Wolfenstein: The New Order - Test
Fatherland: Iron Sky Edition feat. Das Regime & Doctor Totenkopf
Wolfenstein: The New Order ist sicher ein möglicher Name und wohl nicht mal der schlechteste, doch eigentlich könnte man es auch Fatherland: Iron Sky Edition nennen. Aber der Name Wolfenstein ist wohl geeigneter, gerade in PC-Kreisen. Die können den Namen schließlich in einer Linie bis in die frühen 80er zurückverfolgen. Insoweit, eigentlich eine Ironie, dass einer der Titel, die zu der ersten Riege gehört, wenn es um Technik auf den Next-Gens geht, so aus der Zeit gefallen wirkt. Aber auch das passt, denn bisher waren neue Konzepte auf neuen Konsolen eh eine Rarität und ein Wolfenstein ist sicher nicht das Spiel, das zu ändern. Ganz sicher nicht.
Was ihr hier bekommt, ist in erster Linie ein echter Ego-Shooter, der bis zu einem guten und heutzutage teilweise bemerkenswerten Grad die üblichen Entwicklungen nicht verschlafen, sondern bewusst ignoriert hat. Gut für ihn, denn so kann er perfekt seine Stärken ausspielen und bei allem, was The New Order noch bieten mag: Das was es kann, sind zehn Feinde auf der einen Seite, ihr auf der anderen und "Go"! Diese Kämpfe sind brachial, intensiv und dank eines ausgesprochen soliden Waffenfeedbacks für alles, was Projektile von sich gibt, bis zum Ende und sogar darüber hinaus, das, was diesen Titel auszeichnet.
Es passt einfach. Das Level-Design ist selten wirklich auf Anspruch getrimmt, es kümmert sich mehr um die Schönheit seiner Motive. Aber auch das ist etwas, das ich nach so vielen Shootern, bei denen ich in einen Raum komme und schon anhand der aufgestellten Kiste ahne, dass gleich Action losgetreten wird, schätze. Natürlich weiß man häufig genug, dass in ein paar Sekunden Blei und Blitze fliegen werden, aber an keiner Stelle hatte ich dieses entnervte Gefühl, das mich beim Anblick eines bis auf korrekt angeordnete Barrieren leeren Raumes überkommt. Ich will es nicht subtil nennen und oft genug ist es sehr gradlinig, aber hey, es ist am Ende ein Wolfenstein. Das ist weit erfreulicher als schon wieder ein Deckungs-Shooter.
Eure Feinde, die Schergen des Regimes, das den Zweiten Weltkrieg aus Deutschland heraus gewann, Berlin zur Hauptstadt hat, die Germania-Halle baute, aber natürlich nicht die Nazis mit einem Hakenkreuz sind, tun ihren Teil, damit das Grundelement so gut funktioniert. Sie bewegen sich, schauen aus einer Deckung und wenn sie merken, dass ihr diese Ecke unter Feuer haltet, suchen sie sich lieber im Schutze von Wänden und Kisten eine bessere Position. Sie sind in der Lage, den Level zu nutzen und euch zu umgehen. Vor allem jedoch zielen sie verdammt gut. Nach so vielen statischen Deckungs-Shootern tut es richtig gut, sich mal wieder viel bewegen zu müssen. Es gibt ein rudimentäres Decken oder vielmehr Ducken hinter Ecken, aber es schützt euch alles andere als perfekt und umständlich zu handhaben ist es auch noch. Lieber solltet ihr einfach das tun, was eigentlich bei einem echten Ego-Shooter dazugehört, nämlich Positionen wechseln, geschickt den Seitwärtsgang einlegen und auch mal auf den Feind zuzustürmen und treffen. Es macht so viel Spaß, ich hatte fast vergessen, dass es auch ohne Cover-Mechanik und Auto-Heilung so gut sein kann.
Genau, es gibt kein In-der-Hocken-bleiben und kein Warten, bis der Bildschirm nicht mehr rot flackert und man wieder auf 100 ist. Immer bis zu dem nächsten vollen 20er-Schritt heilt ihr euch nach ein paar Sekunden, für alles andere solltet ihr die teilweise fast zu großzügig verteilten Heilpakete unterschiedlichster Qualität im Blick haben. Überhaupt müsst ihr suchen und sammeln und immer wieder den Sammelknopf drücken - was nicht die beste Idee war, was gibt es am guten, alten Drüberlaufen auszusetzen? Ihr dürft im Gegensatz zu anderen aktuellen Titeln alle Waffen, die es gibt, mitnehmen. Wolfenstein weiß, was sich gehört und dass ich nicht jedes Mal grübeln möchte, ob ich nun die Shotgun oder das Scharfschützengewehr haben möchte. 'Türlich will ich beides. Auch ein paar sehr seltene Upgrades und viel häufigere Collectibles holt ihr per Knopfdruck in den manchmal nicht ganz gradlinigen Stages ab. Genug zu tun also, vor allem, wenn ihr die Bonus-Spielereien hinter einer Tonne an zu findenden Enigma-Codes freischalten möchtet.
