Tomb Raider vom Adventure in Richtung Action.
Wie sich Tomb Raider vom Adventure in Richtung Action verschiebt, ohne zu Uncharted zu werden. Ob Forscher sich hiervon ausreichend bedient fühlen, bleibt offen
Gute zwei Stunden waren es, in Dauer und auch Qualität, die ich vergangenen Monat mit dem neuen Tomb Raider in den Hamburger Räumlichkeiten von Square Enix verbrachte. Der Start des Spiels bis zum ersten abgesetzten Notruf von der Spitze eines vereisten Antennenmastes zeigte einen schönen Querschnitt durch ein Spiel, von dem man bisher nicht so recht wusste, was es nun sein wollte und wie sich nun sein Ablauf gestaltet. In diesen zwei Stunden jedoch nahm das neue Tomb Raider für mich erstaunlich konkrete Form an und noch dazu eine, die mir gut gefällt. Auch wenn ich über eine Sache ins Grübeln geriet.
Wenn man die gespielten Szenen neben eine beliebige Gruft des Originals hält, wird 2012 eindeutig mehr gekämpft, geschossen und gebissen. Die ersten drei Tomb Raiders waren beinahe eine meditative Erfahrung, wenn man in seit Jahrtausenden leer gefegte Ruinen ganz allein und abgeschnitten von der Außenwelt unterwegs war. Wie oft fragte man sich: Wie will sie hier bloß wieder rauskommen? Die Suche nach dem Weg, das Erkunden unwahrscheinlicher, aber immer irgendwie denkbarer mystischer Bauten war beinahe alleiniger Spiel-Inhalt. Die zehn bis fünfzehn Prozent Anteil, die die Feuergefechte gegen ausgehungerte Biester am Gesamtspiel hatten, änderten an dem Eindruck eines reinen Erkundungsspieles wenig.
Crystal Dynamics will durch die Mischung glänzen.
Und auch, wenn es im neuen Tomb Raider so einiges zu erkunden und zu finden gibt, so macht sich die Nähe zu den actionreicheren Third-Person-Abenteuern mit Cover-Mechanik doch deutlicher bemerkbar, als ich zunächst gehofft hatte. In Survival und Progression - Jagen und Skillpunkte verteilen - kommt einem hier sogar beinahe Far Cry 3 in den Sinn, während die Shootouts mit der hundsgemeinen Kommune ebenfalls verschollener, aber mittlerweile in ihrer Barbarei organisierter Inselbewohner eher in Richtung Drake schielen. Allerdings mixt Crystal Dynamics sein Spiel deutlich heterogener durch, als Naughty Dog das für gewöhnlich tut. Die Elemente changieren in häufigerem Wechsel. Gerade noch bekomme ich es hin, mich in einem der ersten offeneren Hub-Gebiete auf der Suche nach Jagdwild und Pfeilen kurz zu verlaufen, dann schleiche ich mich auch schon zielstrebig durch ein schmal angelegtes Camp voller menschlicher Feinde.
Schnelle und kurze Schusswechsel folgen auf immer wieder kurze Abstecher in kleine Seitenwege, nur weil man hier eine Kiste mit Schrottteilen erwartet, mit denen man nach Erwerb einer Bauanleitung Bogen und Steigeisen verbessern kann, um so größeren Schaden auszuteilen oder neue Bereiche zugänglich zu machen. Regelmäßig kommt man auch vom Pfad ab, weil man die überall in den Bäumen hängenden Talismane finden und abschießen möchte, bevor man in einer lebensgefährlichen Situation ein nettes und recht subtiles Puzzle präsentiert bekommt, dessen Lösung ich versprechen musste, nicht zu verraten. Wo Tomb Raider 1996 eigentlich stets gleich blieb, wechselt Tomb Raider im Jahr 2012 seine Gestalt ohne Unterlass.
"Für mich ging es mehr um die Mischung", erzählt uns Creative Director Noah Hughes im Anschluss an unsere Anspielsitzung auf die Frage, woher die Verschiebung von der Erkundung in Richtung Action rührt. "Es geht für mich nicht allein um die Durchquerung der Umgebung, nicht allein um Puzzles oder Kampf, ich wollte eine Balance finden zwischen diesen Dingen. Streckenweise ist das Spiel stärker auf den Kampf fokussiert, dann andernorts, gerade, wenn du genug davon hast, wieder mehr auf die Erkundung der Umgebung und das Klettern. Wir wollten einfach nur eine Balance finden, die dafür sorgt, dass der Spieler immer etwas Frisches bekommt."
Zwei Stunden können kurz sein - vor allem für die Charakterentwicklung.
Und frisch war es. Die zwei Stunden vergingen wie im Flug und doch vermisste ich noch irgendwie das Forschergen in Lara. Hughes zufolge sind die einleitenden Umgebungen aber die linearsten im Spiel, erst später will man das Erlebnis mithilfe breiter angelegter Hub-Umgebungen in einer Weise öffnen, die dem Spieler erlaubt, das Tempo des Abenteuers selbst zu bestimmen. Eingangs wollte man sich auf die Narrative konzentrieren, bei der die junge Britin vom Greenhorn zur Überlebenden wird. Ich hatte jedoch das Gefühl, ihre Entwicklung vom arglosen Mädchen zur fähigen Killerin bereits in diesen zwei Stunden zur Gänze miterlebt zu haben, erledigt Lara im Sturm auf die Antenne doch sogar schwer gepanzerte Menschen mit den ihr zur Verfügung stehenden Waffen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Nun, das ist auch so noch mehr Charakterentwicklung, als andere Supersoldaten über die komplette Kampagne ihres Spiels spendiert bekommen und natürlich steht für sie zu Beginn an erster Stelle ihr Überleben und das ihrer Mit-Gestrandeten. Ich bin gespannt, wie sich der Ablauf später gestaltet und wohin sich Lara von hier aus entwickelt. Rein spielerisch war die Entwicklung in den unterschiedlichen Skill-Trees durchaus interessant, denn Lara erhält für fast jede Entdeckung Erfahrungspunkte, die ihr in einem netten Seitenhieb an Dark Souls an Lagerfeuern in neue Fertigkeiten investieren dürft.
