Wolfenstein 2 - Zwischen Wahnsinn und Ehrlichkeit
The New Colossus Cheferzähler Tommy Tordsson Björk über Zeitlinien, den Sprung in die USA und den richtigen Ton.
Wer es aus dem zugegebenermaßen alles andere als fesselnden ersten Level von Wolfenstein: The New Order schaffte, dem eröffnete sich der wohl wildeste Ritt 2014. Ein vollkommen von den Leinen gelassener perfekter Sturm aus wundervoll eingängigem Waffenfeedback, forderndem Gefechtsdesign und nicht zuletzt einer Geschichte und Charakteren, die genau wussten, wann sie einen zum Lachen bringen mussten - und wann dem Spieler sein Gegacker gefälligst im Halse steckenbleiben sollte. Machine Games inszenierte den Weltkriegssieg des *zwinker, zwinker* Regimes über den Rest der Welt auf dem Buckel einer abgehobenen, aber von starken Figuren gestützten Pulp-Mär als Wechselbad der Gefühle.
Das Spiel nahm die geschilderte Situation ernst, ließ aber überlebensgroße Charaktere darauf mit Sci-Fi-Werkzeugen und zwischen Eighties-Quatsch und Arthouse-Irrsinn schwankender Attitüde reagieren. Es war eine unwahrscheinlich potente Mixtur und für mich eine aufregende Art, den Story-basierten Shooter wieder aufleben zu lassen.
Aber ich hatte auch immer ein bisschen den Verdacht, dass Machine Games hier mehr zufällig als geplant dieser krude Klumpen Ballergold vor die Füße gekullert war. 30 Minuten mit Narrative Designer Tommy Tordsson Björk später verkehrt sich dieser Eindruck, Machine Games hat hier rein gar nichts dem Zufall überlassen.
Aber wie geht man - mal ganz grundsätzlich - an das Design eines solchen Spiels? Was kommt in seiner verschrobenen Anatomie zuerst, die Idee für ein Missionsszenario, einen Level, um die man dann eine Geschichte schreibt? Oder existiert die Geschichte zuerst und man arrangiert Spielsituationen um die Charaktere und die Handlung herum? "Das ist immer ein Geben und Nehmen", schildert es Tordsson Björk. "Wir als Studio konzentrieren uns einfach sehr darauf, eine wirklich gute Geschichte auf immersive Weise zu erzählen." Als erstes erdenke man in der Regel die Prämisse, entwickle Ideen für die Entfaltung der Geschichte und die Figuren. "Dann brainstormen wir mit dem gesamten Rest der Firma, was Locations und Szenarien angeht, die zum Spiel und seiner Prämisse passen. Und sobald wir das haben, integrieren wir das Gerüst der Handlung, staffieren damit diese Lokalitäten aus. Das ist ein recht komplexer Prozess."
Ein Prozess, der im Team leichter fällt. "Besonders den Rahmen des Spiels abzustecken gelingt gemeinsam am besten. Sobald der steht, wissen wir, 'im Laufe dieses Kapitels landen wir hier, hier und hier'. Dann arbeiten wir die Geschichte dementsprechend weiter aus, schreiben einzelne Szenen zwischen Figuren, Skript-Sequenzen und Zwischensequenzen, die alles weiter konkretisieren", erzählt Torddson Björk. Schaut man sich die ersten Trailer zu The New Colossus an, werden Haupt- und Nebendarsteller ganz schön in die Mangel genommen, kein Charakter fühlt sich wirklich sicher an, wenn man von BJ Blazkowicz, der zum zweiten Mal in Folge als Pflegefall in sein Spiel startet, mal absieht. An welchem Punkt des Designs dieser Geschichte verfasst ein Erzähler wie Tordsson Björk schon seine persönliche Abschussliste, welche lieb gewonnenen Figuren aus dramaturgischen Gründen das Zeitliche segnen sollen?
"Das hängt davon ab", schmunzelt Tordsson Björk. "Wir machen das definitiv nicht immer. Aber natürlich gibt es immer Ideen für Charakterbögen, die unserer Meinung nach einen Dienst an der Handlung darstellen würden. Aber so sollte es eigentlich immer sein: Was ist das Beste für die Geschichte, was ist der aufrichtigste, ehrlichste Weg, sie zu erzählen? Wenn ich dafür eine schwierige Entscheidung treffen muss, dann ist das eben so." Die Schwierigkeit dabei sei, nicht manipulativ rüberzukommen. Tordsson Björk stellt das auf seine ganz eigene Weise sicher. "Der Trick ist, dass auch wir die Charaktere kennen und lieben lernen, diese Welt ergründen wollen, als seien wir selbst ein Entdecker dieser Geschichte, anstatt zu denken 'hm... wie kriege ich es hin, meine Spieler zu deprimieren?' Wenn man beim Schreiben der Geschichte ehrlich zu sich selbst ist, dann kommt das auch beim Spieler an", ist er sich sicher. Wenn man es im Zuge dessen eine Gefühlsregung beim Spieler auslöst, sei das umso besser.
