WWE 2K22 - Test: Noch immer kein zeitgemäßer Kampfsport
Nachdem der Vorgänger bei Wrestling-Fans komplett durchfiel, gönnte 2K der Serie eine Pause. Und das hat sich gelohnt, denn sowohl spielerisch als auch inhaltlich hat sich in WWE 2K22 einiges getan.
Dieses "Wrestling" ist schon faszinierend, denn so wenig da in Sachen echtes Ringen, Boxen oder Kicken passiert, so faszinierend ist die Show drum rum. Von daher ist es seit jeher eigentlich ein Kuriosum, dass man in den Videospielen nicht nur im Vorfeld unterhaltsame Fights choreografiert, sondern tatsächlich kämpfen muss - was sich zuletzt jedoch dermaßen schlecht angefühlt hat, dass 2K die Serie ein Jahr pausieren ließ, um das Spiel grundlegend zu verbessern.
Nun habe ich eine ganze Weile nicht intensiv mit den WWE-Titeln zu tun gehabt. Tatsächlich war ich zuletzt so richtig an Bord, als sie sich noch in der Hand von THQ befanden, was bald zehn Jahre her ist. Ich kann euch daher nicht aus eigener Erfahrung im Detail sagen, wie sich das Ganze im Vergleich zu dem in Ungnade gefallenen Vorgänger anfühlt. Ich kann euch allerdings sagen, dass sich am grundlegenden Konzept nichts geändert hat und vor allem, wie sich das spielt und ob es denn Spaß macht.
Man löst noch immer Schläge, Tritte sowie Finisher aus und wartet anschließend eine ganze Weile, während sie auf maximal theatralische Art ausgeführt werden. Was ich deshalb hervorhebe, weil es der entscheidende Punkt ist, an dem sich WWE etwa von EA Sports UFC 4 unterscheidet. Es geht weniger um das dynamische Angreifen und Positionieren oder gar die vorhandene Ausdauer. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Auslösen, ganz besonders aber das Timing zum Abwehren dieser mächtigen Aktionen. Mit Letzterem unterbindet man nämlich den kompletten Angriff und kann dem Kontrahenten seinerseits zusetzen - falls der nicht ebenfalls kontert.
Und dieses Kontern wird einem in der aktuellen Ausgabe um einiges leichter gemacht, da der Zeitpunkt für den Moment des dafür notwendigen Tastendrucks länger ist als vor zwei Jahren und sogar länger als ich es in Erinnerung habe. Es fühlt sich hier jedenfalls sehr motivierend an, den Verlauf des Kampfs mitzugestalten, anstatt über die eigene Reaktionsfähigkeit zu fluchen. Erst wenn Kraft und Ausdauer nachlassen, wird auch das Timing anspruchsvoller. Aber das ist nur logisch und umso besser fühlt es sich dafür an, wenn man kurz vor einer Niederlage das Blatt doch noch mal wendet.
Ohnehin fängt WWE 2K22 diesen häufigen Wechsel des Momentums hervorragend ein, denn genau wie die realen Stehaufmännchen können ihre Alter Egos jederzeit zu voller Stärke zurückfinden, um ihre Widersacher mit einem Sturm wütender Attacken zu überfallen, nachdem sie wenige Sekunden zuvor fast ausgezählt wurden. Das macht richtig Laune, wird durch den nicht überragenden, aber meist passenden Kommentar entsprechend kommentiert und vom Publikum bejubelt.
Kontern kann man übrigens auch die normalen Aktionen, sprich leichte und schwere Angriffe sowie Griffe, für die es jeweils nur eine Taste gibt. Erahnt man als Verteidiger nun, welche Aktion der Gegner als Nächstes ausführt, muss man lediglich die gleiche Taste drücken und schon kehrt man die Situation ins Gegenteil. Da ist natürlich Glück im Spiel, aber das System an sich ist angenehm handlich.
Sorgenfreie Action erlebt man dennoch nicht. Dafür hat die Physik mitunter zu seltsame Aussetzer und auch das Verhalten der Konkurrenten ist nicht immer schlüssig. Ich habe es zum Beispiel mehrmals erlebt, dass ich gerade einen Tisch in der Arena platziere und mein Gegner genau in diesem Moment damit anfängt ebenfalls einen Tisch unter dem Ring hervorzukramen. Wenn man dann noch sekundenlang in der Luft schwebt oder Köpfe wie karikierte Zitterale vibrieren, wirkt das gar wie aus der Zeit gefallen.