Einige fand ich dabei etwas redundant, etwa, wenn ihr eure sauer verdienten Punkte darin investieren sollt, mehr Ressourcen durch die "sekundäre Erkundung", wie Hughes das Stöbern abseits der Story-Pfade nennt, zu erhalten. Toll fand ich hingegen, dass ihr hier auch ihr Bewegungsrepertoire und das Kampfsystem ein wenig mitformen dürft. Wer weniger darauf aus ist, Lara zu einem Nathan-Drake-Protege zu erziehen, schaltet sich Nahkampf-Skills frei, mit denen Gegner zum Beispiel geblendet und anschließend ausgeknockt werden können. In meinem Fall sorgte das dafür, dass ich deutlich häufiger die Nähe zu meinen Angreifern suchte, anstatt mich aus sicherer Deckung heraus meiner Pistole zu bedienen.
Was das Design der ersten, kleinen Hub-Bereiche angeht, muss man Crystal Dynamics ein Kompliment machen. Mehrere Wege führen zum Ziel, ohne dass einen einer so provozierend anblinken würde, wie das bei Nathan Drake geschieht. Und so macht man sich einen Spaß daraus, bei seiner Rückkehr in ein Gebiet ganz bewusst eine andere Route einzuschlagen. Auch hier setzt sich das Spiel inhaltlich von der Sony-Konkurrenz deutlich ab, überlässt euch so mehr Initiative, was bei einem Titel um diese spezielle Heldin mehr als nur willkommen ist.
"Technisch gesehen begeistert das Spiel vor allem in der Nahansicht seiner belebten Protagonisten und in den detailreichen, natürlich anmutenden Höhlen."
Technisch gesehen begeistert das Spiel vor allem in der Nahansicht seiner belebten Protagonisten und in den detailreichen, natürlich anmutenden Höhlen. Die größeren Außenareale sahen allesamt bildschön und organisch aus, weil die Vegetation und Tierwelt überzeugen. Und die Post-Processing-Effekte - Nebel, Wasser auf der "Kamera" und ein gewisser Schmutzfilter - erzeugen stimmiges Survival-Feeling. Man fühlt sich abwechselnd dreckig, unterkühlt und regelrecht am Ende, wenn man in den ersten Stunden ums Überleben kämpft. Tearing war in der gespielten Xbox-360-Version schon jetzt nicht mehr zu bemerken, die Bildrate war sehr stabil, und dennoch muss ich, was die Technik angeht, ein wenig meckern.
Hardware am Limit
Mehrfach blickte ich auf den Monitor meiner Nebenspielerin, um festzustellen, ob ihr Bild auch so leicht verschwommen war wie meines und tatsächlich: Beide Bildschirme zeigten ein leicht ausgewaschenes Bild, das etwas nachzuziehen schien und es teilweise schwer machte, in größeren Bereichen Details auszumachen. Teilweise übersah ich in Schusswechseln sogar Gegner. Zu diesem Zeitpunkt ist für mich leider nicht zu rekonstruieren, ob das an den Fernsehern lag - wir spielten beide am gleichen Modell - oder ob hier eine niedrige Auflösung etwas unsauber hochskaliert wurde. Trotz augenscheinlich wirklich toller Engine und schön detailversessen ausgestalteter Umgebungen hatte ich ständig das Gefühl, mit dem Ärmel über den Screen wischen zu wollen. Hoffentlich ändert sich bis zur Veröffentlichung daran noch etwas - ansonsten gibt es ja immer noch eine PC-Version, die in 1080p sicherlich eine fabelhafte Figur macht.
Auch wenn Fans der ersten Stunde dem Expeditions-Feeling der ersten Teile hinterher trauern werden: Das hier ist allem Anschein nach ein großes, vielseitiges und spannendes Action-Adventure, das als Origin-Story sehr gut funktionieren könnte. Trotzdem wird man wird abwarten müssen, wie der bunte Strauß an Elementen und Mechanismen am Ende zusammenkommt. Bisher fließt alles recht nett dahin und wenn man Gelegenheit bekommt, sich treiben zu lassen, versinkt man schnell im toll gestalteten Überlebenskampf.
Sollten sich die Hub-Bereiche, wie Hughes sagt, später tatsächlich noch weiter öffnen, die Erkundung der Neben-Pfade lohnenswert sein und der lineare Weg durch die Handlung weiter so packend und intensiv erzählt bleiben, bekommen wir hier eine Wiedergeburt präsentiert, die sich gewaschen hat. Bei allen oberflächlichen Ähnlichkeiten zu Uncharted - Parallelen, die in umgekehrter Richtung schon nach Drake's Fortune gezogen wurden - unterstreicht der Titel nur erneut, wie unterschiedlich beide Marken doch ticken. Wir - die Spieler - sind dadurch letzten Endes umso besser dran.