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Wolcen: Lords of Mayhem - Test: Der Erfolg von Wolcen beweist, dass das letzte Diablo zu lange her ist

Warten auf den Teufel

Mehr als passables, aber in Summe etwas uninspiriertes und vor allem unfertiges ARPG. Als Lückenfüller bis zur Rückkehr des Königs gut genug

Keine Frage, Wolcen ist im Kern ein nettes und hübsch anzuschauendes Action-Rollenspiel. Ein wenig generisch vielleicht, aber anpassungsfreudig und durchaus rasant. Letzten Endes sicher nicht weltbewegend neu, vor allem wenn man Diablo und Path of Exile schon Hunderte Stunden durchexerzierte. Es ändert nichts daran, dass man streckenweise ordentlich, manchmal sogar richtig gefällig unterhalten wird. Es ist einfach so: Wenn man diese Sorte Verhackstückelung auf einer grundlegenden Ebene gut hinbekommt, dann hält sie mit Loot und Levels fast wie von selbst bei der Stange, das ist so wahr wie, dass Wasser nass ist.

Auf den zweiten Blick ... mh... Wolcens Schönheit ist eher einer technischen Natur, die zwar direkt irgendwie ansehnlich wirkt, aber niemals wirklich hängenbleibt. Es ist die Sorte Optik, die sich vorne mit C, R und Y schreibt, aber die Chance vergibt, zu einem echten Look zu werden - zugunsten eines Aufzugs, der aussieht, als hätte ihn der Schneider von Diablo 2 für ein neues Warhammer-Spiel maßgefertigt. Dennoch: In Zwischensequenzen macht das trotz teilweise steifer Animationen durchaus was her und das ändert sich auch im Laufe der drei Kapitel nicht mehr.

'Ähm ... Eddie? Sind wir die Bösen?'

Was sich ebenfalls nicht ändert, während man so vor sich hinmeuchelt und mit an Waffengattungen, aber nicht an Charakterklassen gebundenen aktiven Skills herumspielt, ist das Bild, das das Spiel von der ARPG-Community zeichnet: Wie ausgehungert muss sie sein, dass ein zweifellos ganz netter, aber irgendwo auch alles andere als zwingender und vor allem schlimm verbuggter Underdog aus Frankreich auf einmal das drittmeistgespielte Game auf Steam ist? Kein Zweifel: Der Grund für den Erfolg Wolcens liegt weniger in der Qualität des Spiels (das wirkt schlichtweg nicht ganz fertig), sondern am Kontext, in dem es erscheint.

Wenn man mal nachrechnet, wundert man sich nicht zu knapp: Diablo 3 und sogar Path of Exile sind mittlerweile steinalt, das jüngere von beiden hat schon sieben Jahre auf dem Buckel. Man kann die Knie der Action-RPG-Fans förmlich schlottern hören. In einer Mischung aus Entzug, weil sie nach Neuem darben, und Angst, die Nachfolger könnten nicht das liefern, was man sich von ihnen erhofft. Wolcen geht auf Nummer sicher, verpackt das, was die Fans mögen, in hübsche und nett knisternde Verpackung und macht damit, zumindest theoretisch, alles richtig. Der Erfolg verbrieft das Schwarz auf Weiß.

Grafisch ist Wolcen über jeden Zweifel erhaben. Die Gestaltung ist wie immer Geschmackssache.

In der Praxis aber? Nun, es ist eine Weile her, dass ich ein Spiel spielte, das sich so unfertig und noch nicht ganz da anfühlte wie Wolcen. Für Beispiele muss ich nicht lange nachdenken. Tool-Tips, die auftauchen und dann aber nicht wieder verschwinden und bis zum Neustart einen kleinen, aber feinen Teil des Bildes verdecken, sind noch das geringste Problem. Skills, die zeitweise nicht wirklich funktionieren, verschluckte Inventargegenstände, gelöschte persönliche Truhen, Verbindungsprobleme, ausgeschriebene, aber nicht ausgeschüttete Belohnungen, auf diverse Weisen verlorener Spielfortschritt und ein wahnwitziger und laut Early-Access-Feedback schon länger katalogisierter Gold-Exploit, der im schlimmsten Fall einen weiteren Wipe nach sich ziehen wird. Das sind Sachen, die mir einfallen, ohne dass ich in meine Notizen schauen muss. Halt, ich habe die nervigen kleinen Fledermausgegner vergessen, die für eine Attacke anzuklicken katastrophal schwierig ist, während sie mich problemlos treffen. Weiter geht's mit beschworenen Kreaturen, die sich mehr schlecht als Recht in den Kampf einbringen, und so weiter und so fort. Das Spiel dürfte noch eine Weile eine Baustelle bleiben. Immerhin arbeiten die Entwickler aktiv daran, die Probleme in den Griff zu bekommen.

Wenn alles funktioniert, und das tut es ja phasenweise auch, ist das hier die vertraute Art von Hotkey-Jonglage, wenn man ein halbes Dutzend Schnelltasten für maximale Effizienz im Rhythmus der Cooldowns durchmalträtiert und freut sich dabei an dem einen oder anderen Effekt, sofern die Aktionen mal nicht ein wenig träger ausgeführt werden, als es müsste. Nebenher klickt man das sich reichlich ergießende Loot ins Inventar, bis das Säckerl mal wieder voll ist, und verhökert die Inhalte dann per Townportal beim Händler. Oft, grundsätzlich eigentlich, ist wahnsinnig viel Schrott dabei, den man kaum anschaut, sofern er nicht attraktiv farblich kodiert ist und die Sternewertung nicht mindestens gleichauf mit der aktuellen Ausrüstung ist. Die Halbwertszeit eurer Ausrüstung ist gewohnt niedrig. Meine Freude über diese Art von Belohnung hält sich schon länger in Grenzen. Aber das mögen andere nicht so sehen wie ich.

