beispiel, dass es sich um ein gleichzeitig sehr konventionelles und doch erfrischendes J-RPG handelt, das vielleicht nicht die Antwort auf alle Fragen bereithält, die ich je zur Zukunft des Genres hatte, aber ein paar neue beantwortet, die ich bisher nie stellte.

Etwa wie eine persönliche Einbindung in den sehr festgezimmerten Cast eines Japan-Rollis wohl funktionieren könnte. Bisher war es Gusto, dass die Handelnden in den kunterbunten Welten alle aus der Hand mehr oder weniger meisterlicher Charakterdesigner stammen und wir als Schöpfer außen vorbleiben. Das war immer so, das wird immer so sein. Oder auch nicht. White Knight Chronicles schickt euch durch ein Menü zur Erstellung einer eigenen Figur, die nur auf den ersten Blick lahm wirkt. Hinter der ersten Auswahl an Figuren der Spannweite von „Gegen die Wand gefahren“ bis „Unfall im Saunaraum“ zeigt sich schnell, dass es sich nur um die etwas verunglückten Templates zur Gestaltung eines echten Individuums handelt.

White Knight Chronicles – Trailer

Mit etwa 150 Schiebereglern, die sich dank verständlicher Icons auch schon jetzt gut zuordnen ließen, erschafft ihr etwas, das wie ihr selbst ausseht. Oder wie Brad Pitt. Oder der Glöckner von Notre Dame. Mit genug Zeit lässt sich hier eine Menge herausholen und das Ergebnis kann dann sogar den Charme und Look der restlichen Figuren so weit hinter sich lassen, dass er definitiv heraussticht. Level 5s Mastermind Akihiro Hino legte in White Knight als Producer persönlich Hand an und kehrt mit seinem Design-Team wie schon bei Rogue Galaxy zu den Animeserien der 80er und frühen 90er zurück, nur diesmal halt ins Fantasy-Genre. Kennt hier noch einer Heroic Legend of Arislan? Die Waffen wirken nicht überdimensioniert, die Gesichter proportional, die Kulleraugen bleiben zu Hause und die Kostüme sind nicht einmal annähernd so verspielt, wie man es vor allem bei Final Fantasy gewohnt ist.

Bei der Umgebung bleibt es dann nicht beim Halbrealismus, die Inszenierung bedient sich ganz ungeniert bei allem, was das Hoch-Fantasy zu bieten hat. Sei es nun die fliegende Festung der Bösen, die ein wenig an das Koopa-Piratenschiff in mal Tausend erinnert, oder schon die Startmetropole als Minas Tirith-Abzug in flacher und größer auftrumpft. Güldene Thronsäle, dunkle Minen, finstere Ruinen. White Knight Chronicles zelebriert sie alle durch und findet auf diesem Gebiet nur wenig Eigenständigkeit. Schön ist es trotzdem, durch eine klassische Eiswelt zu stiefeln oder ein lauschiges Halb-Auenland im Sonnenrot von eine paar Monsterchen zu befreien. Man muss sich halt ein wenig das Herz für die Klassik bewahrt haben, um ganz in White Knight abzutauchen.

Über den Handlungsrahmen will ich jetzt mal nicht zu viel verraten, nicht zuletzt, weil ich nicht so wahnsinnig viel verstanden hab. Was klar wurde ist, dass die Prinzessin aus Land Eins von Fiesewichten aus Land Zwei geklaut wurde und der Held wider Willen sich in einen riesigen Ritter verwandeln kann, um so richtig aufzuräumen. Warum? Wer weiß, wir erfahren es wohl Anfang nächsten Jahres, wenn die für die meisten „richtige“ Sprachversion erscheint.

Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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