Wie Dark Souls einmal die Videospiele gerettet hat - eine Zeitreise
10 Jahre schwappen die Wellen, die Dark Souls schlug, jetzt schon durch das Medium: Trotzdem lässt sich das Spiel nicht allein über Härte definieren.
Ich bin nicht sicher, wie alt die hier Mitlesenden sind. Aber um zu verstehen, worauf ich mit der keineswegs übertrieben gemeinten Titelzeile hinauswill, hilft nur eine gedankliche Zeitreise zurück in die späten 00er Jahre. Für mich die vielleicht mieseste Periode im Gaming. Auch hier kamen ein paar Klassiker heraus, na klar. Aber in erster Linie stach die Zeit zwischen 2007 und meinetwegen 2011 vor allem durch ihre irrwitzige Uniformität hervor.
Es war die "Grimdark"-Ära des "Gritty Reboot", des "angetackerten" Multiplayer und eine Zeit, in der gefühlt jede zweite geliebte Marke unter den Schmerzensschreien gebeutelter Fans zum Shooter oder Open-World-Spiel umgemodelt werden sollte. Nie schafften es mehr Lizenzspiele oder Klone erprobter Formeln auf den Markt. Gewagtere Konzepte gingen nur selten in die Vollproduktion und die Indie-Szene steckte noch in den Kinderschuhen - Pixelart-Trostpflaster Fehlanzeige. Vor allem aber wurden Videospiele zu einem zunehmend trivialen Zeitvertreib, der seinen User anscheinend nicht mehr herausfordern durfte.
Wie gesagt: Es war eine schlechte Zeit, keine Ahnung, wie wir das überstanden haben (Spoiler: wegen Rock Band). Ein Grund für das damalige Bestreben, der Kundschaft möglichst alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, lag sicherlich auch in den neuen Möglichkeiten zur Analyse des Spielverhaltens der Besitzer der immer besser vernetzten Konsolen: Die Hersteller sahen neuerdings, dass die meisten Käufer nie das Ende ihrer Titel sahen und zogen dann aus Erfolgen von Serien wie Uncharted oder dem maximal ungezwungenen Spielzeug-Ansatz der Wii einen nur vordergründig naheliegenden Schluss: Games sollten einfacher, zugänglicher werden.
Das Resultat war maximal Zielgruppen-getestetes und Telemetrie-gesteuertes Spieldesign, das den Markt für ein paar Jahre beherrschen sollte. Niemand durfte irgendwo auch nur eine Sekunde länger als nötig hängenbleiben, ein etwas verunsichertes Umschauen eines Testers schien schon gleichbedeutend mit einem Makel im Design. Ich habe keine Ahnung, wie viele eigentlich vielversprechende Konzepte im Verlauf ihrer Entwicklung all ihre interessanten Ecken und Kanten eingebüßt haben, weil ein bestimmter Prozentsatz der Fokusgruppe gefragt hat, was das eigentlich soll. Entwickler haben in dieser Zeit zweifelsohne eine Menge wichtiger Erkenntnisse über Spielerführung gewonnen, die das Medium bis heute bereichern. Aber es hat uns auch eine Menge gekostet.
Demon's Souls war das erste vorsichtige Anzeichen, dass ein großformatiges Spiel sich nicht automatisch zu Tode erklären muss. Dass es okay ist, 60 Euro zu nehmen und sich trotzdem nicht als Bückling vor dem Spielenden in den Dreck zu werfen. Dass harte Liebe manchmal inniger erwidert wird als anbiedernde Streicheleinheiten. Auf einmal erinnerten wir uns, dass ein Spiel auch ein stimulierendes, inspirierendes Kräftemessen sein kann - und dass die Games der 00er Jahre schon seit langem nur so taten, als würden sie sich wirklich reinhängen. Wie ein Erwachsener, der Tauziehen mit einem Kind spielt und so tut, als würde er es ernst meinen. Wir wollten aber nicht wie Kinder behandelt werden.
Aber: Demon's Souls geisterte auch erstmal vornehmlich als virales Import-Schreckgespenst durchs Internet, hauptsächlich wahrgenommen durch Leute, die sich auskannten. Dass es sich dabei nicht allein um die Rebellion einer kleinen Minderheit an SpieletraditionalistInnen handelte, das erfuhren wir erst später. Ausgerechnet Bandai Namco wagte den Poker, als es darauf setzte, dass die Aufregung um Demon's Souls mehr als nur ein Strohfeuer war - und blies den Nachfolger des unwahrscheinlichen Geheimtipps - Dark Souls - zum Blockbuster auf, der nur eines im Sinn hatte: euch zu töten. Das "You will die!"-Versprechen der Marketing-Abteilung war vielleicht ein wenig bemüht, aber es rüttelte eine Community wach, die in den Spielen seinerzeit einfach keine adäquate Befriedigung mehr verspürte, ob sie es nun wussten oder nicht.
Nicht länger wurde man mit der Nase auf Entdeckungen gestoßen, jede einzelne Regel erklärt und den ewigen "Haste-gut-gemacht"-Refrain gängiger Großproduktionen sparte es sich auch. Stattdessen gab es das Spiele-Äquivalent zum anerkennenden Nicken eines in Ehre bezwungenen Feindes - und hinter jedem gefällten Boss das Versprechen, ein großes Geheimnis ein Stück weiter zu lüften. Man war wieder seines eigenen Glückes Schmied, nicht nur der nachrangige Erfüllungsgehilfe einer vorgeschriebenen Erfolgsgeschichte. Ausgerechnet in der - immer nur vorübergehenden - Ohnmacht vermeintlich unbezwingbaren Feinden gegenüber lag der Schlüssel zur ultimativen Ermächtigung des Menschen am Controller.
Dark Souls hat das keinesfalls erfunden und in nicht allzu weitem Abstand begann auch schon im Indie-Segment die Wiederentdeckung des höher gehängten Anforderungsprofils - Super Meat Boy kam im Jahr davor heraus, Fez eines später. Aber Dark Souls demonstrierte, wie sträflich auch aufwendiger produzierte Titel diesen speziellen Muskel vernachlässigt hatten, und dass sie gut daran taten, ihn mal wieder ein bisschen einzuölen und kräftig zu flexen.
Mit diesem Spiel brach er erstmal, der Bann allzu fluffiger und bedingungslos gefälliger Spiele. Die Publisher sahen - die Entwickler sowieso -, dass Spaß verschiedene Gesichter haben kann und nicht jedes davon muss einem auf den allerersten Blick gefallen. Diese Erkenntnis schlägt bis heute hohe Wellen, die eingetretene Design-Pfade zu breiten Straßen mit großer kreativer Bewegungsfreiheit ausspülten. Ich bin davon überzeugt, ohne From Softwares Gespür und ohne Bandai Namcos Einsatz, dieses ungewöhnlich hartherzige Erlebnis an die breite Masse heranzutragen, gäbe die Spielewelt heute ein anderes, traurigeres Bild ab.
Um dafür dankbar zu sein, muss man nicht einmal ein Fan der Reihe sein. Insofern: Lieben Dank, Dark Souls. Happy Birthday - lass' dich feiern!