Nein, einfach macht es sich dieses Studio sicher nicht, was man auch daran erkennt, dass der verzweigte Handlungsstrang auch im zweiten Teil fortgeführt wird, ihr erlebt also euer Abenteuer wieder entweder mit Unterstützung Wyatts unter Einsatz von Laserwaffen oder an der Seite von Fergus Reid, dessen Überleben im ersten Teil die Entwicklung von Diesel-basierten Ballermännern auslöste. Tordsson Björk bereut die gesplittete Zeitlinie nicht, na gut, nur in einer Hinsicht. "Ich bereue das, und dann wiederum nicht. Für uns bedeutet das natürlich mehr Arbeit und Probleme, die es zu lösen gilt, aber es schenkt dem Spiel so viel. Das muss man sich mal überlegen, alternative Zeitlinien in einem Spiel, das in einer alternativen Zeitlinie spielt."
Die Frage des seltsam verschmitzten Tons in einem derben, aber auch latent hoffnungslos und verstörend aufgezogenen Spiel ist aber selbst mit Tordsson Björks eingehender Beschreibung der internen Prozesse bei Machine Games nicht vollends beantwortet. Bin ich der Einzige, dem unkomplizierter Ballerspaß an der Seite von Over-the-top-Charakteren, Rassenwahn und Faschismus-Ikonografie wie eine seltsame Paarung erscheinen? Ich habe keine Ahnung, wie sie es hinbekommen, dass man die Figuren und das Geschehen um sie herum zu jedem Zeitpunkt für voll nimmt, ganz bei ihnen ist. Das muss eine schwierige Jonglage sein, oder nicht? Tordsson Björk reagiert, wie jemand reagieren muss, der sich so nah am Projekt bewegt, dass es ihm wie das normalste auf der Welt vorkommt. "Ich meine, ich schätze schon. Das ist einfach die Art, wie wir gerne Geschichten erzählen, Jens [Matthies, Creative Director] und ich."
"Wir mögen diese Brüche in der Tonalität", fährt er fort "schätzen es, nicht immer dieselbe Note anzuschlagen. Ich setze mich nicht hin und versuche, mir bewusst so etwas einfallen zu lassen. Ich schreibe einfach, was sich für mich gut anfühlt. Geschichten, die ich selbst hören und erzählen wollen würde. Storys, die Leichtigkeit und Finsternis gegenüberstellen, in denen sich Humor an Traurigkeit und Gewalt reiben." Gleichzeitig gibt es auch für ein dermaßen zügellos wirkendes Spiel Grenzen. Viel bekommt man vom vielfachen Genozid, den das Vorbild des Regimes praktizierte, in der Welt von Wolfenstein nicht direkt mit. Thordsson darüber, warum das vermutlich besser ist:"Unsere Welt ist ja kein Spiegel echter Geschichte. Natürlich basiert es auf dem, was wirklich passierte und es ist auch nicht so, dass wir direkt davor zurückscheuen würden. Aber das hier spielt in dieser verrückten alternativen Realität, und das ist es, denke ich, was wir ergründen wollen."
Das Produkt ist trotzdem ein Spiel, das all die Boshaftigkeit des Regimes auf seine eigene, überzeichnete Art stabil vermittelt und niemals verharmlost. Man weiß zu jeder Zeit, wer hier das Vorbild war und gleichzeitig findet die Handlung - ausgehend vom Vorgänger - den rechten Ton, die Gräuel des Zweiten Weltkrieges geradezu kathartisch zu brechen. "Ich glaube, es funktioniert so gut, weil es gleichzeitig ehrlich und komplett verrückt ist", fast Tordsson Björk es zusammen. Machine Games wusste wohl tatsächlich, welche Sorte Eisen man mit The New Order im Feuer hatte. Dennoch traf sie die gute Rezeption des Spiels nicht gänzlich vorbereitet. "In gewisser Weise überraschten uns die Reaktionen tatsächlich. Wir freuten uns natürlich sehr, gerade weil es im Vorfeld immer schwer abzuschätzen ist, wie etwas ankommt."