Wenn man ganz am Anfang steht, kann der passive Fertigkeitenbaum schon einschüchternd wirken. Tatsächlich weiß man die Optionen aber irgendwann sehr zu schätzen.

Cool ist allerdings die Art, wie Wolcen die aktiven und insbesondere die passiven Fähigkeiten handhabt. Welche aktiven Skills ihr ausrüsten könnt, bestimmt allein eure Waffenkombination, in meinem bevorzugten Fall Pistole und Einhandaxt, wodurch ich dann ein paar Fernkampf und Nahkampffertigkeiten mixen darf. Magie bleibt in dem Fall außen vor. Aktueller Lieblings-Skill in Aussehen und Anwendung ist eine Railgun, deren Schuss ich aufladen darf und die mehrere Feinde in Folge durchdringt. Geschicktes Kiten wurde fortan zu meiner bevorzugten Spielweise, wo ich vorher eher mittenrein bin in die Gegnerpulke. Andere Skills sind eher Fire-and-forget und damit mehr zweckdienlich als wirklich spaßig zu benutzen, aber die Mischung ist schon okay. Schön ist auch, dass sich die Skills mit der Zeit modifizieren lassen und ihr wägt dann ab, ob ihr lieber eure Punkte in mehrere kleinere Perks investiert oder auf stärkere konzentriert.

Auch der passive Fertigkeitenbaum lässt Raum für Experimente. Drei konzentrische Ringe unterschiedlicher Größe tragen eine Formation einzelner passiver Buffs, durch die man sich immer weiter nach außen und zu stärkeren Vorteilen klickt. Farblich kodiert sind sie ebenfalls, um zu sehen, welcher Spielweise vom Krieger bis zum Magier sie in die Karten spielen. Der Clou ist, dass sich die äußeren beiden Ringe drehen lassen und sich so verschiedene Laufbahnen verknüpfen lassen. So werden feinzahnige Abstufungen und Mischformen machbar. Es wälzt eure Spielweise nicht um, ist aber eine nette Spielerei und definitiv nicht ohne Motivation.

Auch die Stadt baut ihr ein wenig aus. Leider führt auch das einfach nur zu Verbesserungen an eurem Charakter.

Nicht dumm ist auch das Tauziehen auf der Ressourcenleiste: Ihr startet ein Gefecht immer mit ausschließlich Willenskraft, mit der ihr physische Attacken ausführt. Wann immer ihr Willenskraft aufwendet, schrumpft diese lila Leiste, zugunsten einer gelben, die sich Wut nennt. Die wiederum befeuert andere Skills. Hier ergibt sich einiges Potenzial für sich bestens ergänzende Skill-Builds und außerdem wird so der Blick ein wenig von der Cooldown-Anzeige abgelenkt. Man kann sich da ganz gut einfuchsen - nicht, dass es am Ende den größten Unterschied macht, WIE ihr eure Feinde killt. Nichts hiervon ist ein Geniestreich, aber Wolcen muss sich zumindest nicht den Vorwurf gefallen lassen, es sei ein ideenloser Klon, der willfährig alte Automatismen abruft.

Die Geschichte fängt unterdessen vielversprechend an: Ihr seid eines der Kinder des mächtigen Heimlock und einer der Chefschlächter einer Armee, deren Mitglieder sich hoffentlich auf täglicher Basis fragen: "sag mal, kann es sein, dass wir die Bösen sind!?" Bei einem Kampf gegen eine dämonische Bestie bricht aus euch ein ebenfalls ziemlich ätherischer Geisterkrieger heraus, was bei euren dezent inquisitorisch angehauchten Kumpanen nicht gerade mit Applaus aufgenommen wird. Es geht also ganz interessant los, verliert sich im weiteren Verlauf dann aber in üblicher Fantasy-Beliebigkeit, bevor die Kampagne dem Endgame Platz macht, in dem man dann zufallsgenerierte Level mit diversen Modifikatoren für maximales Loot wieder und wieder angeht. Wie weit das die Community trägt, ist bislang nicht abzusehen.

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Ohne Frage: In Wolcen steckt unter all den schwerwiegenden, aber vornehmlich technischen Problemen ein Spiel, das seine Hausaufgaben gemacht hat. Das Diablo, Path of Exile und Torchlight Hunderte Stunden suchtete und weiß, wie diese Sorte ARPG auszusehen hat. Aber im Grunde ist das nur das Mindeste. Für den Moment unterhalten die prunkvolle, wenngleich etwas generische Optik und die netten Systeme, mit denen man seine passiven und aktiven Skills entwickelt, durchaus kompetent, sofern man gerade keinem gemeinen Bug auf den Leim geht. Trotzdem habe ich schwere Zweifel daran, dass irgendjemand hiermit noch befasst sein wird, wenn Torchlight 3, Diablo 4 oder Path of Exile 2 auf den Plan treten.

Irgendwie gönne ich Wolcen den aktuellen Erfolg. In erster Linie, weil die Entwickler genau wussten, welche Art von Spiel sie und die darbende ARPG-Community sehen wollten. Aber machen wir uns nichts vor: Im Grunde zeigt er nur, dass das letzte Diablo einfach viel zu lange her ist. Juckt es euch sehr in den Fingern, beobachtet am besten noch eine Weile die Patch-Situation. Ist hier das meiste bereinigt, kann sich ein Blick hierauf lohnen.


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Entwickler/Publisher: Wolcen Studio - Erscheint für: PC - Preis: ca. 35 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: Ja, Kosmetisches - Getestete Version: PC

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