Aber selbst wenn euch dieser Krams egal ist und ihr schon bis an die Zähne bewaffnet und ausgerüstet seid: Nehmt nicht nur den offensichtlichen Pfad. Stürmt nicht sofort mit Kampfgeschrei und Waffengedonner in den Raum, The New Order möchte euch auch ein klein wenig legitimes Stealth anbieten. Mehr oder weniger jedenfalls. Licht und Schatten oder ähnliche Züge echter Schleicher dürft ihr nicht erwarten, es ist in seinen abweichenden Wegen auch nicht gerade Deus Ex, aber doch bietet fast jeder der größeren Räume auch Ecken, Nischen, Schächte und Gänge, mit denen ihr elegant die ersten Wachen umgeht, sie von hinten ausschaltet und so die Grüppchen der nicht endlos nachspammenden Gegner lichtet.
Hier zeigt sich jedoch auch die andere Seite der KI. Wie schon gesagt, im Kampf versteht sie ihre Haut teuer zu verkaufen, aber wenn sie euch nicht gesehen hat, dann scheint sie sich in einem vollständig lobotomisierten Zustand zu befinden. Nichts hören, wenig sehen, zumindest solange es nicht in direkter Linie und frei herumsteht. Das Extrembeispiel sind nicht nur die Hunde, die zwar kybernetisch verbessert wurden, dabei aber wohl ihren Geruchssinn einbüßten. Und die meisten anderen Sinne auch, denn so locker schleicht man sich nicht an einen schlafenden Hund heran. Und selbst wenn man das noch außen vorlässt und auch, dass die Wache, die mir und Hund den Rücken zudrehte, das Attentat auf den armen Vierbeiner nur zwei Meter entfernt nicht mitbekam: Als sie sich umdrehte und die Stealth-Aktion gerade im Gange war, hätte sie was sehen müssen. Stattdessen spazierte sie gelassen zu einem anderen Fenster, drehte wieder den Rücken zum Raum und wartete auf das Ende. Scheinbar ist die Animation des Kills selbst ein blinder Punkt für die KI.
Das nimmt dem Stealth ein wenig den Reiz, vor allem in den Bereichen, wo ihr offensichtlich genau auf diese Weise vorgehen sollt und teilweise auch nicht anders könnt. Nun, der nächste echte Kampf ist nie weit entfernt und dann zieht es ja auch wieder ordentlich an. Was ihr nicht erwarten dürft, sind Rätsel oder andere Spielelemente jenseits des Kerns aus viel Gefecht und etwas Stealth. Kurze Ruhephasen erzählen die Handlung, hier gibt es auch mal ein paar Sammelgegenstände für optionale Aufgaben extra, aber die Stages selbst sind ein erstaunlich eleganter Wechsel aus den beiden Grundmotiven. Ich hatte nie den Eindruck, dass das jetzt zu viel des einen oder anderen wäre, es wechselt das Tempo genau im richtigen Maße und hält euch durch seine je nach Schwierigkeitsgrad und eigener Fertigkeit um die zehn Stunden gut bei der Stange.
Daran nicht unschuldig ist natürlich die Handlung. Diese ist die vielleicht größte Überraschung. Statt zu platt zu sein oder sich komplett im Nazis-im-Weltraum-Wahn zu verlieren, versucht sie eine fast bodenständige Résistance-Liebesgeschichte zu erzählen, die nebenbei noch das Super-Regime aus den Angeln hebt. Es gibt ein paar legitim auf dem dramatischen Hoch eines B-Action-Films liegende Szenen und der altgediente William Joseph "B.J." Blazkowicz grummelt sich angemessen düster durch seine auch im Deutschen durchweg gut gesprochenen Zeilen. Aus all dem wird lange noch kein Charakterkino, es genügt jedoch, um die Helden nicht ganz so primitiv wirken zu lassen, wie die leider über weite Strecken scheinbar komplett vergessenen Bösewichte. Letztere nämlich gönnen sich immer wieder sehr lange Auszeiten und der letzte Boss gehört definitiv zu der "Ach ja, den gibt es ja auch noch"-Sorte. Die Nemesis einmal zum Start zu zeigen und zu sagen, "der ist es jetzt", schafft nicht gerade eine persönliche Hassbeziehung.
