World of Tanks 7.4: Mehr als nur eine Patch-Notiz - Artikel
Nur mal kurz die neuen Modi gespielt, schon wieder eine Nacht um die Ohren geschlagen.
Es war einmal ein Entwicklerstudio aus Weißrussland namens Wargaming.net, das war von vier Studenten in Minsk gegründet worden und hatte sich auf Strategiespiele spezialisiert. Weil aber durch den herkömmlichen Vertrieb mittels Publishern und Vollpreis-Boxen die erhofften Reichtümer ausblieben, besannen sich die Entwickler und kamen auf eine verrückte Idee. Sie erfanden einen Shooter, in dem die Spieler nicht als Soldaten gegeneinander kämpften, sondern ausschließlich in Gestalt von Panzern übers Schlachtfeld pflügten.
Das Ergebnis nannten sie World of Tanks, brachten es als Free-to-play-Spiel 2010 in Russland auf den Markt und waren damit binnen weniger Monate auch international unglaublich erfolgreich.Sie staubten jede Menge Preise ab, verdienten dank des Cashshops Millionen, schafften es ins Guinnessbuch der Rekorde für die meisten Spieler gleichzeitig auf einem MMO-Server und vermeldeten kürzlich 30 Millionen registrierter Nutzer. Und weil sie nicht gestorben sind, programmieren sie im Augenblick fleißig an World of Warplanes und World of Battleships, damit der Rubel weiter rollt. Ende offen.
Die märchenhafte Erfolgsgeschichte hat viele in der Branche überrascht und zum Nachahmen inspiriert. World of Tanks ist ein beliebtes Beispiel, wenn über den Erfolg von Free-to-play-Spielen philosophiert wird - was nicht zuletzt auch an der gigantomanischen Selbst-Inszenierung von Wargaming.net liegt.
Da werden schon mal echte Panzer aufgefahren oder im Zuge eines Museums-Sponsorings ein Game-Center auf dem ausgemusterten Schlachtschiff USS Iowa gespendet. Auf Messen klotzt der Entwickler beeindruckende Stände in die Hallen, die sich vor Branchengiganten wie Activision Blizzard, Microsoft oder Sony nicht zu verstecken brauchen. Auf der E3 in diesem Jahr hatte man zum Beispiel gut 1000 Quadratmeter Fläche besetzt.
Seit gestern ist nun der neue World of Tanks-Patch 7.4 auf den Servern. Eigentlich wollte ich mir "nur mal eben" die Neuerungen Live ansehen, da ich schon eine Weile nicht mehr gespielt hatte. Ein paar Minuten den Rost von meinen Panzern kratzen, zwei, drei Runden drehen und weiterschreiben.
Das hat nicht geklappt. Aus dem kurzen Testlauf wurden zig Matches und mehrere Stunden Dauerballerei. Dabei fand ich die zwei frischen Karten (Flughafen und Widepark), die neuen französischen Jagdpanzer und Selbstfahrlaffetten oder die Tarnmuster und Medaillen nicht mal sonderlich spektakulär. Die Justierungen beim Interface und Balancing oder die Fehlerbehebungen sind sicher erfreulich, werden aber wahrscheinlich nur Kennern wirklich auffallen. Nichts davon war Grund genug für einen derartigen "Rückfall". Nein, auch die beiden neuen Spielmodi nicht.
Seit Jahr und Tag gab es in World of Tanks nur zwei Siegbedingungen: Das feindliche Team aus 15 Panzern unterschiedlicher Nationalität in Stücke zu sprengen oder - was weit seltener passiert - die gegnerische Basis zu erobern. Mit dem neuen Patch hat Wargaming.net die Varianten "Angriff" und "Begegnungsgefecht" hinzu gefügt. Leider dürft ihr die Modi nicht aktiv auswählen. Welche Siegbedingungen auf einer Karte gelten, bleibt (wie die Karte selbst) Zufall.
In einem "Begegnungsgefecht" befindet sich relativ mittig auf der Karte eine neutrale Basis, die von den Teams erobert werden muss. Wer dort zuerst seine Flagge hisst oder die Gegenseite ausschaltet, gewinnt. Begegnungsgefechte können auf den Karten El Halluf, Murovanka, Steppen, Ensk, Himmelsdorf, Ruinberg und Siegfriedlinie ausgetragen werden.