Nicht zuletzt behindert die starre Kamera oft die Übersicht. Andere Wrestler bzw. Ringrichter verdecken nämlich gelegentlich das Bild und spätestens beim Verlassen des Rings befinden sich gerne Seile oder ganze Zäune im Weg. Ideal ist das schon deshalb nicht, weil man dadurch hin und wieder das Symbol für den wichtigen Konter übersieht. Abgesehen davon sehen weder Kämpfer noch Arenen wirklich gut aus. Spätestens beim Anblick der wild zuckenden Haar...teile wähne ich mich jedenfalls zwei Konsolengeneration in der Vergangenheit.
Mächtig, aber auch mächtig nervig
Apropos Kämpfer: Eine der großen Stärken ist einmal mehr der gigantische Editor, in dem man nicht nur eigene Superstars erstellt, sondern auch deren Einläufe, Siegesposen und mehr. Wahlweise kreiert man gar das komplette Move-Set, wofür man sich bei der enormen Vielzahl lizenzierter Vorbilder sowie allgemeiner Vorlagen bedient.
Ein unglückliches Ärgernis sind nur die häufigen und je nach Menü viel zu lange Wartezeiten, um unter anderem Gesichter oder Kleidung zu laden. Das erinnert an eine Charaktererstellung, die ich in Zeiten schneller SSDs gerne in den Geschichtsbüchern verschwunden wüsste. Begutachtet man die Animationen für Einläufe, wird außerdem bei jedem Mal auch die Kamerafahrt vor dem eigentlichen Einlauf abgewartet, sodass sich die Auswahl viel zu lange hinzieht. Bei Siegesposen würde ich schließlich gerne darauf verzichten, bei jeder Vorschau, also etwa alle zwei Sekunden "Here is your winner" ins Ohr geschrien zu bekommen. Ich muss leider sagen, dass mir die Gesamtheit dieser nervigen Kleinigkeiten das Editieren beinahe verleidet hat.
Karriere machen
Im Gegenzug darf man die Solo-Karriere zum ersten Mal als weiblicher Superstar erleben - bzw. als eine Frau, die das werden will. Man startet ja nicht gleich bei Raw, sondern arbeitet sich als kleine Leuchte zunächst ins Rampenlicht und von dort aus auf immer größere Bühnen. Anders als zuletzt handelt es sich dabei allerdings nicht um eine geradlinige Laufbahn; vielmehr entscheidet man selbst, wie die verläuft.
Immerhin hat man nicht nur die Wahl, welche Rivalitäten man entstehen lässt und ob man als Netter oder Bösewicht in den Ring steigt. Man wählt auch seinen Manger und entscheidet sich an mehreren Stellen, in welcher Division der WWE man als Nächstes auftritt. Sogar die Herkunft als Schauspieler, Indie-Wrestler, MMA-Veteran oder Footballer spielt eine Rolle - sowohl bei der Art und Weise, mit der einige Kollegen dem zukünftigen Star begegnen als auch seinen bzw. ihren Grundwerten. Letztere erweitert man mit Punkten, die man nach großen Matches erhält.
Nun sind die vielen Unterhaltungen, die man in den Kabinen des WWE-Zirkus hält, wahrlich nicht besonders aufregend. Im Wesentlichen stehen sich da zwei grob animierte Polygonskizzen gegenüber und sagen Dinge wie "Pass auf, was du sagst!" und "Pass du lieber auf, was im Ring geschieht!" Danach spielt man, was im Ring geschieht. Klar, im Grunde trifft das den Kern des wahren WWE-Gezeters. Es fehlt nur dieses maßlos überzeichnete Pathos des Originals, ohne den das alles nicht so richtig zieht.
Viel zu tun
Und was, wenn man auf Karriere keinen Bock hat? Dann managt man vielleicht seine eigene Riege an Superstars und stellt sie in brisanten Paarungen gegeneinander auf, um möglichst viele Fans zum jeweiligen Event zu locken. Bei den Matches selbst hat man die Wahl, ob man sie selbst bestreiten, ihnen nur zusehen oder sie simulieren lassen will, um sich voll auf die Tätigkeit als Manager zu konzentrieren. Als solcher organisiert man schließlich auch Run-ins, Titelkämpfe sowie Promo-Veranstaltungen, heizt Rivalitäten an und sorgt dafür, dass die Talente trotz all der Vorarbeit möglichst ausgeruht bei Großveranstaltungen antreten. So wenig das alles in die Tiefe geht, so gut funktioniert es als eine Art Minispiel zum Durchatmen.