Auch ist der Ablauf der Handlung ein wenig daran schuld, dass ich mir als nächstes Spiel etwas suchen werde, was weniger Beton zeigt. Dieser Beton, aus dem die Nazis, Verzeihung, das "Regime", bis in die 60er es schaffen, eine ganze Welt im Stile von Metropolis zu zimmern, und wo er herkommt und mit ihm der Rest der Supertechnologie wie eure Laserwaffe - die einzige echte Future-Waffe, die ihr bekommt - oder die Mechs, das ist ein zentrales Storyelement. Es sorgt halt aber auch dafür, dass ich jetzt nach zwei Gefangenenlagern, drei Geheimlaboren und einer Reihe unterschiedlicher Anlagen erst mal genug von Sichtbeton habe.
Ein Gutes hat das ganze Grau jedoch schon: In der Umgebung ist relativ viel zerstörbar. Es gibt eine Geschichte auch um den porösen Beton herum, wichtig ist aber vor allem, dass er, je schwerer der Beschuss, immer schneller und den Blick frei gibt. Das schränkt die Zahl der sicheren Ecken oft deutlich ein, etwas das den hohen Schwierigkeitsgraden zugutekommt und euch am Laufen hält. Habt ihr dagegen selber einen Raketenwerfer oder die Laser-Waffe zur Hand, dann braucht ihr euch nicht um selbst mittlere Deckungen kümmern. Einfach draufhalten, wird schon nicht stehenbleiben. Es gibt viel zu wenig zerstörbare Umgebungen in der Shooterwelt…
Das soll jedoch nicht heißen, dass das Spiel hässlich wäre, ganz im Gegenteil. Man sieht ihm an, dass viel Aufwand für den Next-Gen-Appeal betrieben wurde. Die Texturen sind seltenst mal etwas gröber, die Sichtweiten und Lichteffekte angemessen, es ist ein Spiel, das man sich so und in der Qualität nur schwer auf den alten Konsolen vorstellen kann. Wie diese oder die PC-Version sich schlagen, dazu vertraue ich - und ihr sicher auch, denn Richard Leadbetter ist der Framerate-Zähler-Gott - in Kürze mal auf Digital Foundry, bisher liegt hier leider nur die Xbox-One-Hülle. Ein trotz etwas zu viel Betons sehr schöner Titel, der, sollte er nicht ganz die 60 Frames erreichen - erneut, hier warte ich hier für finale Details auf DF -, trotzdem gefühlt perfekt flüssig läuft.
Tja, jetzt kämen noch ein paar warme Worte zu einem dem Untergang geweihten Multiplayer - der hier zumindest mehr Sinn gemacht hätte als der in Tomb Raider -, aber den gibt es nicht. Wolfenstein ist ein Solospiel. Ein Shooter mit zehn Stunden Laufzeit. Zumindest hart gerechnet, denn wie gesagt gibt es einiges extra am Wegesrand zu finden und freizuschalten und außerdem dachte man sich einen kleinen Kniff aus, der euch für eine zweite Runde zurücklocken soll. Gleich in der ersten Mission könnt ihr nur einen von zwei Begleitern retten. Der Überlebende begleitet euch dann später am Funkgerät und manchmal auch hier und da in einer Mission, es gibt auch ein paar Extraszenen für jeden der beiden. Es ist im Großen und Ganzen der gleiche Ablauf noch einmal, aber für ein weiteres Durchspielen mit ein paar Wochen Pause dazwischen ist es allemal gut genug.
Wolfenstein: The New Order wurde im Vorfeld schon verschrien. "Das wird doch nichts, das sieht doch nach nichts aus, das kann nichts". Aber mit jeder weiteren Vorschaurunde zeichnete sich mehr und mehr das Bild ab, das das vollständige Spiel jetzt mit Anstand und sogar ein wenig Bravour abliefert. Es bleibt sich treu, auch wenn es ein wenig variiert. Es ist nicht so erdig wie seine jüngeren Vorgänger, nicht so kindisch-verrückt wie seine Ur-Wurzeln. Es bewahrt sich seine immer noch alles andere als ausgereiften Stealth-Einlagen und vor allem bleibt es ein brachialer, donnernder Ego-Shooter, der weit mehr an alten Tagen und oft genug auch Tugenden hängt als so manch anderer Konkurrent da draußen. Erwartet keine Wunder, sondern nur hohe Qualität und ein paar Abende krachenden Spaß und dann liefert Wolfenstein: The New Order genau das. Darüber hinaus ist es schön zu sehen, dass automatische Heilung auch in der Zukunft des Shooters längst nicht der einzig gangbare Weg ist. Allein dafür solltet ihr dem Spiel eine Chance geben.