Weniger gut an kam zu Beginn der erste Level, der dem einen oder anderen Spieler fast zum Rausschmeißer gediegen wäre. Schlecht war er nicht, aber ein bisschen zu lang, trotz Panzerhund zu grau und einmütig, bevor er schließlich die Hosen herunter lässt, was für eine Sorte Spiel das hier werden würde: Die Wahl zwischen Fergus und Wyatt und die fantastische Zeitraffer-Sequenz im Krankenhaus bildeten einen Doppelschlag, nach dem man so unfassbar viel mehr Lust auf das verspürte, was dieses Spiel im Rest der Kampagne so abbrennen würde. Auch Tordsson Björk sieht den einleitenden Abschnitt heute nicht unkritisch, bringt aber auch ein paar gute Punkte zu seiner Verteidigung vor. "Das ist wirklich knifflig. Der Level funktioniert als Bindeglied zwischen den alten Spielen und dem hier gut. Ich glaube auch, dass diesen Level so durchzuexerzieren die spätere Enthüllung sehr viel machtvoller gestaltete. Vielleicht hätte man hier und da am Pacing arbeiten können, aber ich glaube, was wir hier in New Colossus geschaffen haben, wird die Leute unmittelbar in ihren Bann ziehen."
Tordsson Björk spielt auf die Rollstuhl-Sequenz aus dem Trailer an und hat recht. Ich hatte mich aufrichtig davor gefürchtet, weil ich eine klobige, träge Steuerung erwartete - warum weiß ich heute auch nicht mehr, denn als ich die Szene anspielte, war ich überrascht, wie toll sie von der Hand ging. "Die funktioniert so gut", grinst Tordsson Björk. "Wir haben wirklich gute Spieldesigner, die ihr Ding echt drauf haben."
Nachdem The New Order das europäische Festland unter Regime-Flagge zeigte, setzt die Reihe nun zum Sprung über den Teich an. Für Machine Games bedeutet das mehr als amerikanische Ortsschilder, Diner und Weißwandreifen. "Wir hatten immer die Vision, irgendwann nach Amerika zu gehen. Aber wir wussten, dass wir das nicht nur für einen Level tun konnten. Es musste also ein eigenes Spiel sein", erinnert sich Tordsson Björk. "Es gibt hier so viele interessante Dinge zu ergründen. Diese archetypischen Bilder dieser Ära, die Kulturrevolution, die Bürgerrechtsbewegung - diese Sachen durch diese gesprungene Linse zu sehen, gewährt uns so viele Möglichkeiten."
Eine davon ist natürlich auch der Clash der im Rassenwahn gefangenen Invasoren mit der deutlich bunteren Bevölkerung der USA, was Machine Games definitiv thematisieren möchte, wenn es sein einer Diktatur unterworfenes Amerika errichtet. "Das Regime tut all das für ihren Begriff der 'Herrenrasse', wir ergründen das definitiv im Spiel, zeigen den Glanz der Kulturrevolution, Sixties-Fernsehsendungen und solche Dinge. Doch direkt unter der Oberfläche lauert diese beklemmende Ideologie, die die Leute beeinflusst und versucht, ihre Überzeugung der amerikanischen Bevölkerung aufzuoktroyieren." Tordsson Björk schätzt die Möglichkeit, sich von dieser Warte aus dem Thema zu nähern. "Ich glaube, die Vertrautheit dieser Bilder wiegt einen gewissermaßen in Sicherheit, während Amerika in Wirklichkeit vom Regime unterjocht wurde."
In Zeiten maximaler politischer Polarisierung will Machine Games The New Colossus aber nicht direkt als Anspielung auf den Rechtsruck in den Staaten und sonst wo verstanden wissen. "Wir begannen vor drei Jahren mit der Arbeit am Spiel, was heute passiert, konnten wir also nicht wissen. Gleichzeitig ist es immer unser Ziel, zeitlose Werke zu erschaffen, etwas das auch Jahre später noch gespielt und verstanden werden kann", so Tordsson Björk. "Satirische Kommentare zu Dingen, die genau jetzt relevant sind, sparen wir uns daher lieber. Gleichzeitig sind auch wir nur Geschöpfe unserer Zeit, unser Unterbewusstsein ergießt sich also auf die Seiten. Das ist in der Kunst immer so. Am Ende ist am schöpferischen Prozess ohnehin immer interessanter, sich anzuhören, wie andere Menschen deine Arbeit interpretieren. Viel besser, als wenn wir euch sagten, was wir mit diesem oder jenem meinten."
Recht hat er, nehme ich an. Ich bin gespannt, wie die Reaktionen dieses Mal ausfallen, wenn Wolfenstein 2: The New Colossus als mittlerer Teil einer laut Tordsson Björk geplanten Trilogie am 27. Oktober erscheint.