Abgesehen davon gibt es einen Rückblick auf die bisherige Laufbahn von Rey Mysterio, der diese auch als Erzähler begleitet. Zwei Dinge dazu: Zum einen gibt es hin und wieder Übergänge vom Spiel in damalige Fernsehaufnahmen, bei denen die Bewegungen des Spiels so auf die Aufzeichnungen abgestimmt sind, dass man nahtlos von einem ins andere gerät. Diese Kleinigkeit ist ziemlich cool! Zum anderen sind in den Videos jedoch so viele Gesichter ausgegraut, dass man sich manchmal im falschen Film wähnt. Schade auch, dass ausgerechnet die spielbaren Rückblicke ohne Kommentatoren auskommen müssen, denn dadurch geht viel Atmosphäre verloren.
Wer gerne online antritt, kann das freilich ebenso tun und dafür sogar eigene Lobbys konfigurieren. Über die schnelle Spielsuche gelangt man hingegen ohne Umschweife in eine Partie - so das alles denn funktioniert. Denn zumindest in den letzten Tagen hatte das Spiel mehrmals Probleme sich überhaupt zu verbinden bzw. in eine Partie oder auch nur die Lobbyliste zu gelangen. So lange das funktionierte, lief es aber einwandfrei.
Gut... abgesehen davon, dass man als Gelegenheitswrestler nicht die geringste Chance gegen Kenner hat, die mit dem Timing des Konterns dermaßen vertraut sind, dass man kaum einen Angriff anbringen bringen kann. Man hat gegen die Mechanik ja keine Chance, weil man erfahrene Gegner weder mit gutem Timing noch mit geschicktem Taktieren überraschen kann. Diese tief im System verwurzelte Schwäche führt WWE 2K22 leider fort und wer sich damit nicht anfreunden kann, sieht online keinen Stich.
Glücklicherweise hat man ja aber noch weitere Optionen, darunter den Universe-Modus. Dort bestreitet man mit bestehenden oder selbst kreierten Superstars eine Reihe von Events, deren Teilnehmer und Rahmenbedingungen man nach eigenem Gutdünken frei verändern darf. Und dann ist da noch das, was anderswo Ultimate Team heißt: In MyFaction erhält man Kämpfer und Verzierungen, die sich auf Sammelkarten befinden. Die Währung zum Kauf neuer Packs erspielt man sich dabei in zahlreichen, teils wöchentlich wechselnden Herausforderungen - oder kauft sie für Echtgeld. Seltsam zwar, dass man unbedingt online sein muss, um MyFaction überhaupt spielen zu können. Da man mich mit derartigem Sammelkram und solchen Pay-to-Shortcut-Scherzen jagen kann, hielt sich mein Bedauern zumindest darüber aber in Grenzen.
WWE 2K22 - Test-Fazit
Ob WWE 2K22 nach den schwächeren Vorgängern jetzt der große Wurf ist, da will ich mich nicht festlegen. Ganz sicher bin ich allerdings, dass es eine abwechslungsreiche und vor allem spielerisch interessante Simulation des Wrestling-Zirkus ist. Obwohl die einzelnen Superstars teils sehr verschieden sind, bewegt man sie alle mit wenigen Knopfdrücken durch bzw. um den Ring und genießt das ständige Hin und Her der dramatischen Matches. Nur grafisch und physikalisch sollte man ein Auge zudrücken, denn dieses Spiel schreit geradezu: "Ich laufe auf allen aktuellen Plattformen!" Und flüstert: "Die neuen nutze ich aber nicht so richtig..."
Ganz ordentlich ist dafür die Karriere gelungen, deren Verlauf man über zahlreiche Entscheidungen selbst bestimmt. Sicher, unterm Strich beeinflusst das lediglich die Paarungen anstehender Matches, und erzählerisch darf es das nächste Mal ruhig mehr mitreißen. Ein einfacher Manager-Modus, der Rückblick mit Ray Mysterio und der wahnsinnig umfangreiche Editor runden das Ganze ab, wenn auch auf sehr bekannte und technisch nicht immer ausgereifte Art. Und damit hatte selbst ich als eher Wrestling-Unbedarfter meinen Spaß. Wer weiß, wenn die Qualität sich weiter so steigert, werde ich vielleicht doch zum Pro.