Bei einem "Angriff" muss ein Team eine Basis verteidigen, während die andere Gruppe ausschließlich offensiv spielt und sie von dort vertreiben muss. Dieser Modus wird auf den Maps Erlenberg, Prokhorovka, Karelien, Malinovka und Wadi unterstützt.
Hat man seine ersten Begegnungsgefechte und Angriffe hinter sich, wird einem schnell klar, dass Wargaming.net hierfür keinen Innovationspreis gewinnen wird. Den Standardmodus etwas abzuwandeln, setzt spielerisch jedenfalls keine neuen Akzente. Warum nicht mal drei Teams auf ein Spielfeld mit drei Basen loslassen, wie in Warhammer Online: Wrath of Heroes? Oder einen Assault-Modus mit richtigen Missionszielen? Oder ein schwer bewaffnetes Wettrennen von Nav-Punkt zu Nav-Punkt? So viele gute Ideen schwirren da draußen im Netz herum. Da hätten sich die Macher einfach nur bedienen müssen. Doch das haben sie nicht. Also was brachte mich trotzdem dazu, nach jeder Runde erneut den Button fürs nächste Gefecht zu klicken?
World of Tanks wurde einfach nicht langweilig. Einerseits gibt es locker über 30 Karten, die Abwechslung bieten. Andererseits ist jedes Match bereits durch die wild zusammengewürfelten Mitspieler einzigartig. Mal beobachte ich staunend einen Profi, wie er ungebremst durch ein Dorf brettert und in voller Fahrt vier gegnerische Panzer plättet, während die Kontrahenten nur hilflos in die Luft ballern. Oder ich übernehme spontan das Kommando und scheuche meine Verbündeten auf der Minikarte herum. Einmal freute ich mich wie das Krümelmonster in einer Keksfabrik, weil ein Täuschungsmanöver den Feind in einen Hinterhalt lockte und wir ihm über die Flanken saures gaben. Oder ich überlebte mit lächerlichen drei Prozent Panzerung ein Artillerie-Bombardement, rettete mich hinter einen Felsen, und gewann später mit einer letzten verzweifelten Salve das Match für mein Team. Die beiden neuen Modi bringen hier vielleicht nur ein laues Lüftchen statt viel frischem Wind, doch das Spiel funktioniert trotzdem wie am ersten Tag.
Nicht unterschätzen sollte man außerdem, dass World of Tanks bei aller simulierten Finesse ein extrem einsteigerfreundliches Spiel ist. Die Steuerung ist simpel und das Spiel-Tempo ist verglichen mit anderen Shootern gemächlich. Ich muss mich nicht erst lange einarbeiten oder mich an komplizierte Tastenmanöver erinnern. Wenn seit der letzten Partie Monate vergangen sind, macht das überhaupt nichts. Auch als Hardcore-Zocker weiß man das zu schätzen.
Zu guter Letzt liegt der langlebige Spielspaß ein Stück weit im Tamagotchi-Effekt begründet, den Wargaming.net-Boss Victor Kislyi kürzlich in einem Interview beschwor. Über den Tech-Baum wird die Ausstattung meines Panzers immer besser und neue Modelle zugänglich, die ich mit Ingame-Währung kaufen kann. Die Crew an Bord gewinnt ebenfalls an Erfahrung und kann Bonusfähigkeiten freischalten. So poliert man nach jedem gespielten Match ein wenig an seinem Tank oder der Mannschaft herum, repariert, lädt nach, forscht und freut sich schon auf die nächste Erweiterung.
Ich bin gespannt, wie das Märchen um Wargaming.net weitergeht und ob sich der Erfolg des Panzer-MMOs mit World of Warplanes und World of Battleships fortsetzen lässt. Doch auch ohne meine Glaskugel bin ich relativ sicher, dass die Titel einige Wellen schlagen werden, obwohl - oder gerade weil - die Entwickler am bewährten Rezept von World of Tanks nichts ändern dürften.